Berlin. Wer für die Lecks in den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee verantwortlich ist, ist umstritten. Ein Ex-Agenten legt eine neue Spur.

Die Strudel der Ostsee bleiben weiter ein Mysterium. Stellt sich doch nach wie vor die Frage, wer die Nord-Stream Pipelines Anfang September 2022 in die Luft gejagt hat. Viele Theorien ranken sich um den Anschlag. Das Hobby eines britischen Ex-Agenten erhärtet jetzt einen Verdacht.

"James" möchte der ehemalige Spion des britischen Geheimdienstes und Militärs genannt werden, der nach seiner Pensionierung 2018 nicht von seinem Hobby lassen konnte. Von seiner Wohnküche aus beobachte er täglich die Bewegung der russischen Ostseeflotte, wie ein Kamerateam der öffentlich-rechtlichen Sender Dänemarks (DR), Norwegens (NRK), Schwedens (SVT) und Finnlands (Yle) für die Dokumentation "Schattenkrieger" festhält. Die Aufzeichnungen konnten Spiegel, ZDF, Standard und Tamedia vorab einsehen.

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Pipeline-Anschlag: "James" ortet Schiffe durch Funksprüche

Demnach hat "James" auch Anfang Juni die Funksprüche russischer Schiffe abgehört, die ihre Positionen an die Stützpunkte durchgeben, wodurch er deren Positionen abspeichern konnte. Zwei Schiffe seien "James" aufgefallen, die sich unmittelbar an der Stelle befunden hätten, wo drei Monate später die Pipelines gesprengt wurden.

Brisant ist, dass die Schiffe ihr automatisches Identifikationssystem (AIS) ausgeschaltet hatten, wodurch nur "James" diese sogenannten "Dark-Ships" durch das Abhören der Funksprüche lokalisieren konnte. Das erste, nicht näher identifizierbare Schiff habe am 6. Juni in Kaliningrad abgelegt und sei am nächsten Tag von "James" zwischen der dänischen Insel Bornholm und der schwedischen Hafenstadt Karlskrona geortet worden. Kurz darauf habe es sich in nur sieben Kilometer Entfernung zum späteren Pipeline-Leck befunden.

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Zwischen dem 14. und 15. Juni sei dann das sechs Meter lange russische Forschungsschiff "Sibirjakow" in der Nähe der Lecks gewesen. Nach Angaben des Marineexperten H.I. Sutton ist das Schiff in der Lage, Unterwasserdrohnen zu steuern oder Sprengsätze zu montieren. "James" beschreibt den Kurs des Schiffes als seltsam, da sich das Schiff am 14. Juni zunächst vom Anschlagsort entfernte, am nächsten Tag aber wieder zurückkehrte.

Bislang war eine proukrainische Gruppe im Verdacht

Offen bleibt, ob die russischen Schiffe tatsächlich einen Sabotageakt vorbereitet haben. Denkbar wäre auch, dass sie in gegenteiliger Mission vor Ort waren: um die Pipelines zu schützen. Die Bewegung solcher Dark-Ships sei zumindest keine Ausnahme. "James" verzeichnet nach eigenen Angaben regelmäßig mutmaßliche Spionagemanöver in der Ostsee, bei den mögliche strategische Angriffsziele wie Offshore-Windparks und Internet-Seekabel ausgekundschaftet werden.

Die Geheimdienstvergangenheit von "James" habe sich das Rechercheteam durch Ausweise und Dokumente bestätigen lassen. Auch beauftragten die Journalisten das Unternehmen KSAT, das mit Satellitenbildern die Existenz zweier Schiffe im besagten Zeitraum bestätigen kann.

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"James" Erkenntnisse stellen die bisherige Theorie infrage, nach der eine proukrainische Gruppe für den Anschlag verantwortlich sein könnte. Die in Deutschland gecharterte Segelyacht "Andromeda" hatte sich Anfang September in der Nähe der Pipeline aufgehalten, wie ARD, Zeit und Spiegel zuerst berichteten. Eine proukrainische Gruppe soll es gemietet haben. Später hatten BKA-Beamte Sprengstoffreste auf dem Boot gefunden.