Wolfsburg. Die Einschätzungen gehen aber selbst unter Branchenexperten auseinander.

Auf beiden Seiten des Atlantiks werden die Warnungen vor US-Sonderzöllen auf importierte Autos und Auto-Teile aus Europa sowie einem daraus folgenden Handelskrieg lauter. Falls es zu Letzterem kommt, stünden womöglich auch Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie auf dem Spiel – auch wenn es wohl eigentlich gar nicht um die Branche geht.

Höhere Preise werden den Absatz deutscher Neuwagen in den USA negativ beeinflussen.Davon ist Stefan Bratzel, Leiter des Auto-Instituts der Fachhochschule in Bergisch Gladbach, überzeugt. Auch Fahrzeuge von US-Herstellern würden teurer und dadurch weniger verkauft, denn diese kauften bei Zulieferern auf der ganzen Welt ein. Dadurch würden nach Einschätzung des Branchenexperten Arbeitsplätze in den USA verlorengehen. Der amerikanische Branchenverband „Auto Alliance“ sieht laut einer Schätzung sogar mehr als 620.000 Jobs in Gefahr, falls andere Länder mit Gegenmaßnahmen auf Strafzölle reagieren würden.

In einem sich auswachsenden Handelskrieg sieht auch Bratzel die größte Gefahr – mit konjunkturellen Folgen, die das Konsumklima belasten würden, wodurch wiederum auch die Auto-Nachfrage sinken würde. „Die Bedrohung von Arbeitsplätzen ist real, auch in Deutschland.“ Gerade wenn in China noch etwas passiere.

Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Car-Instituts der Universität Duisburg-Essen, sieht hingegen durch Strafzölle keine Gefahr für Jobs. Zwar würden Teile teurer, und General Motors und Ford seien sehr preissensibel. Dadurch könnten die Verkäufe sinken. Doch der amerikanische Markt gehe in diesem und im nächsten Jahr ohnehin zurück. Und in Europa verkauften die US-Hersteller kaum Autos.

Bei den teuren deutschen Modellen, etwa von Porsche, würde ein Preisaufschlag keinen nennenswerten Unterschied für die vermögenden Kunden machen, schätzt der Branchenkenner. Denn zu den deutschen Luxuswagen gebe es keine Alternativen von Herstellern aus anderen Ländern. Modelle aus dem mittleren Preissegment, wie den Porsche Macan, könnten die Deutschen nach Auffassung von Dudenhöffer in Mexiko mitbauen. „Natürlich tut das weh, aber es wäre kein Drama.“ In Brexit und China sieht der Professor viel größere Risiken. Bratzel dagegen glaubt, dass Strafzölle selbst am Luxussegment nicht spurlos vorbeigehen würden.

Das Münchner Ifo-Institut rechnet damit, dass sich die deutschen Autoexporte in die USA durch Strafzölle langfristig fast halbieren könnten,sollten dauerhaft Zusatzzölle von 25 Prozent kommen. Alle Autolieferungen aus Deutschland ins Ausland würden sich um rund acht Prozent verringern, was einem Wert von 18,4 Milliarden Euro entspräche. Die Wertschöpfung der Autoindustrie in Deutschland würde um 7 Milliarden Euro sinken. Dagegen würde die Wertschöpfung in der US-Autoindustrie um rund 25 Milliarden Euro steigen.

Donald Trump geht es nach Meinung von Dudenhöffer aber vor allem um den Zugang zum europäischen Agrarmarkt. Der US-Präsident werde die Zölle tatsächlich einführen, weil Deutschland wegen der hierzulande wichtigen Autoindustrie dann Druck auf die EU machen würde. Andernfalls würden etwa die Franzosen ihren Markt so schnell nicht öffnen. Auch nach Ansicht von Bratzel geht es Trump mit seiner „Drohkulisse“ darum, seine Handelsbilanz auszugleichen.

VW-Chef Diess schlägt Alarm

Im VW-Konzern wächst offenbar die Sorge, dass Trump seine Drohung wahr macht. Der angedrohte Zuschlag von 25 Prozent auf Neuwagen aus Europa sei die größte Sorge für die hiesigen Autohersteller in diesem Jahr, sagte Konzernchef Herbert Diess in einem Interview mit der „Financial Times“. Die Investmentberatung „Evercore ISI“ hatte prognostiziert, dass die Zölle die Wolfsburger 2,5 Milliarden Euro pro Jahr kosten würden. Im schlimmsten Fall wäre dies wahrscheinlich nah an der tatsächlichen Zahl, sagte Diess dazu.

Die Sorge vor den Zöllen hat in den Augen von Diess zu politischer Instabilität beigetragen, stärker als die Befürchtungen zum Brexit. Trump bekräftigte am Mittwoch zum Auftakt eines Treffens mit dem österreichischen Ministerpräsidenten Sebastian Kurz, dass seine Regierung neue Strafmaßnahmen prüfe, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete. Das amerikanische Handelsministerium hatte am Wochenende Fahrzeuge aus der EU offenbar als Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft. Trump hätte nun knapp drei Monate Zeit, sich für Sonderzölle zu entscheiden.

Branchenexperte Dudenhöffer hält die Folgen möglicher Strafzölle dagegen für verkraftbar, wie er unserer Zeitung erläuterte. Dies sieht er schon dadurch belegt, dass die Börsen nicht auf die Nachrichten vom Wochenende reagiert hätten. Vom VW-Konzern wäre laut Dudenhöffer fast nur Audi betroffen. Die Ingolstädter hatten nach Angaben einer Konzernsprecherin im vergangenen Jahr insgesamt 154.200 Autos aus Europa in die USA exportiert. Die Premiummarke produziert im Gegensatz etwa zur Marke VW nicht in den USA, sondern bisher nur in einem Werk in Mexiko – SUV, die sich in den USA gut verkaufen. Doch die VW-Tochter könnte nach Meinung von Dudenhöffer dort die Modellpalette erweitern und so Einbußen durch Zölle mittelfristig abfedern. Die Marke VW exportierte 2018 nur rund 20.900 Neuwagen aus Europa in die USA.

Deutlich besorgter zeigte sich Branchenexperte Bratzel: Die 2,5 Milliarden Euro dürften nicht isoliert betrachtet werden. Falls es zu Handelskriegen komme, würden Absatz und Umsatz belastet. „Ein Handelskrieg mit den USA wäre der Super-GAU und würde die exportorientierte Autoindustrie enorm belasten.“