Brüssel. Das „informelle Arbeitstreffen“ vor dem EU-Gipfel am Donnerstag hat „eine eigene Dynamik entfaltet“, wie es bei EU-Diplomaten heißt.

. Ein Rettungsgipfel für die deutsche Kanzlerin? Sebastian Kurz hebt abwehrend die Hände. „Es geht nicht um innerdeutschen Streit“, versichert der österreichische Bundeskanzler, als er am Sonntagnachmittag das Gebäude der EU-Kommission betritt. „Wir wollen sehen, was wir auf europä­ischer Ebene machen können.“ Und da, lächelt Kurz, sei „jetzt eine Lösung möglich“. Wenig später beteuert auch der luxemburgische Premier Xavier Bettel treuherzig: „Es geht nicht um das Überleben einer Kanzlerin, sondern um eine gemeinsame Politik.“

So klingen viele der 17 Regierungschefs bei dem sonntäglichen Treffen zur Flüchtlingspolitik im Brüsseler Berlaymont. Klar ist das geflunkert. Natürlich wurde diese Runde von Angeal Merkel dringend erbeten und von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker freundlicherweise organisiert, weil die Kanzlerin innenpolitisch in höchsten Nöten ist.

Und doch geht es jetzt um mehr. Das „informelle Arbeitstreffen“ vor dem EU-Gipfel am Donnerstag hat „eine eigene Dynamik entfaltet“, wie es bei EU-Diplomaten heißt. Zahlreiche Regierungen haben die Chance erkannt, dass im Zuge der deutschen Krise ihre eigenen Anliegen auf die Brüsseler Tagesordnung kommen – und sogar ernst genommen werden.

Das Ergebnis ist wohl ein Kurswechsel der EU-Asylpolitik, bei dem der unergiebige Streit über die solidarische Flüchtlingsverteilung einfach beiseitegeräumt wird, ersetzt durch eine Verständigung auf mehr Abschottung nach außen und Abschreckung im Innern. Dazu zählen ein massiv verstärkter Außengrenzschutz oder die Auslagerung von Asylbewerbersammelstellen in Länder außerhalb Europas. Und eben auch jene neuen Hindernisse für die Weiterreise registrierter Asylbewerber durch Europa, die die Kanzlerin im Streit mit der CSU entlasten sollen.

Beschlüsse aber werden bei den rund vierstündigen Beratungen wie angekündigt nicht gefasst. Für Merkel bleibt es bei der Ungewissheit. Sie spricht am Ende von einer „wichtigen Debatte“ und einem „großen Maß an Gemeinsamkeit“, etwa bei der Forderung, die illegale Migration zu reduzieren, die Grenzen zu schützen und die Länder an den EU-Außengrenzen nicht alleinzulassen. Auch andere Teilnehmer berichten von überraschend viel Übereinstimmung. Aber hilft das der Kanzlerin? Sie sieht „viel guten Willen, um in den nächsten Tagen zu Lösungen zu kommen“. Details aber lässt sie offen. Kurzfristige Absprachen mit ausgewählten EU-Ländern wie Italien und Griechenland sollen das Weiterwandern von Flüchtlingen nach Deutschland begrenzen. Es gehe darum, wie man fair miteinander umgehen und einen Ausgleich schaffen könne, sagt Merkel. Sie will so vermeiden, dass Innenminister Horst Seehofer (CSU) in Kürze mit der Zurückweisung von Asylbewerbern an der Grenze einen Alleingang unternimmt und den Fortbestand der Koalition aufs Spiel setzt.

Die Kommission hat dazu Abkommen zwischen einzelnen Staaten vorgeschlagen, aber auch scharfe Kon­trollen – die Unterstützung für Merkel wäre indes eingebettet in eine insgesamt veränderte Flüchtlingspolitik. Die würde zwar nicht gleich beim Gipfel in allen Teilen abgesegnet, aber beides hängt miteinander zusammen. Vor allem Italien wird kein Rücknahmeabkommen abschließen, ohne dass die EU Hilfe etwa beim Umgang mit den Bootsflüchtlingen zusagt. Innenminister Matteo Salvini hat zwar im Vorfeld getönt, Italien werden „keinen einzigen“ Asylbewerber aus anderen EU-Ländern aufnehmen. Doch Premier Guiseppe Conte ist verhandlungsbereit.

Er pocht nur auf eine klare Reihenfolge: Erst müsse die EU Italien helfen, dann könne man über Umverteilung reden. Und nebenbei, fügt man in Rom hinzu, über die Staatsverschuldung. Der Zehn-Punkte-Plan für einen „radikalen Wandel“ der EU-Asylpolitik, den Premier Conte in Brüssel auf den Tisch legt, ist Teil der Verhandlungsmasse: Wenn durch eine entschlossene Politik wesentlich weniger Migranten nach Europa kämen und diese Flüchtlinge in Zentren auch jenseits von Spanien und Italien verteilt würden, dann könnten die Weiterreisen von Asylbewerbern innerhalb der EU in „technischen Abkommen“ zwischen den Staaten geregelt werden. Dieses Problem wäre dann ohnehin „nebensächlich“.

Die EU-Kommission ist bereit, ein dickes Hilfspaket für die Mittelmeeranrainer zu schnüren, mit Geld und Personalhilfen. Für die diskutierten Asylsammellager außerhalb Europas hat die Kommission Gespräche mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk aufgenommen. Von dort, wird am Rande des Gipfels zufrieden berichtet, komme das Signal, „an einer tragfähigen, gemeinsamen Lösung“ mitzuarbeiten. Eine Alternative schlagen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der spanische Premier Pedro Sanchez vor: Solche Zentren für ankommende Flüchtlinge sollten auf europä­ischem Boden errichtet werden. Andere EU-Länder sollten solidarisch die Migranten, die einen Asylanspruch haben, aufnehmen. Wer sich verweigere, hätte finanzielle Strafen zu erwarten.

Macron und Sanchez sprechen damit das Problem an, dass Asylsammellager den Verteilungsstreit in Wahrheit gar nicht beenden – die anerkannten Asylbewerber müssten ja doch irgendwo aufgenommen werden. Aber solche Fragen werden lieber ausgeklammert. Jetzt geht es um möglichst scharfe Töne: Österreich etwa schlägt vor, den EU-Grenzschutz nicht nur auszubauen, sondern gleich noch das Mandat auszudehnen – künftig sollen auch Polizisten und Soldaten eingesetzt werden können. Bulgariens Premier Boiko Borissow plädiert für Sofortmaßnahmen zur Schließung der EU-Außengrenze.

Gerade jene Hardliner in Europa, denen sich die CSU bei der Flüchtlingspolitik eigentlich verbunden fühlt, können ihre Freude über den neuen europäischen Kurs nicht verbergen. 2015 sei er noch für viele Forderungen zur Flüchtlingspolitik kritisiert worden, sagt Österreichs Kanzler Kurz. „Heute ist das mehrheitsfähig.“