Berlin. Schon in der Eiszeit war der Mensch ein Künstler. Ein neu entdecktes Fragment wirft Fragen über das älteste gefundene Kunstwerk auf.

Ein neuer Fund in der Welterbe-Höhle "Hohle Fels" auf der Schwäbischen Alb nahe Schelklingen in Baden-Württemberg könnte ein Rätsel um eine zuvor geborgene Figur gelöst haben. Wie aus einer gemeinsamen Pressemitteilung der Universität Tübingen und des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren hervorgeht, haben Archäologen bei den Ausgrabungen ein Fragment einer geschnitzten Elfenbeinfigur entdeckt.

Das 3,99 Zentimeter lange, 2,49 Zentimeter hohe sowie 0,55 Zentimeter dicke Fragment stellt Brustkorb und rechte Schulter eines Tieres dar und und erwies sich als Erweiterung eines der frühesten eiszeitlichen Kunstwerke.

So passt das neu gefundene Stück zu einem 1999 gefundenen und seither berühmten Tierfigurenkopf und stellt dabei dessen Körper dar. Der Kopf war vor über 20 Jahren in derselben Höhle in zwei Teilen entdeckt worden. Die 35.000 Jahre alte Schnitzerei aus Mammut-Elfenbein gehört zur eiszeitlichen Kulturstufe des Aurignacien. Sie gelten als die ältesten figürlichen Kunstwerke der Welt, noch vor den Höhlenmalereien im südfranzösischen Lascaux.

Außergewöhnlicher Fund: Elfenbein-Figur aus der Eiszeit

Das als erstes geborgene Stück war zuvor als Pferdekopf gedeutet worden. Archäologen rund um Professor Nicholas Conard der Universität Tübingen aus der Abteilung Urgeschichte und Quartärökologie zufolge sei diese Deutung nun aber nicht mehr haltbar.

"Wir können die dargestellte Tierart immer noch nicht sicher bestimmen, aber es könnte ein Höhlenlöwe oder ein Höhlenbär sein", so Conard bei der Pressekonferenz zum "Fund des Jahres" am 27. Juli in Blaubeuren. Conard selbst hält die Statue für einen Bären: "Die Figurine hat nun einen massigen Körper, zeigt den typisch ausgeprägten Bärenbuckel in Schulterhöhe und präsentiert sich in einer Körperhaltung, die den trottenden Gang eines Bären nachahmen könnte."

Hohle Fels: Figurenfragment in Fundlage.
Hohle Fels: Figurenfragment in Fundlage. © Universität Tübingen, Alexander Janas

Conard stellt dennoch klar: "Es ist keineswegs immer einfach, eiszeitliche Darstellungen verbindlich zu bestimmen, besonders wenn sie so bruchstückhaft erhalten sind. Daher bleibt es sinnvoll, in den kommenden Jahren besonders aufmerksam nach den fehlenden Teilen dieses Tiers zu suchen." Mittlerweile setzt sich die Figur aus fünf geborgenen Fragmenten zusammen.

Dr. Stefanie Kölbl, geschäftsführende Direktorin des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren, fügt hinzu: "Diese Figur zeigt uns und unseren Besuchern, wie keine andere, dass die archäologische Arbeit niemals abgeschlossen ist."

Bedeutende Fundstelle: Eiszeitliche Kunstwerke des Menschen

In der Region um Ulm, im Alb-Donau-Kreis und im Landkreis Heidenheim begann der eiszeitliche Mensch figürliche Darstellungen von Tieren und Menschen sowie die ersten Musikinstrumente der Welt zu entwerfen und herzustellen. So wurde 2008 in der Hohle Fels-Höhle die "Venus"-Statue gefunden. Die prähistorische Frauenstatuette ist die älteste bekannte Figur, die der Mensch von sich selbst geschaffen hat.

Neben der "Venus" fanden Forscherinnen und Forscher im Hohlen Fels und in drei weiteren Höhlen auf der Schwäbischen Alb 33 weitere Skulpturen, darunter ein Mammut, ein stehender Bär und ein Wisent. Dazu kommen Fragmente von zwei nicht identifizierbaren Figuren. Drei Flöten – zwei aus Vogelknochen und eine aus Mammutelfenbein – komplettieren das Fundensemble. Die meisten dieser Stücke sind nicht einmal fingergroß, aber dennoch von großer Schönheit. (mit epd/dpa)