Berlin/London. Jahrtausende alte Zeichnungen gaben Wissenschaftlern lange Zeit Rätsel auf. Doch jetzt haben Forscher ihre Bedeutung herausgefunden.

Forschende haben in den letzten 150 Jahren in mindestens 400 europäischen Höhlen Jahrtausende alte Höhlenmalereien von Jägern und Sammlern entdeckt. Es handelt sich dabei vor allem um Zeichnungen von Tieren. Die Forschenden entdeckten darunter auch Symbole, die zusammen mit den Kreaturen gemalt wurden. Ihre Bedeutung wird seit der Entdeckung diskutiert. Bisher konnte das Rätsel nicht gelöst werden.

Doch ein Team von Forschenden aus Großbritannien hat jetzt einen ersten Erklärungsansatz geliefert. Es geht dabei um rund 20.000 Jahre alte Malereien aus der Höhle von Lascaux in Frankreich. Die Forschenden vermuten, dass es sich bei den Zeichnungen und Symbolen um einen Kalender handelt, der wichtige Informationen zu den Beutetieren der Jäger enthielt. Eine bahnbrechende Erkenntnis, die Belege für die erste "Schrift in der Geschichte des Homo sapiens" liefere, heißt es in dem Forschungsbericht. Die Ergebnisse der Studie wurden im "Cambridge Archaeological Journal" veröffentlicht.

Jahrtausende alte Symbole: Das ist ihre Bedeutung

Der Londoner Möbelrestaurator und unabhängige Forscher, Bennett Bacon, hatte als Erster eine Vermutung und stellte eine Datenbank mit Tierzeichnungen zusammen, berichtet das "Smithsonian Magazine". Dabei fielen ihm drei Zeichen auf, die am häufigsten auf den Höhlenmalereien zu sehen sind: Punkte, Linien und "Y"-Symbole. Er kontaktierte Forschende von der Durham University und vom University College London und untersuchte mit ihnen gemeinsam die drei Symbole.

"Jagdmagie, Schamanismus, andere 'übergreifende Theorien'" als Erklärung für die Symbole halten die Forschenden für unwahrscheinlich. Es sei zudem bekannt, dass Jäger und Sammler eine "breite Palette von Aufzeichnungs-, Zähl- und Kommunikationssystemen verwendet haben, die Themen und Zahlen beinhalten", wird in dem Bericht erklärt. Doch die Bedeutung und der Zweck dahinter, war bislang unbekannt.

In ihrem Bericht stellen die Forschenden die Hypothese auf, dass der Strich und Punkt, "wenn sie in enger Verbindung mit Tierdarstellungen gefunden werden, Zahlen darstellen, die Monate bezeichnen" und Bestandteile eines Kalenders bilden, "der im Frühjahr beginnt und die Zeit ab diesem Zeitpunkt in Mondmonaten aufzeichnet".

Die Punkte und Striche stellen einen Mondkalender dar, der zur Dokumentation der Paarungszeit von Beutetieren verwendet wurde.
Die Punkte und Striche stellen einen Mondkalender dar, der zur Dokumentation der Paarungszeit von Beutetieren verwendet wurde. © Bacon et al./Cambridge Archaeological Journal

Tiermalereien mit ungewöhnlichen Zeichen

Das dritte Symbol, das am häufigsten auf den Malereien gefunden wurde, ist das "Y"-Symbol. Es hat laut den Erkenntnissen nichts mit dem Mondkalender an sich zu tun, sondern symbolisiert das "Gebären". "Die Position des 'Y' innerhalb einer Zeichenfolge bezeichnet den Monat der Geburt", erklären die Forschenden.

Neueste Forschungserkenntnisse: Jäger und Sammler haben vor über 20.000 Jahren Symbole und Tiere an Höhlenwände gemalt, um über wichtige Informationen zu Beutetieren zu kommunizieren.
Neueste Forschungserkenntnisse: Jäger und Sammler haben vor über 20.000 Jahren Symbole und Tiere an Höhlenwände gemalt, um über wichtige Informationen zu Beutetieren zu kommunizieren. © Bacon et al./Cambridge Archaeological Journal

Die Kombination aus Punkten, Linien und "Y"-Symbolen mit den Zeichnungen von Tieren sollte damals "saisonale Verhaltensinformationen" über bestimmte Beutetiere der Jäger und Sammler schriftlich festhalten und an andere übermitteln. Jeder Punkt oder jede Linie respräsentiert laut den Forschenden einen Monat im Mondkalender und die Gesamtanzahl zeigt, wie viele Monate nach Frühlingsanfang die Paarungszeit bestimmter Tiere beginnt. Das "Y" markiert den Monat, in dem die Tiere gebären.

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Höhlenmalerei: Eine Art Ur-Schreibsystem

Die Forschenden sind nicht davon überzeugt, dass es sich bei der Kommunikation um Schriftsprache nach unserem heutigen Verständnis handelt. Sie sehen die Zeichen "als Zwischenschritt" zwischen einer einfacheren Symbol-Kommunikation bis hin zu einer "vollwertigen Schrift", heißt es in dem Bericht. Die Malereien werden daher als "Proto-Schreibsystem", im Sinne eines Prototyps, bezeichnet.

Sollte sich dies bestätigen, würde dies bedeuten, dass die Menschen mindestens 10.000 Jahre früher als bisher angenommen ein Proto-Schreibsystem entwickelt haben, heißt es im "New Scientist".

Proto-Schreibsystem: Nicht alle sind von der Hypothese überzeugt

"Wenn es etwas gab, das es wert war, außerhalb des Gedächtnisses aufgezeichnet zu werden, dann waren es Tiere, insbesondere die Jahreszeiten, in denen sich die überlebenswichtigen Beutetiere versammelten und mit der Paarung und dem Gebären beschäftigt waren. Das macht absolut Sinn", erklärt Co-Autor und Archäologe Paul Pettitt von der Durham University in England gegenüber "New Scientist".

Doch nicht alle sind von der Hypothese der Forschenden überzeugt. Es fehlen alternative Interpretationen der Symbole, kritisiert Melanie Chang, eine Paläoanthropologin an der Portland State University gegenüber "Live Science". Zudem seien nur drei von insgesamt 32 gefundenen Symbolen analysiert worden, bemängelt April Nowell, eine paläolithische Archäologin an der Universität von Victoria in Kanada gegenüber "Live Science".

Pettitt gab gegenüber dem "Smithsonian Magazinze" jedoch schon bekannt, dass die Forschenden ihre Arbeit auf die anderen Zeichen ausweiten wollen.