Braunschweig. Durch die Entwicklungen im Maddie-Fall erwachen weitere Vermisstenfälle wieder zum Leben. Eine britische Zeugin will den Verdächtigen erkannt haben.

Die britische Polizei hat etwa 400 neue Hinweise im Fall Maddie erhalten. Sie seien telefonisch oder per E-Mail eingegangen, teilte ein Polizeisprecher am Sonntag in London mit. Ein 43-jähriger Deutscher soll am 3. Mai 2007 die kleine Madeleine McCann aus einer Ferienanlage in Portugal entführt haben. Die Ermittler in Deutschland sind überzeugt, dass das Kind tot ist. Die britische Polizei geht hingegen auch nach 13 Jahren weiter von einem Vermisstenfall aus. „Es gibt keinen endgültigen Beweis, dass Madeleine noch lebt oder tot ist“, so der Sprecher von Scotland Yard.

Fall Maddie: Zusammenhang mit anderen Vermisstenfällen?

Die dreijährige Maddie aus Großbritannien verschwand aus einer Appartementanlage in Portugal, die fünfjährige Inga in der Nähe von Stendal im Norden Sachsen-Anhalts – nun prüfen Ermittler, ob es einen Zusammenhang zwischen den Fällen der zwei kleinen blonden Mädchen gibt.

Die Staatsanwaltschaft Stendal teilte am Freitag mit, im Zusammenhang mit dem Tatverdacht gegen einen Deutschen im Fall Maddie werde nach Anhaltspunkten für Zusammenhänge zum Fall Inga gesucht. Die „Magdeburger Volksstimme“ berichtet von einem Parkplatzrempler des Mannes auf der A2 bei Helmstedt genau einen Tag vor Ingas Verschwinden am 2. Mai.

Das Grundstück des Verdächtigen befindet sich in Neuwegersleben, Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt. Dort hat die Polizei im Jahr 2016 Kinderpornografie gefunden.
Das Grundstück des Verdächtigen befindet sich in Neuwegersleben, Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt. Dort hat die Polizei im Jahr 2016 Kinderpornografie gefunden. © Michael Strauss | Michael Strauss

Der Beschuldigte im Fall Maddie sei zwischen Braunschweig und Börde gependelt. Der Ort, an dem Inga verschwand, liegt mit etwa 100 Kilometern in nordöstlicher Richtung abseits der Route.

Fall Maddie: Verteidiger des Verdächtigen schweigen

Auch drei Tage nach der Bekanntgabe der Mordermittlungen gegen den Tatverdächtigen im Fall des seit 13 Jahren verschwundenen Mädchens Maddie sind weitere Details nicht bekannt. Die Ermittler auch in Braunschweig hoffen auf Hinweise aus der Bevölkerung, die zum Durchbruch führen. Die Verteidiger des Verdächtigen wollten sich zunächst nicht äußern.

Britische Zeugin will Verdächtigen gesehen haben

Eine britische Zeugin will dagegen einem Bericht der „Sun“ im Fall Maddie zufolge den 43-jährigen verdächtigen Deutschen wiedererkannt haben. Er soll sich damals in der Nähe des Appartements der Familie McCann merkwürdig verhalten haben.

Die Zeitung beschreibt die Frau als „glaubwürdige Zeugin“, die den Mann schon wenige Stunden nach dem Verschwinden des kleinen Mädchens in der Ferienanlage in Portugal beschrieben haben soll. Als ihr nun ein Bild von dem Verdächtigen gezeigt wurde, sagte sie der „Sun“ zufolge: „Das ist der Mann, den ich gesehen habe.“ Scotland Yard wollte den Bericht auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur am Samstag nicht kommentieren.

Der Fall Maddie McCann

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    Überraschender Verdacht der Staatsanwaltschaft Braunschweig im Fall Maddie

    Am Mittwoch hatten Bundeskriminalamt und Staatsanwaltschaft Braunschweig überraschend bekanntgegeben, dass der mehrfach vorbestrafte 43 Jahre alte Deutsche im Fall Maddie unter Mordverdacht steht. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Braunschweig geht davon aus, dass das am 3. Mai 2007 aus einer Appartementanlage im portugiesischen Praia da Luz verschwundene Mädchen tot ist. Was tatsächlich geschah, ist nicht bewiesen.

    In Schönebeck ist der Fall der damals fünfjährigen Inga, die 2015 verschwand, plötzlich wieder allgegenwärtig. „Wir wurden von den Erkenntnissen überrascht“, sagte Stadt-Sprecher Frank Nahrstedt unserer Zeitung. Die Anteilnahme in der Stadt und im Umland sei für die sechsköpfige Familie sehr groß gewesen. Auf einer Facebook-Seite verfolgen bis heute 4.000 Menschen die Ereignisse. „Ganz klar, das kocht jetzt alles wieder hoch“, sagte Nahrstedt. Man könne für die Familie nur hoffen, dass der Fall jetzt schnell aufgeklärt werde. Tagelang suchte die Polizei unter Mithilfe der Bevölkerung ganze Waldstücke in der Nähe von Stendal ab. Ein Polizist, der im Mai 2015 dabei war, sagte unserer Zeitung: „Jeder, der Zeit hatte und laufen konnte, half bei der Suche. Das waren lange Tage.“

    Statement der Staatsanwaltschaft Braunschweig am Donnerstag

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      Staatsanwaltschaft Stendal nimmt Ermittlungen im Fall Inga wieder auf

      Wie die Staatsanwaltschaft Stendal mitteilte, werden die Ermittlungen zum Fall der vermissten Inga wieder aufgenommen. Welche Rolle dabei das Grundstück des wegen Mordes an der dreijährigen Madeleine McCann verdächtigen Mannes in Neuwergersleben spielen wird, bleibt abzuwarten. Wie die „Magdeburger Volksstimme“ am Samstag berichtet, wurde das heruntergekommene Gelände zuletzt im Juni 2018 durchsucht. „Mehrere hundert Polizisten waren damals auf dem Gelände im Einsatz. Christian Wolters von der Staatsanwaltschaft Braunschweig bestätigt der Volksstimme, dass es eine gemeinsame Durchsuchung des Grundstücks mit dem BKA im Jahr 2018 gegeben hat. Zu den Einzelheiten und Ergebnissen wollte er sich aber nicht äußern“, heißt es in der Zeitung. Noch heute befindet sich in den leerstehenden Ruinen massenweise Müll und Unrat. Darunter auch ein schrottreifer Pkw.

      Schönebecks Pressesprecher Frank Nahrstedt zu den Fällen Inga und Maddie

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        Auch eine neue Spur zu Vermisstenfall René?

        Nach Informationen des Kölner Stadt-Anzeigers prüft die Polizei auch einen möglichen Zusammenhang zum Vermisstenfall René Hasee. Der Sechsjährige aus Elsdorf bei Bergheim war im Sommerurlaub an der portugiesischen Algarve 1996 am Strand verschwunden, als seine Mutter und ihr Lebensgefährte ihn für einen Moment aus den Augen gelassen hatten.

        Auch die Staatsanwaltschaft Brügge ermittelt

        Auch die Staatsanwaltschaft Brügge hat nun Ermittlungen aufgenommen. Sie prüft, ob der Verdächtige im Fall Maddie mit dem Mord an der Deutschen Carola Titze zu tun hat. Darüber berichten belgische Medien. Sie wurde im Jahr 1996 verstümmelt in den Dünen von De Haan gefunden, wo sie mit ihren Eltern Urlaub machte. Nur Tage zuvor habe die damals 16-Jährige einen jungen Deutschen kennengelernt, der mit seiner gerichtlichen Vergangenheit prahlte. Am 5. Juli 1996 ging die Teenagerin am Strand spazieren und kehrte nie mehr zurück.

        Bewachung in Braunschweig

        Vor knapp zwei Jahren hat die Braunschweiger Polizei den als gefährlich geltenden Sexualstraftäter zwischen zwei Inhaftierungen rund um die Uhr bewacht. Ein Beamter aus dem Ermittlerkreis erinnert sich im Gespräch mit unserer Zeitung an die Tage mit dem Mann, über den es, wie man heute weiß, damals schon den Verdacht gab, die kleine Maddie aus dem Hotelzimmer in Portugal entführt zu haben. „Wir hielten ihn für sehr gefährlich“, erinnert sich ein Ermittler im Gespräch mit unserer Zeitung.

        Kriminalistik-Experte: Auch kleinste Spuren können helfen

        Bei der Suche nach einem Straftäter können laut dem Kriminalistik-Experten Bernd Fuchs auch die kleinsten Spuren nach Jahren noch zur Lösung des Falles beitragen. „Da ist jede Dienststelle gut beraten, die Asservate gut aufzubewahren“, sagte der Chefredakteur der Fachzeitschrift „Kriminalistik“ und ehemalige Kriminaldirektor der Deutschen Presse-Agentur. Gerade mit den Fortschritten in der DNA-Technik täten sich ungeahnte Möglichkeiten auf.

        Entscheidend sei aber auch, welche Ermittlungsmethoden das Gesetz den Ermittlern erlaube. In Österreich etwa sei es – im Gegensatz zu Deutschland – erlaubt, Mautdaten für polizeiliche Ermittlungen auszuwerten. Dies hatte zum Beispiel im Jahr 2017 dazu beigetragen, dass ein Fernfahrer als Mörder einer 27-jährigen Joggerin aus Baden-Württemberg überführt werden konnte. Drei Jahre zuvor soll er in Österreich eine 20-jährige Französin ermordet haben.

        Bei Kapitalverbrechen wie Mord, Totschlag oder schwerem Raub mit Todesfolge würden die Ermittlungsakten auch nach Jahren nicht geschlossen, erklärt Fuchs. Die alten Erkenntnisse müssten immer wieder neu bewertet werden. „Bei Fällen mit vermissten Personen zum Beispiel wird das abgeglichen mit unbekannten Toten, die in der Zwischenzeit gefunden wurden.“ Doch gerade bei unbekannteren Fällen, die nicht so stark im Focus der Öffentlichkeit stünden, sei manchmal ein besonderer Ehrgeiz seitens der Ermittler nötig, um dem Täter letztlich auf die Schliche zu kommen.

        Ehemaliger Bundesrichter Fischer zeigt sich skeptisch

        Der frühere Bundesrichter und Strafrechtsexperte Thomas Fischer ist skeptisch, dass der Fall tatsächlich kurz vor der Aufklärung steht. In in der Reihe des SWR2 TrueCrime-Podcasts sagte Fischer, er sei nicht überzeugt, dass die aktuellen Ermittlungsergebnisse für eine Anklage reichten. „Es gibt eine klare Indizienlage, aber keinen zwingenden Beweis.“

        Auch, dass Madeleine McCann tot ist, sei nicht mehr als eine Hypothese der Ermittler. „Man weiß nicht, ob das Kind tot ist oder nicht“, sagte Fischer. „Es gibt gewisse Plausibilitäten, die sich aus kriminalistischen Erfahrungen speisen, die aber, wie ich finde, mit einer gewissen unangenehmen Untertönung verbreitet werden, auch von den Ermittlungsbehörden.“ Fischer sagte: „Wenn die Staatsanwaltschaft mehr wüsste, würde sie auch mehr sagen.“

        Die bislang bekannten Indizien gegen den Mann, der derzeit wegen eines anderen Deliktes in Kiel in Haft ist, überzeugen den Strafrechtsexperten nicht. „Es wäre ein Fehler, sich zu früh festzulegen und zu sagen, der war dort, der ist vorbestraft, der sagt auch nichts, der wird es wohl gewesen sein.“ Das Ganze Gespräch ist ab Montag zu hören.

        Wenn Kinder oder Jugendliche verschwinden

        Alljährlich werden in Deutschland Tausende Kinder als vermisst gemeldet. Die allermeisten von ihnen tauchen bald wohlbehalten wieder auf, doch manche Fälle bleiben mysteriös oder werden erst viele Jahre später geklärt. Sechs Beispiele:

        Rebecca: Seit Februar 2019 fehlt von der damals 15-Jährigen aus Berlin jede Spur. Zuletzt wird sie im Haus ihrer Schwester gesehen. Die Polizei verhaftet zunächst den Schwager, lässt ihn aber bald wieder frei. Die Familie geht von einer Entführung aus.

        Stephanie: Rund 27 Jahre nach dem Tod der Zehnjährigen aus Weimar wird ihr Mörder 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Mann hatte das Mädchen 1991 entführt, missbraucht und getötet.

        Inga: 2015 verschwindet die damals Fünfjährige aus einem Wald bei Stendal in Sachsen-Anhalt. Trotz intensiver Fahndung gibt es bis heute keine Spur.

        Peggy: Rund 15 Jahre nach dem Verschwinden der Schülerin (damals neun) findet ein Pilzsammler 2016 Teile ihres Skeletts, knapp 20 Kilometer von ihrem Heimatort in Oberfranken entfernt. Das Rätsel um

        Peggys Tod ist aber bis heute ungeklärt.

        Hilal: Die zehnjährige Hamburgerin darf sich zur Belohnung für ein gutes Zeugnis Süßigkeiten kaufen - und kommt nicht mehr nach Hause. 20 Jahre nach ihrem Verschwinden startet die Polizei 2019 einen neuen Zeugenaufruf. Doch von dem Mädchen fehlt weiterhin jede Spur.

        Adelina: 2001 besucht die Zehnjährige aus Bremen ihren Urgroßvater und kehrt nicht nach Hause zurück. Drei Monate später wird sie tot in einem Wald gefunden. Der bis heute unbekannte Täter hatte sie sexuell missbraucht.