Braunschweig. Was Ärzte, Krankenhäuser und Apotheker zum Beginn der Schnief- und Husten-Saison sagen – und zu einem Ärgernis bei der Corona-Impfung.

Die Schwester ruft an: Corona. Auch die Kollegin eines Freundes hat das Virus erwischt. Oh, und wenn man noch etwas überlegt, fallen einem bestimmt noch ein paar ein, die schniefend und keuchend und jedenfalls krank zu Hause sitzen oder sogar liegen. Auch die Apotheke nebenan hat ihre Anti-Erkältungspräparate jetzt ins Schaufenster gelegt. Ach je! Wie hoch wird die Welle wohl schwappen? Spiel mir das Lied vom Virus! Erwischt es bald uns alle?

Nein, das war jetzt ein falscher Ansatz; viel zu subjektiv, viel zu alarmistisch. Wer einen Überblick nach Beginn der „Erkältungssaison“ nur interessant findet, wenn der baldige Weltuntergang oder die völlige Entwarnung verkündet wird, könnte jetzt schon die Lektüre einstellen.

Einschätzungen aus der Ärzteschaft, aus Apotheken und aus dem Landesgesundheitsministerium lassen sich eher so zusammenfassen: Die Zahlen steigen, auch und gerade in Sachen Corona. In Ermangelung stichhaltiger Zahlen vor Ort wird in diesem Zusammenhang oft eine Studie der Universitätsmedizin Mainz zitiert. Wenn man deren Zahlen aufs ganze Land überträgt, könnte man von etwa 1,2 Millionen mit Corona infizierten Erwachsenen in Deutschland ausgehen.

Das ist alles andere als wenig, womöglich jedoch eine Art „Corona-Normalität“. Jedenfalls besteht – womit kein Einzelfall verharmlost werden soll! – den Experten zufolge zum Vollalarm kein Anlass. Dr. Marion Renneberg zum Beispiel, die seit über dreißig Jahren Hausärztin ist (und außerdem stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen) sagt unserer Zeitung dazu: „Ja, es gibt derzeit mehr Erkältungskrankheiten. Die Lage ist wieder angespannter. Doch man kann sich schützen. Und wir können die Patienten natürlich behandeln. Von Panikmache halte ich gar nichts. Wir müssen so oder so mit den Infekten leben.“

Was sagen die Ärzte zur Erkältungssaison?

Die Schutzmaßnahmen während der Pandemie sorgten dafür, dass die Zahl „normaler“ Infektionen unter dem Durchschnitt lag. Dieser Effekt ist passé, wie Detlef Haffke auf Anfrage unserer Zeitung für die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen festhält. „Das Infektionsgeschehen in Niedersachsen liegt wieder auf dem Niveau wie in den Jahren vor der Pandemie. Die Atemwegserkrankungen bilden das gesamte Spektrum ab.“ Haffke zufolge nimmt das Interesse an Corona-Impfungen in den Arztpraxen zu – allerdings auf eher niedrigem Niveau. Dass nicht nicht alle Ärztinnen und Ärzte ihre Patienten gleich impfen, liegt laut Haffke daran, dass der Impfstoff nur so ausgeliefert wird, dass aus einem „Vial“ (Glas) die Dosen für sechs Impfungen entnommen werden müssen. Viele Praxen würden deshalb zunächst Impfwünsche sammeln und nur an einem bestimmten Tag in der Woche impfen, damit der restliche Impfstoff aus einem „Vial“ nicht weggeworfen werden muss.

Zwar würden die Hersteller auch Einzelimpfstoffdosen produzieren. Die würden aber vor allem im Ausland vertrieben, was Haffke nicht weniger ärgerlich findet als die „überbordende Bürokratie bei der Corona-Impfung“, die nämlich nicht weniger als dreimal dokumentiert werden müsse. „Da produziert man eine Menge Formulare, die niemandem nutzen.“

Wenn von Ärzten in Harnisch die Rede ist, denkt man gleich an Dr. Carsten Gieseking aus Müden, den temperamentvollen Regionalchef des Hausärzteverbandes. Gieseking schickt auch gleich eine Suada, in der er die speziellen Belastungen dieser Wochen zu strukturellen Problemen ins Verhältnis setzt. „Wir sind voll und ganz in der Infektwelle mit einer maximalen Belastung der Praxen, da wir ,nebenbei‘ ja auch noch Grippe- und Corona- (und Zoster- und Pneumonie-) Impfungen machen, unser ,normales’ Tagesgeschäft haben, mit Bürokratie und Telematrikstruktur-Anforderungen überschüttet werden und insgesamt schlechte Laune haben, weil sowohl die merkantile als auch die tatsächliche Wertschätzung durch die Politik sich nur noch auf die Rettung der Krankenhäuser richtet und es völlig vergessen wird, dass Inflation, steigende Energiekosten, steigende Mieten, steigende Löhne (sehr zu Recht) unserer Angestellten uns als niedergelassene Ärzte genauso treffen wie den stationären Bereich! Die Stimmung in der Ärzteschaft habe ich in den letzten dreißig Jahren noch nicht so frustriert erlebt wie jetzt.“

Was Corona-Infektionen angeht, bestätigt Gieseking den Befund, dass die Erkrankung sich in puncto Intensität nicht von anderen grippalen Infekten unterscheide, so dass die Corona-Frage im Einzelfall beinahe irrelevant sei. „Auf jeden Fall machen wir mehr Grippeimpfungen als Corona-Auffrischungen“, bemerkt der Müdener Hausarzt, bevor er – apropos Strukturprobleme – noch auf eine Podiumsdiskussion am 14. November verweist (siehe Info am Ende dieses Textes).

Was sagt die Landesregierung zur Erkältungssaison?

Auch das Landesgesundheitsministerium stellt fest, dass das Infektionsgeschehen in etwa auf Vor-Pandemie-Niveau liege – im Gegensatz zum Herbst 2022, der von einer frühen und heftigen Erkältungswelle gekennzeichnet war. Um die Lage möglichst rasch möglichst genau beurteilen zu können, werden im Rahmen eines Projekts mit der AOK Niedersachsen Krankschreibungen von Personen mit einem Atemwegsinfekt regelmäßig ausgewertet. Auch hier zeigt sich, dass die Zahl der entsprechenden Krankschreibungen in den letzten Wochen angestiegen ist.

Das Landesgesundheitsamt beobachtet zudem den Verlauf der Influenza/Grippe und anderer Erkältungskrankheiten (RSV, Corona) nach regionalen Schwerpunkten. Auf der Karte für die letzte Oktoberwoche etwa gab es nirgendwo die Einstufung „sehr hoch“, allerdings für Braunschweig, Salzgitter und die Kreise Helmstedt und Celle die Einstufung „hoch“. Demgegenüber lautet die Einstufung für die Kreise Peine und Göttingen „mittel“ und für die Kreise Wolfenbüttel und Gifhorn „gering“ (Wolfsburg und Goslar wurden nicht beobachtet.) Bezüglich der gefährlichen Influenza teilt das Ministerium mit, dass in der letzten Oktoberwoche landesweit 11 laborbestätigte Influenzafälle in Niedersachsen vorgekommen sind.

Was sagen die Krankenhäuser zur Erkältungssaison?

„Die Krankenhäuser in Niedersachsen sind auf einen Anstieg von Atemwegserkrankungen vorbereitet.“ Mit diesem Satz eröffnet Helge Engelke, Verbandsdirektor der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft, sein Statement auf Anfrage unserer Zeitung. Man erwarte derzeit „keine Höchst- oder Überlastung durch Corona-Infektionen“, meint Engelke und mahnt: „Um vermeidbaren Belastungen in den Krankenhäusern vorzubeugen, ist es wichtig, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen und sich entsprechend verantwortungsvoll verhalten“ – womit er besonders den Verzicht auf Besuche im Krankenhaus meint, sofern die Besuchenden Erkältungssymptome an sich beobachten. Auch das Klinikum Braunschweig teilt mit, dass es derzeit keine keine schwere Welle intensivpflichtiger Covid-Patientinnen und Patienten erwartet. Unter Umständen habe man aber mit einem hohen Krankenstand beim Personal zu rechnen.

Das Klinikum Wolfsburg empfiehlt aktuell allen Patienten und Besuchenden das Tragen einer medizinischen OP-Maske bzw. einer FFP2-Maske. Eine Maskenpflicht gelte derzeit jedoch nicht. „Der aktuelle Trend lässt vermuten, dass die Zahl der Infektionen weiter steigen wird“, glaubt man in Wolfsburg.

Aus dem Klinikum Wolfenbüttel heißt es am Dienstag, es gebe derzeit keine Covid-Patienten auf der Intensivstation. Die Ursache definiert Dr. Tobias Jüttner, der Ärztliche Direktor in Wolfenbüttel, so: „Aufgrund der hohen Grundimmunisierungsquote in der Bevölkerung nimmt ein Großteil der Erkrankungen lediglich einen leichten Verlauf bzw. erfolgt sogar symptomlos.“ Nichtsdestotrotz rät auch Jüttner allen über sechzig, sich eine Auffrischungsimpfung zu gönnen.

Was sagen die Apotheken zur Erkältungssaison?

Wie gesagt: Die Saison hat begonnen. Die Apotheken in Niedersachsen stellen einen starken Anstieg von Antibiotika-Verordnungen fest. „Viele Patientinnen und Patienten fragen zudem in den Apotheken nach Antigen-Selbsttests auf das Coronavirus“, teilt die Apothekerkammer unserer Zeitung mit. Die Braunschweiger Bezirksapothekerin Ines Eder bestätigt den Befund ausdrücklich – und lobt ihre Kundinnen und Kunden. „Sehr positiv fällt auf, dass die meisten freiwillig eine Maske tragen, um andere nicht anzustecken.“ Überhaupt sei die Masken-Nachfrage gestiegen, so Eder, deren Fazit den gesamten Teils-teils-Charakter dieses Überblicks gut zusammenfasst: „Alles in allem hat man das Gefühl, dass die Corona-Zahlen wieder auf recht hohem Niveau sind und die Menschen von leichten Erkältungssymptomen bis hin zu schwerem Krankheitsgefühl unterschiedlich auf die Corona-Infektion reagieren.“

Öffentliche Ärzte-Debatte in Braunschweig

„Der Frust ist groß, unsere Arbeitsbedingungen werden immer schlechter!“ Mit diesem Satz beginnt die Einladung des Hausärzteverbands zur öffentlichen Diskussions- und Protestrunde am Dienstag, 14. November, 20 Uhr, in der Wilhelmstraße 5 in Braunschweig. Auch Thorsten Schmidt (KVN) und Marion Renneberg (Ärztekammer) werden an der Hausärzte-Diskussion teilnehmen.