Hannover. Es müsse sich etwas ändern, sagt Ministerin Barbara Otte-Kinast. Die Zahl der Corona-Infektionen nimmt auch in niedersächsischen Schlachthöfen zu.

Wegen der vielen Corona-Infektionen auf Schlachthöfen nimmt Niedersachsens Agrarministerin die Branche in die Pflicht, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Praxis der Werkverträge gehöre auf den Prüfstand und eine gerechte Entlohnung müsse unbedingt gewährleistet werden, sagte Barbara Otte-Kinast (CDU) am Mittwoch. „Fest steht: Es muss sich etwas ändern in der Schlachtbranche!“

Die Unternehmen sollten zudem ihre Pandemiepläne überprüfen. „Wenn es in diesen besonderen Zeiten erforderlich ist, in bestimmten Bereichen der Betriebe die Kapazitäten herunterzufahren, um die Sicherheit der Mitarbeiter zu gewährleisten, dann muss das jetzt geschehen: zum Wohle der Mitarbeiter und der Allgemeinheit.“

In der Debatte um Billigfleisch laden Bundesagrarministerin Julia Klöckner, Otte-Kinast und Nordrhein-Westfalens Ressortchefin Ursula Heinen-Esser (alle CDU) am Freitag zu einem Branchengespräch. Mit Vertretern von Tierhaltern, Schlachtereien, Ernährungswirtschaft, Handel und Verbraucherschützern soll über Konsequenzen beraten werden. Auch das Bundeskartellamt, Tierschützer und Tierärzte werden zu dem Treffen erwartet.

Zahl der Corona-Infektionen in niedersächsischen Schlachthöfen steigt

Die Zahl der an Covid-19 infizierten Schlachthof-Beschäftigten in Niedersachsen ist am Mittwoch in den Kreisen Oldenburg und Cloppenburg weiter gestiegen. In einem Putenschlachthof von Wiesenhof in Wildeshausen bei Oldenburg erhöhte sie sich nach Unternehmensangaben von 23 auf 35. Auch der Landkreis Cloppenburg meldete einen Corona-Ausbruch in einem Schlachthof im oldenburgischen Essen. Dort wurden vier Personen positiv getestet.

Wildeshausen: Eine Flagge vom Wiesenhof weht im Wind. Unter der Belegschaft des zur Wiesenhof-Gruppe gehörenden Putenschlachthofs wurde mit einem Corona-Massentest begonnen.
Wildeshausen: Eine Flagge vom Wiesenhof weht im Wind. Unter der Belegschaft des zur Wiesenhof-Gruppe gehörenden Putenschlachthofs wurde mit einem Corona-Massentest begonnen. © dpa | Sina Schuldt

Bei dem Wiesenhof-Betrieb in Wildeshausen wurden bislang 341 der rund 1.100 Beschäftigten getestet. Bis Freitagnachmittag sollen alle Testergebnisse vorliegen. Der Betrieb soll nach Unternehmensangaben fortgesetzt werden.

Unter den 35 Infizierten befinden sich vier Festangestellte und 31 Arbeiter mit Werkvertrag. In Absprache mit den Behörden seien die Beschäftigten sowie Kontaktpersonen umgehend ermittelt worden und befänden sich in Quarantäne.

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Alle 35 positiv Getesteten haben sich dem Unternehmen zufolge privat eine Unterkunft angemietet, nur eine der Personen wohne in einer Gemeinschaftsunterkunft. Nach Angaben eines Sprechers des Landkreis Oldenburg wohnen die Betroffenen in diesem Landkreis sowie den Nachbarkreisen Cloppenburg, Diepholz, Vechta sowie in Delmenhorst.

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In dem Essener Betrieb seien die Infektionen durch Tests ans Licht gekommen, die das Unternehmen regelmäßig selber vornehme, teilte der Landkreis Cloppenburg mit. Weitere Tests habe das Unternehmen auf eigene Kosten in die Wege geleitet. Am Mittwoch seien 300 Beschäftigte aus dem engeren Arbeitsumfeld der Betroffenen getestet worden. Insgesamt arbeiten bei dem Schlachthof rund 1.500 Mitarbeiter. Sämtliche positiv Getesteten und Menschen aus ihrem Umfeld seien in Quarantäne, so der Landkreis. Zuletzt seien am 18. Juni 300 Angestellte des Betriebs negativ auf Corona getestet worden.

Gewerkschaft fordert Untersuchung aller Schlachthof-Arbeiter

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fordert wegen der Neuinfektionen die sofortige Untersuchung aller Beschäftigten. In Teilen der Branche würden die Hygieneregeln locker gehandhabt, wodurch Leiharbeiter, Werkvertragsarbeiter und Stammbeschäftigte in ihrer Gesundheit bedroht seien, sagte der für Oldenburg und Ostfriesland zuständige NGG-Chef Matthias Brümmer. Erneute Reihentestungen unter den gut 17.000 Beschäftigten der Fleischindustrie lehnt Niedersachsen bislang ab.

Aus den Betrieben meldeten sich immer mehr besorgte Betriebsräte. In den vergangenen Tagen sei es oft zum Austausch von Leiharbeitern und Werkarbeitern gekommen, bei denen niemand die Herkunft erklären könne. „Da entwickelt sich ein gewaltiges Bedrohungspotenzial, das den Fortbestand einer ganzen Branche gefährdet und die Gesundheit der Bevölkerung mit bedroht“, sagte Brümmer.

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Schon am Vortag hatten die großen Schlachtkonzerne Tönnies, Westfleisch und PHW angekündigt, mit dem kommenden Jahr in großem Umfang auf Werkarbeiter zu verzichten und diese fest anzustellen. Der seit Jahren für die Belange der oft aus Osteuropa stammenden Werkarbeiter kämpfende katholische Pastor Peter Kossen zeigte sich angesichts dieser Ankündigungen skeptisch. „Ich habe immer den Verdacht, dass da etwas vorweggenommen wird, damit es gar nicht erst eintritt“, sagte Kossen der Deutschen Presse-Agentur dpa.

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    Unterdessen dürfen Touristen aus den Kreisen Gütersloh und Warendorf in Niedersachsen bald nur noch mit ärztlichem Attest in Hotels, Ferienwohnungen oder auf Campingplätzen übernachten. Die Landesregierung in Hannover reagierte mit dieser Regelung auf den Corona-Ausbruch im Schlachtbetrieb Tönnies. Wer aus den beiden Kreisen kommt, benötigt von diesem Freitag an eine Bescheinigung über einen Covid-19-Test, der keine Infektion ergab, teilte das Gesundheitsministerium am Mittwochabend mit.

    Ohne ein solches Attest gilt ein Beherbergungsverbot. Vor dem Hintergrund, dass andere Ferienländer wie Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern als Urlaubsregionen für Menschen aus diesen Kreisen nicht mehr in Betracht kommen, wäre ein Ausweichen auf Niedersachsen zu befürchten gewesen, hieß es. Die Verordnung gilt vorerst bis zum 5. Juli. /dpa

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