„Sie sind gereizt, unausgeglichen, traurig. Während sie das weltweite Netz auf Bildschirmen betrachten, sind sie in ihren vier Wänden eingesperrt.“

Wie steht es um die beiden größten Verlierergruppen der Corona-Pandemie, SchülerInnen und Studierende? Sie liegen abgespannt auf ihren Betten, den Laptop vor der Nase, das Smartphone in der Hand. Sie sind in sozialen Netzwerken unterwegs, sie gucken Filmchen. Sie bearbeiten Hausaufgaben, gelegentlich sind aus ihren Geräten menschliche Stimmen zu hören, die davon künden, dass gerade tatsächlich eine digitale Schwindform von Unterricht und Lehre stattfindet.

In ihren vier Wänden eingesperrt

Es geht ihnen nicht gut. Sie sind gereizt, unausgeglichen, traurig, einsam. Während sie das weltweite Netz auf Bildschirmen betrachten, sind sie in ihren vier Wänden eingesperrt. Praktisch alternativlos. Seit Monaten. De facto Einzelhaft, mit ein paar Geschwistern vielleicht, und teils ebenfalls eingepferchten Eltern als Wärtern.

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Niemanden trifft es so hart wie Menschen in der Adoleszenz

Klar dürfen sie mal rausgehen. Aber weshalb geht man raus, im Alter von 4 bis 34 Jahren? Um Freunde und Freundinnen zu treffen, potenzielle PartnerInnen, echte PartnerInnen. Nie ist die Sehnsucht danach so groß wie in diesem Lebensabschnitt, in dem man sich sozial erproben, bewähren und erfüllen muss. Das zu unterbinden, ist eine brutale Einschränkung, die niemanden so hart trifft wie Menschen in der Adoleszenz. Wir Älteren haben unsere Partner und Partnerinnen meist gefunden, unsere Familie, unsere Arbeit. Das Bedürfnis nach Begegnung ist nicht mehr so brennend.

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Wäre ich vor 35 Jahren brav zu Hause geblieben?

Wie hätte ich reagiert, wenn man mir vor 35 Jahren als Teenager das soziale Leben weitgehend untersagt hätte? Hätte ich mich daran gehalten? Wegen eines für mich wohl eher mäßig gefährlichen Virus, eines hinnehmbaren Risikos angesichts der Zumutung des Verlusts von Freunden, sozialen Bindungen, Bildung, Popkultur, Sport, der Freiheit, die Möglichkeitsräume der Jugend auszumessen, dieser so kostbaren, so kurzen Lebensphase. Wäre ich wirklich brav zu Hause geblieben?

Jugend ist einsichtig und pflichtbewusst

Die Jugend heute ist so was von einsichtig und pflichtbewusst. Die allermeisten halten sich an die Regeln, weitestgehend, begehren nicht auf, unterlaufen kaum die selbstverständlich erwartete wie verordnete Solidarität mit uns Älteren, die ihnen, den Jungen, besonders viele Opfer abverlangt. Im Gegenzug sollen sie als letzte geimpft werden, während der Rest der Gesellschaft über ihre Köpfe hinweg bereits heftig darüber diskutiert, den Älteren, Geimpften ihre Freiheitsrechte besser heute als morgen zurückzugeben.

Recht auf Bildung beschnitten

Neben den sozialen Kontakten wird SchülerInnen und Studierenden auch das Recht auf Bildung beschnitten. Es ist eine gruselige Vorstellung, sich das Studieren als ewiges einsames Brüten vor dem Laptop auszumalen. Aber genau so ist es. Rein kognitiv mag das für Studierende technischer Fächer noch angehen, aber auch die brauchen letztlich den Austausch, der in Sozial- und Geisteswissenschaften essenziell ist. Lehre nur mehr oder weniger holprig digital – das ist eine absolute Schwundform von Studium.

Kein Ausgleich für Schülerinnen und Schüler

Für Schülerinnen und Schüler ist es mindestens genau so mies. Seit Mitte Dezember hatten die meisten lediglich eine Handvoll Tage Präsenzunterricht. Ansonsten: zu unregelmäßigen Zeiten Mails mit Aufgaben und gelegentliche Videokonferenzen in der heimischen Zelle. Wenig Interaktion, wenig Struktur. Und immer allein. Zum Ausgleich – gibt es nichts. Kein Sport, kaum Musikunterricht, keine Treffen, geschweige denn Partys.

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Treffen vorzugsweise draußen, aus Vernunftgründen

Unsere Töchter verlassen hin und wieder das Haus, um eine Freundin zu sehen. Manchmal kommen sie erst spätabends zurück, teils jämmerlich durchgefroren in diesem ewig langen Endzeitwinter. Sie treffen sich vorzugsweise draußen, aus Vernunftgründen, wegen Corona, meist in Parks. Möglicherweise kommen da auch noch andere Jugendliche zusammen. Wir bohren nicht gerade unerbittlich nach, das Privatleben unserer Töchter geht uns nur bedingt etwas an.

Nichts scheint sich zum Guten zu kehren

Aber wir bekommen mit, dass sie trauriger, blasser, hoffnungsarmer, antriebsloser werden. Nichts scheint sich zum Guten zu kehren. Selbst wenn die Impfquote steigt – wann werden die Schule und der Campus wieder so lebendig sein wie früher? Werden Clubs und Kneipen in diesem Jahr wieder aufmachen dürfen? Werden sie die Pandemie überhaupt überleben? Wann wird es wieder Popkonzerte geben? Wann Feste, um das Leben zu feiern? Das Leben, wenn es am intensivsten ist. Das Leben, das die Jugend gerade verpasst. Und das Leben vielleicht die Jugend.

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Die Jugend erbt einen Berg Schulden

Zugleich werden öffentliche Gelder mit der Bazooka rausgefeuert, wie der Finanzminister sagt, ein alter weißer Mann. Aber nicht für SchülerInnen und Studierende. Das Geld geht an Tui und die Lufthansa, nicht in Belüftungsanlagen für Klassenräume und Hörsäle. Investitionen in Bildung und Lehre? Es bleibt bei vagen Plänen. Klar ist nur: Die Jugend erbt einen Berg Schulden.

Die Interessen der Jugend werden rückhaltlos geopfert

Vom schlechten Klimakarma mal ganz abgesehen. Was machen wir da eigentlich gerade, wir Älteren, auf Kosten der Jungen? Die ewige Leier lautet: Der weitgehende Dauer-Lockdown ist alternativlos. Mit diesem Mantra opfern wir die Interessen der Jugend rückhaltlos auf dem Altar der Pandemiebekämpfung. Dabei sollte man abwägen. Körperliche Gesundheit ist wichtig. Aber seelische Gesundheit und Zukunftschancen sind es auch.

Bildungs-Lockdown nicht nachvollziehbar

Draußen ist das Infektionsrisiko gering. Treffen kleiner Gruppen, gut organisierte (Pop-)Kultur und Sport sollten so bald als möglich wieder zugelassen werden. Und vor allem müssen Schulen und Universitäten wieder öffnen.

Wieso waren die in Niedersachsen überhaupt bis Mittwoch geschlossen, wenn das neue Infektionsschutzgesetz das doch erst ab einer Inzidenz von 165 vorschreibt? Wieso darf überall gearbeitet werden, während Schulen und Universitäten zugesperrt sind? Angesichts mittlerweile überall verfügbarer Schnelltests ist der Bildungs-Lockdown nicht nachvollziehbar. Es sei denn als nachdrückliches Statement: Eure Belange, liebe SchülerInnen und Studierende, euer Glück und eure Zukunft zählen als allerletztes.

Meine Impfung kann warten

Apropos zu allerletzt: Warum werden Studierende und SchülerInnen ab 16 eigentlich nicht priorisiert geimpft? Als wenigstens kleiner Ausgleich und Dankeschön für ihre Solidarität? Ich bin 51 und komme mit dem Homeoffice einigermaßen zurecht. Meine Impfung kann warten.