Was nicht hilft, sind wahllose Theorien über den Grund der Fehlbildungen

Für Eltern eines Säuglings muss es ein Schock sein, wenn ihrem neugeborenen Kind eine Hand fehlt. So ist es drei Elternpaaren ergangen, deren Nachwuchs in diesem Sommer in einem Gelsenkirchener Krankenhaus zur Welt kam . Wie kann es sein, dass ein Kind ohne Hand zur Welt kommt? Wie kann das dreimal in einem Jahr im selben Krankenhaus auftreten? Diese Fragen sind allzu berechtigt.

Nachdem der Fall öffentlich geworden ist, melden sich immer mehr Eltern aus anderen Teilen Deutschlands, deren Kinder das gleiche Schicksal haben. In einigen Fällen deutet sich eine sonderbare Häufung an wie in Gelsenkirchen. Ist das Zufall? Oder gibt es einen Grund, den noch keiner kennt? Es werden Erinnerungen wach an den Contergan-Skandal.

Damals, Ende der 50er- und zu Beginn der 1960er-Jahre, löste ein Medikament mit diesem Namen massenhaft Fehlbildungen bei Neugeborenen aus. Die Entdeckung des Zusammenhangs dauerte mehrere Jahre, die juristische Aufarbeitung sogar mehrere Jahrzehnte. Das Verhalten der Bundesregierung, der Bundesländer und anderer staatlicher Stellen war damals alles andere als vorbildlich. Diese Erfahrungen wirken nach.

Wann und wo wurden Säuglinge ohne Hand geboren? Welche Gemeinsamkeiten verbinden die Eltern? Das ist medizinische Detektivarbeit, die die Mitarbeit aller verlangt: Die betroffenen Eltern müssen sensible medizinische Daten ebenso herausgeben wie die Kliniken. Behörden müssen sie zur Aufklärung sammeln dürfen.

Anders als vor 60 Jahren läuft diese Aufklärung jetzt aber schnell an. Binnen weniger Tage will die Landesregierung Nordrhein-Westfalens einen Überblick über die Fehlbildungen in dem Bundesland haben . Ärzte und Behörden können und müssen nun zeigen, wie viel sie aus dem Contergan-Skandal gelernt haben. Was nicht hilft, sind wahllose Theorien über den Grund der Fehlbildungen.