„Mit Vorliebe statuiert der türkische Präsident Exempel, unerbittlich und gnadenlos. Es gibt Tausende Beispiele.“

Auf die öffentliche Verunglimpfung eines Staatspräsidenten stehen hohe Strafen, in Deutschland bis zu fünf Jahre Haft. Daran muss man erinnern, weil in Ankara am Donnerstag der Prozess gegen einen Mann aus Braunschweig begann, der Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf Facebook als „Kindermörder“ bezeichnet haben soll. Auch Politiker sind kein Freiwild und die sozialen Netzwerke keine privaten, rechtsfreien Räume.

Eine Besonderheit des deutschen Rechts ist, dass solche Taten lediglich mit der Ermächtigung des Bundespräsidenten verfolgt werden können. Meist haben die Präsidenten aber davon abgesehen, weil sie ihr Amt souverän ausübten und ihre Schmäher mit Milde und Toleranz beschämten. Das ist ein Reaktionsmuster, das Erdogan offensichtlich wesensfremd ist. Mit Vorliebe statuiert der türkische Präsident Exempel, unerbittlich und gnadenlos. Es gibt Tausende Beispiele dafür.

Der zweite große Unterschied ist, dass man inzwischen Zweifel haben muss, ob ein Angeklagter in der Türkei überhaupt noch ein faires Verfahren bekommt. Und so muss jeder, der das Glück hatte, aus der Untersuchungshaft in der Türkei entlassen zu werden und nach Deutschland zurückkehren zu dürfen, sich zweimal überlegen, ob er das Risiko auf sich nimmt, zur Hauptverhandlung wieder in das Land zu reisen.

In Berlin tritt der türkische Journalist Can Dündar nur noch unter Polizeischutz öffentlich auf. Und es klingt glaubhaft, was in der Hauptstadt die Runde macht, nämlich, dass Autos gesehen wurden, die denen einer berüchtigten türkischen Polizeieinheit ähneln. Die Beispiele zeigen eine Strategie der Einschüchterung. Und man ahnt, was solche Erfahrungen mit den Türken in Deutschland, beziehungsweise mit den türkischstämmigen Deutschen machen. Sie erzeugen Verunsicherung und ein Klima der Angst.