„Die Höhe des Kindergelds dürfte nicht mehr nach dem Wohnort des Kindergeldbeziehers bemessen werden.“
Wer in Deutschland lebt, bekommt pro Kind und Monat rund 200 Euro vom Staat. Bei drei Kindern summiert sich das Kindergeld auf etwa 600 Euro. In Bulgarien oder Rumänien liegt der Durchschnittslohn kaum darüber. Auch in Polen oder Tschechien sieht es nicht viel besser aus. Für manche EU-Ausländer kann es sich also schon wegen des Kindergelds lohnen, nach Deutschland zu ziehen. Doch gerade weil diese Rechnung so einfach klingt und daraus so leicht Empörung wächst, ist es wichtig, genau hinzusehen: Es gibt kriminellen Missbrauch von deutschen Sozialleistungen – nicht nur in Einzelfällen, sondern systematisch. Es gibt aber auch die große Gruppe der anderen: EU-Ausländer, die in Deutschland wohnen, arbeiten und genauso Kindergeld beziehen wie ihre deutschen Kollegen.
Im Juni überwies der Staat für knapp 270 000 Kinder von EU-Ausländern, die in Deutschland wohnen, deren Familie aber im Heimatland lebt, Kindergeld. Die meisten der Kindergeldbezieher kommen aus Polen, gefolgt von Tschechien, Kroatien und Rumänien. In dieser Gruppe finden sich Pfleger, Handwerker, Wissenschaftler – Menschen also, die Deutschland dringend braucht.
Anders ist die Lage in jenen Stadtvierteln im Ruhrgebiet, wo der Missbrauch offen sichtbar wird. Die Behörden beklagen seit Jahren, dass Schlepper vor allem Sinti und Roma aus Osteuropa anlocken, in Schrottimmobilien unterbringen und mit zum Teil falschen Angaben Kindergeld und andere Sozialleistungen erschleichen.
Um den Missbrauch zu bekämpfen, müsste das europäische Recht geändert werden. Die Höhe des Kindergelds dürfte nicht mehr nach dem Wohnort des Kindergeldbeziehers bemessen werden, sondern nach dem Lebensmittelpunkt des Kindes. Bislang ist das nicht gelungen. Dabei sollten die EU-Staaten im eigenen Interesse für Fairness sorgen, kriminellen Nutznießern den Nährboden entziehen und mit einem funktionierenden Datenabgleich Schlupflöcher schließen. Nur so bleibt die Freizügigkeit der EU-Bürger eine europäische Errungenschaft.
