Der Fall ist auch deshalb interessant, weil er Fragen nach nationaler Eigenständigkeit und ihren Grenzen innerhalb der EU aufwirft.

Zu sagen, Polens Justizreform sei umstritten, wäre eine heftige Untertreibung. Viel Kritik hat das EU-Land schon dafür einstecken müssen, vor wenigen Tagen erst hat die EU-Kommission ein Verfahren wegen Verletzung des EU-Vertrages eingeleitet.

Der vorgezogene Ruhestand für die obersten Richter in Polen wirkt auf den ersten Blick harmlos. Aber: 27 von 72 Richtern sind davon betroffen. Wer länger arbeiten will, muss das beim Staatspräsidenten beantragen – auch, wenn seine Amtszeit eigentlich noch weiterginge. Ein eleganter Weg also für die konservative PiS-Partei, das oberste Gericht grundlegend in ihrem Sinne umzugestalten. Eine unabhängige Justiz, da haben die zahlreichen Kritiker Recht, sieht anders aus.

Der Fall ist auch deshalb interessant, weil er Fragen nach nationaler Eigenständigkeit und ihren Grenzen innerhalb der EU aufwirft. Polens Ministerpräsident fordert den „Respekt der nationalen Identitäten“ ein. Das mag man nicht rundheraus ablehnen. Es muss aber die Frage erlaubt sein, was die Justizreform mit einer „nationalen Identität“, wie auch immer man die definiert, zu tun haben soll.

Zudem gilt: Kein Land innerhalb der EU darf unter dem Deckmantel irgendeiner Identität Dinge für sich reklamieren, die den Grundsätzen der Union widersprechen. Zu letzteren gehört eben auch die unabhängige Justiz als Eckpfeiler des demokratischen Rechtsstaates. Wenn wir diese Grundsätze opfern, ist die EU bald am Ende.