“Zum Ende der Woche ist unserer Region jedenfalls zu wünschen, dass ihr eine Klima-Katastrophe ganz eigener Art erspart bleibt.“

Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen.
Anton Bruckner

Das ist doch mal ein Wort! Satte 95 Prozent weniger Treibhausgase soll unsere Region ausstoßen. Und den Energieverbrauch sollen wir auf die Hälfte reduzieren. Das alles im Vergleich zum Jahr 1990 und mit Wirkung bis 2050. So will es der Regionalverband und beruft sich dabei auf einen breiten Konsens mit Wirtschaft und Kommunen. Im Ruhrgebiet würde man sagen: Boah ey.

Bis 2050 ist es zwar noch ein Weilchen hin. Die Verkünder der Botschaft dürften bis dahin samt und sonders im wohlverdienten Ruhestand weilen, soweit Ihnen das Schicksal überhaupt noch die Chance gibt, das Gelingen ihres Plans zu feiern. Aber 32 Jahre sind ein überschaubarer Zeitraum, wenn man die Dimension der Ziele berücksichtigt.

Hinter der Verkündung stehen seriöse Verbandsleute und Politiker. Sie ist mit dem Hinweis versehen, man sei gegenüber dem Bundesumweltministerium eine Verpflichtung eingegangen. Man kann sie also ernst nehmen.

Nur drängt sich die Frage nach dem Woher, Warum und Wie auf. In welchem Wahlprogramm hätte der Vorschlag einer so drastischen Veränderung gestanden? Wo konnten die Bürgerinnen und Bürger ihre Zustimmung kundtun? Bei welchen Gelegenheiten hätte eine breite Diskussion stattgefunden? Die Frage zielt nicht auf Fachsitzungen im kleinen Kreis!

Und wie soll die Selbstverpflichtung, wonach unsere Heimat zur Modellregion werden soll, mit Leben erfüllt werden? Angesichts der durchaus gemischten Klimaschutz-Bilanz des geeinten Deutschlands keimen Zweifel. Wenn die Bundesrepublik schon hinter weitaus weniger ambitionierten Zielen her hinkt – wie soll dann eine noch sehr viel ehrgeizigere Reduktion der Klimagase hier bei uns gelingen? Und das ohne die kraftvolle Unterstützung drakonischer gesetzlicher Vorschriften! Immerhin ist diese Region das industrielle Herz Niedersachsens – und soll das doch wohl bleiben.

Sicherheitshalber hat man die Großindustrie außen vor gelassen. Wolfsburg wird also nicht zur Biogas-Metropole der Welt umgedacht, die nur durch Schnellradstrecken mit ihrer Umgebung verbunden ist. Und die Salzgitteraner Hütte will auch keiner zum Freizeitpark umwidmen.

Beim Warum fällt die Antwort noch am leichtesten. Eine Region mit diesem technologischen Know-how, mit dieser Forschungskompetenz sollte imstande sein, beispielgebende Lösungen zu erarbeiten. Falls die Initiative noch intensiveres Nachdenken über Technologie und Produkte fördert, könnte man auf Exportschlager hoffen. Dieser Globus braucht die Klima-Wende, da mag Trump zwischen zwei Verletzungen des internationalen Rechts noch so saftig über die „Klimalüge“ herziehen.

Die regionalen Klimaziele sind also eine Ansage mit positivem Potenzial. Die Erfahrungen mit deutscher und europäischer Umweltpolitik mahnen uns aber zum differenzierten, skeptischen Blick. Da ist allzu oft am grünen Tisch entschieden worden, ohne die Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Wirkung zu bedenken. Zwei Beispiele: Die extremen Wärmeschutzvorschriften machen das Bauen in Deutschland wahnsinnig teuer. Auch deutlich weniger drakonische Anforderungen wären im globalen Maßstab noch immer vorbildlich. Ähnlich verhält es sich mit Emissionsvorschriften, die ein Stahlunternehmen wie die Salzgitter AG zu monumentalen Investitionen zwangen, während in Osteuropa, China oder Südamerika Stahl zu Dumpingkosten gekocht wird – ohne Umweltauflagen.

„Transversales Moralisieren“, wie es Salzgitter-Chef Heinz Jörg Fuhrmann nennt, führt nur im seltenen Glücksfall zu sinnvollen Lösungen. Das Beispiel der früheren evangelischen Bischöfin Margot Käßmann, die sich kurz vorm Vorruhestand in schöner Selbstgerechtigkeit moralisch über das VW-Management erhob, belegt vor allem eines: Rigorismus, aus sicherer Entfernung abgefeuert, taugt nicht zur Entscheidungsfindung. Jedenfalls nicht, solange Arbeitsplätze und Zukunftsperspektiven ganzer Regionen eine Rolle spielen.

Aus gegebenem Anlass sei zugleich gesagt, dass die Personal-Emulsion eines Bundesministeriums und Volkswagens das andere Extrem eines Irrweges markiert. Ein beurlaubter Ministerialer als Cheflobbyist eines durchaus kontrollbedürftigen Industrieunternehmens – wer hat sich nur diesen Doppelschlag einfallen lassen? Da werden die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung und des Autobauers verbeult.

Glaubwürdigkeit und Redlichkeit der Klima-Initiative stehen sehr viel weniger infrage. Der Beweis der Wirkung ist aber noch zu führen. Dass ausgerechnet der Regionalverband als Sprecher der Klima-Wende auftritt, mag ­– je nach umweltpolitischer Orientierung – beruhigend oder alarmierend wirken. Der Verband und seine Vorgängerorganisation sind bisher nicht durch überragende Durchschlagskraft aufgefallen.

Vielleicht ist die Beschäftigung mit der Frage, wie wir diese Welt unseren Kindern möglichst intakt hinterlassen können, ein Wert an sich. Es wäre schon viel erreicht, wenn die Klima-Initiative dazu führen würde, dass Entscheidungen mit Blick auf ihre Klima-Folgen gründlicher durchdacht werden.

Zum Ende der Woche ist unserer Region jedenfalls zu wünschen, dass ihr eine Klima-Katastrophe ganz eigener Art erspart bleibt. Jene Inhaber von Hass und Vorurteilen, die sich für heute in Goslar verabredet haben, sind ein abscheuliches Beispiel geistiger Verarmung. Wahrscheinlich erweist man ihnen mit Gegendemonstrationen zu viel der Ehre. Im niedersächsischen Bad Nenndorf haben fröhliche Bürger gezeigt, wie man die Braunen vergrämt: ­Wer antritt, das Vaterrrrland zu rrretten und dann mit dem „Lied der Schlümpfe“ aus der Stadt gesungen wird, erlebt den Irrelevanz-Schock. Bad Nenndorf ist ein tolles Vorbild.