Leser Ulrich Willmer schreibt zum Beitrag „Abtreibungsärztin scheitert vor Gericht“ auf der Politikseite vom 13. Oktober:

„Abtreibungsärztin“? In dieser Zeitung wird Kristina Hänel aus Gießen als „Abtreibungsärztin“ etikettiert. Diese Bezeichnung empfinde ich als höchst problematisch und nicht sachgerecht. Sachlich korrekt wäre zum Beispiel gewesen: Frau Dr. Hänel, Fachärztin für Allgemeinmedizin, führt im Rahmen ihres Gesamtspektrums ärztlicher Leistungen auch Schwangerschaftsabbrüche durch. Ohne Not übernimmt die Redaktion mit ihrer reißerischen Überschrift einen klerikal-konservativen Kampfbegriff und wertet damit einen ansonsten sachlich-informativen Artikel ab, aus dem zudem klar hervorgeht, dass sogar nach Ansicht des zuständigen Richters Paragraph 219a geändert gehört.

Worte können auch Waffen sein. Gerade in Zeiten wie diesen sollte eine seriöse Zeitung sorgsam auf die Wahl ihrer Worte achten. Mit der Verwendung des Begriffs „Abtreibungsärztin“ sind Sie meiner Meinung nach Ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden.

Dazu schreibt Jörg Quoos, Chefredakteur der Berliner Zentralredaktion der Funke Mediengruppe, die unter anderem die Politikseiten produziert:

Um komplexe Sachverhalte in Überschriften zu transportieren, müssen aus Platzgründen Begriffe zusammengezogen werden. Der Überschriften-Vorschlag des Lesers („Frau Dr. Hänel, Fachärztin für Allgemeinmedizin, führt im Rahmen ihres Gesamtspektrums ärztlicher Leistungen auch Schwangerschaftsabbrüche durch“) mag korrekter sein, ist als Überschrift jedoch leider zu lang.

Der Begriff „Abtreibungsärztin“ ist meiner Einschätzung nach kein klerikal-konservativer Kampfbegriff, sondern macht deutlich, dass es sich um eine Ärztin handelt, die Abtreibungen vornimmt. Frau Dr. Hänel macht ja auch nicht Schlagzeilen mit ihren sonstigen Leistungen als Allgemeinmedizinerin, sondern es geht um ihr Leistungsangebot Schwangerschaftsabbruch. Dies in der Überschrift zu betonen, ist sachgerecht. Sowohl liberale als auch konservative Qualitätsmedien wie die FAZ verwenden den Begriff ebenfalls seit Jahren.

Der Ombudsrat schreibt:

Die Bezeichnung der Ärztin in der Überschrift als „Abtreibungsärztin“ erachten wir als problematisch. Üblicherweise werden Ärzte, sofern auf ihre Tätigkeit Bezug genommen wird, mit ihren Fachrichtungen benannt, etwa Augenarzt, Frauenarzt, Hausarzt... Abtreibungen sind keine Fachrichtung, legal können sie von Ärzten verschiedener Fachrichtungen vorgenommen werden.

Abtreibung ist grundsätzlich strafbewehrt (§ 218 StGB) und nur unter engen Voraussetzungen straflos (§ 218a StGB). Der Begriff „Abtreibungsarzt“ ist daher eher negativ besetzt, zumal er gerade von Abtreibungsgegnern auch zur öffentlichen Diffamierung von Ärzten, die legale Abtreibungen vornehmen, verwendet wird.

Unabhängig von der Frage, ob es sich um einen „klerikal- konservativen Kampfbegriff“ handelt, ist zu berücksichtigen, dass die gewählte Überschrift zu einem Missverständnis führen kann: Es kann der Eindruck entstehen, dass die Ärztin wegen vorgenommener Abtreibungen vor Gericht „gescheitert“ sei. Tatsächlicher Gegenstand des Strafverfahrens waren allerdings nicht die von der Ärztin durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche. Es ging stattdessen um die Frage, ob sich die Ärztin durch die Veröffentlichungen auf ihrer Internetseite nach § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft) strafbar gemacht hat. Hierbei handelt es sich um einen isolierten Straftatbestand, dessen Vorliegen keinen Einfluss auf die Straffreiheit oder Illegalität einer Abtreibung hat. Die Straffreiheit einer Abtreibung bestimmt sich nach § 218a StGB, auch wenn der den Abbruch vornehmende Arzt sich seinerseits nach § 219a StGB strafbar macht.

Eine – dann wohl zweizeilige – Überschrift wie beispielsweise „Werbeverbot für Abtreibungen – Ärztin scheitert vor Gericht“ hätte diesem komplexen Sachverhalt bei aller Notwendigkeit der Verdichtung eher entsprochen.