Braunschweig.

Alle Leserbriefe beziehen sich auf „Von Gott und der Versuchung“ und auf den Kommentar „Gott führt in Versuchung“ vom 9. Dezember:

Auch die deutsche Passage des Vaterunser „Und führe uns nicht in Versuchung“ beschreibt für mich eher so etwas wie ein Täter-/Opferverhältnis. Gott (oder an wen wir auch immer glauben) hat uns mit der Erkenntnis doch die Freiheit gegeben, selbst zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Das ist nicht immer einfach, ich bin jedoch dankbar für dieses Vermögen und die damit einhergehende Verantwortung. Die Formulierung: „Und stehe uns bei in der Versuchung“ beschreibt für mich daher ein versöhnlicheres Verhältnis zu Gott. Sind Beistand und Zuwendung nicht auch die Kernbotschaft des Christentums, aber auch die Basis jeglicher Menschlichkeit? Wie uns die Bibel erzählt, hat sich Jesus immer wieder den Sündern und den Randgruppen zugewandt, um sie wieder in die Gemeinsaft zurückzuholen. Wenn ich sehe, wie oft wir der Versuchung erliegen, uns durch Raubbau an der Natur, Hass oder durch Wiedererrichten von Grenzen kurzfristige oder einseitige Vorteile zu verschaffen, dann würde ich mir ein Vaterunser wünschen, in dem wir sagen: „Gott steh uns bei, unsere Verantwortung zu übernehmen, die Welt ein Stück weit von dem Bösen zu befreien“.

Jürgen Bittner, Braunschweig

Neuformulierung wäre Sache der Ökumene

Das Problem der richtigen Übersetzung der Vaterunser-Bitte aus dem Matthäus-Evangelium 6,13 ist nicht neu. Aber bislang wurde in allen Sprachen der weltweiten Christenheit an der uns bekannten Formulierung festgehalten. Denn das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser sind – bei allen konfessionellen Unterschieden sonst – unsere gemeinsamen gottesdienstlichen Texte. Die griechische Formulierung ist zwar der Urtext im Matthäus-Evangelium, aber Jesus hat nicht griechisch gesprochen, sondern aramäisch. So hat sich der jüdisch-christliche Religionswissenschaftler Pinchas Lapide (1922 - 1997) schon 1986 um diesen hebräisch-aramäischen Ursprung der Worte Jesu und ihre zutreffende Übersetzung bemüht. „Lass uns nicht in Versuchung kommen“ scheint die im Sinne Jesu zutreffendere Übersetzung zu sein im Unterschied zu „Führe uns nicht in Versuchung“. Denn für Jesus sind wir Menschen nicht wie „Marionetten“ Gottes, sondern seine freien Geschöpfe. Die Versuchung ist da, aber wir müssen nicht in sie hineinstolpern, sondern bitten Gott um die Wachsamkeit, ihr nicht zu erliegen. Wenn nun Papst Franziskus diesen Verständnis-Wechsel anregt, sollten wir in den verschiedenen Sprachen der christlichen Ökumene uns um entsprechende Neuformulierungen bemühen.

Albrecht Fay, Pastor i.R., Braunschweig

Luthers Katechismus erklärt die Gebetszeile

Die Erklärung der Gebetszeile, „Und führe uns nicht in Versuchung“, hätte der Papst schon in Martin Luthers Kleinem Katechismus lesen können: „Gott versucht zwar niemand! Aber wir bitten in unserem Gebet, dass uns Gott behüte und erhalte, damit uns nicht der Teufel, die Welt und unser Fleisch betrüge und verführe in Missglauben, Verzweiflung und andere große Schande und Laster, und wenn wir damit angefochten würden, dass wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.“ Damit dürfte aller Zweifel ausgeschaltet sein. Eine Veränderung des Textes ist damit wohl unnötig.

Joachim Eike, Schöningen

Wer ist eigentlich der Versucher?

Es ist schon putzig: Da haben nun die Kleriker und ihre christlichen Schäfchen jahrhundertelang nicht bemerkt, dass mit der Formulierung im Vaterunser „und führe uns nicht in Versuchung“ etwas nicht stimmt, weil die Logik der Semantik einen göttlichen Akteur zu einem potenziellen Versucher macht, einen Akteur, der doch essenziell gut sein soll und Versuchungen dem archetypischen Versucher, dem Teufel, zuschiebt. Es bedarf erst des amtierenden Papstes, um eine richtigstellende Formulierung vorzuschlagen, und dies, obwohl Kirchenkritiker wie Karlheinz Deschner bereits vor Jahren auf diesen Gedankenfehler aufmerksam gemacht haben. Nun streitet man sich gar und sucht nach einer akzeptablen Formulierung, die so leicht auf der Hand liegt, dass sie allen Sprachbewussten förmlich ins Auge springt: Wie wäre es mit „und bewahre uns vor Versuchungen“?

Hartmut Heuermann, Braunschweig

Ein allmächtiger Gott kann den Teufel nutzen

Für den Christen, Juden und Muslim ist Gott allmächtig. Damit muss für den Gläubigen vorstellbar sein, dass Gott ebenfalls das Böse und damit den Teufel instrumentalisieren kann, wenn es ihm wichtig erscheint. Er will damit den Menschen herausfordern , um ihn einer Prüfung zu unterziehen. Das macht insofern Sinn, da der Mensch sich im Jenseits vor dem Jüngsten Gericht zu verantworten hat und dort seine Schuld oder Unschuld offenbar wird. Gott ist also alles in Einem, derjenige, der den Menschen herausfordern, sprich in Versuchung führen kann, und gleichzeitig dessen Reaktion darauf beurteilt.

Und was geschieht, wenn der Mensch bei den Prüfungen Gottes versagt ? Kann er – im Einzelfall – auf die Gnade Gottes vertrauen oder zumindest hoffen ? Wenn der Papst den Wortlaut des Vaterunser ändern will, um eine Absicht Gottes, den Menschen in Versuchung zu führen, in Abrede zu stellen, kann man das auch als frommen Wunsch des katholischen Oberhaupts interpretieren.

Klaus Reisdorf, Saint Paulet de Caisson (Frankreich)

Bitte, uns schlimme Erfahrungen zu ersparen

Als Christ bin ich dankbar für jeden Tag, den ich vor Anfechtung, Verfolgung und Not in ihren vielfältigen Varianten, bewahrt bleibe. Ich sehne mich nicht nach dem sogenannten Martyrium. Ich fürchte Situationen, in denen ich herausgefordert werden könnte, unter Androhung von Leid meinen Glauben, all das, was mir heilig ist, zu verleugnen. Das passiert unzähligen Christen auf der ganzen Welt auch heute noch, dass sie um ihres Glaubens Willen Verfolgung, Leid oder sogar den Tod auf sich nehmen müssen. Ich wüsste nicht, ob ich dem gewachsen wäre. Und so verstehe ich auch die Bitte im Vaterunser, dass mir bitte so eine Erfahrung erspart bleibe, ich also nicht in die Versuchung komme, all das zu verleugnen, was mir wertvoll und heilig ist.

Klaus Macke, Braunschweig

Natürlich schuf Gott das Böse und führt in Versuchung

Ein Nebelkerzenwurf – danke, Florian Arnold für die klaren Worte! Natürlich schuf Gott das Böse, nachzulesen bei Jesaja, 45,7. Und natürlich führt Gott in Versuchung. Er bedient sich dabei auch des Satans: Im Buch Hiob gibt Gott Satan ausdrücklich freie Hand, Hiob zu versuchen, was er dann in grausamer Weise tut.

Das Problem ist unser „weichgespültes“ Gottesbild des lieben, guten Vaters. Jesus predigte zwar Gott als Vater, aber dieser Vater konnte auch unbarmherzig sein. Davon erzählt Jesus in seinen Gerichtsworten und Endzeitgleichnissen.

Wir könnten von den Juden etwas lernen. Im Buch Genesis ist zu lesen, dass der Eigenname Gottes „Jahwe“ ist. Das bedeutet „Ich bin, der ich bin“. Ein Name, der nicht in Versuchung führt, uns ein Bild von Gott zu machen, das in die Westentasche passt und uns möglichst wenig fordert.

Gudrun Hermann, Braunschweig

Nicht das Vaterunser sollte verändert werden, sondern überholte Gottesvorstellungen

Was für eine absurde Diskussion. Der Text des Vaterunsers soll geändert werden, da es doch nicht Gott sein kann, der den Menschen versucht, sondern Satan. Und ein versuchender Gott passt nicht zu Franziskus‘ Vorstellung eines „guten Vaters“. Diese naive Vorstellung eines persönlichen Gottes stammt aus einer Zeit, in der die Menschen die Erde im Mittelpunkt der Welt wähnten, alle Gestirne sich um sie herum bewegten und ein Gott sich das Geschehen auf der Erde vom „Himmel“ aus anschaute. Doch nun wissen wir von der unfassbaren Größe des Universums mit Milliarden von Galaxien, jede mit Milliarden von Sonnen, und da soll sich Gott immer noch persönlich um die Menschen auf diesem kosmischen Sandkorn kümmern? Es sollte nicht das Vaterunser geändert, sondern die Mottenkiste überholter Gottesvorstellungen entstaubt werden.

Wolfram Buchwald, Gifhorn

Die Rechtfertigung Gottes ist das Problem der christlichen Kirche

In seinem Kommentar „Gott führt in Versuchung“ hat Florian Arnold in eindeutiger und zugleich völlig logischer Weise gezeigt, dass die Theodizee (Rechtfertigung Gottes) schlicht das Problem der christlichen Kirche ist. Ein Gott, der laut Kirche allmächtig, allgütig, allbarmherzig und allgerecht sein soll, der darüber hinaus die Menschen lieben soll, kann – ob mit oder ohne das Gebet Vaterunser – die Realität auf der Welt und damit auch der Menschen in ihr einfach nicht zulassen. Und es stellt sich somit die berechtigte Frage, ob er die erwähnten Eigenschaften überhaupt hat.

Uwe Hillebrand, Wolfenbüttel

Gott ist als Versucher schwer vorstellbar

Wenn Gott die allumfassende Liebe ist, wie er in der Schrift bezeichnet wird, ist es kaum vorstellbar, das Gott der Versucher sein könnte. Dass sich Papst Franziskus erst jetzt daran stört, finde ich ein wenig merkwürdig, da dieses Gebet in der deutschen Übersetzung doch lange bekannt ist. Verständnis kann man in jeden Falle dafür aufbringen, wenn man sich mit den Evangelien näher befasst, das Leben Jesus und seine Glaubensinhalte als Vorbild nimmt und sein Verhalten darauf ausrichtet. Die Gottesliebe ist doch in seinem Verhalten sichtbar geworden. Davon ausgehend ist es schwer nachzuvollziehen, dass Gott als Versucher uns Menschen Versuchungen als Prüfungen auferlegt. Im Alten Testament mit Abraham und seinem Sohn zwar geschehen, im Neuen Testament durch Jesus aber durch seinen Lebensweg widerlegt.

Wenn die Übersetzungen richtig sind, kann der Sinn doch mehrdeutig sein. Der Text: „und führe uns nicht in Versuchung“, wie er gebetet wird, gibt einen anderen Sinn, wenn er wie folgt geändert wird: „und führe uns in der Versuchung“. Diese Bitte bedeutet: „Verlasse mich nicht in der Stunde der Anfechtung“. Der Beweis der Liebe Gottes wird damit für jeden verständlich.

Manfred Hartmann, Rhode