Braunschweig. Braunschweiger Fall: „Judenpack“ und mehr und keine Klarheit. Lesen Sie, was dazu der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen sagt.

Judenpack“, „Judenpresse“ und „Feuer und Benzin für euch“ – so beschimpfte ein Neonazi der Partie „Die Rechte“ am Volkstrauertag 2020 am Braunschweiger Löwenwall Journalisten. Ein Video des Vorgangs wurde im Netz veröffentlicht.

Daraufhin gingen Anzeigen wegen Volksverhetzung ein. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelte, stellte das Verfahren jedoch ein. Es handele sich um Beleidigung, die jedoch von konkret Betroffenen nicht innerhalb der vom Strafgesetzbuch vorgeschriebenen Frist von drei Monaten angezeigt worden sei.

Dagegen hagelte es Proteste, der Fall und die Entscheidung sorgten bundesweit für Aufsehen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig wies nach eigener Prüfung die Staatsanwaltschaft an, die Ermittlungen noch einmal aufzunehmen. Dies geschah, allerdings ohne neue Erkenntnisse. Der Vorgang wurde jetzt ein zweites Mal eingestellt – erneut folgten Einsprüche, die zu prüfen sind. Darunter auch des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, mit dessen Vorsitzenden Michael Fürst wir sprechen.

„Judenpack“, „Judenpresse“ und „Feuer und Benzin für euch“ – keine Volksverhetzung? Darüber wird heftig diskutiert. Unverständnis darüber trifft auf juristische Argumente und Beweggründe.

Man darf ja nicht verkennen, dass diese Ausdrücke wirklich in hohem Maße verwerflich sind. Darüber gibt es keinen Zweifel in der Allgemeinheit. Es gibt ja zum Glück nur wenige, die so denken wie dieser Mensch der Partei „Die Rechte“. Und die das in dieser Lautstärke auch so nach außen bringen. Dagegen muss man sich wehren, das ist überhaupt keine Frage.

Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten, so die Möglichkeit der Strafanzeige. Aber ebenso, und das ist hier der entscheidende Punkt, die Ermittlung von Amts wegen. Wozu ist eine Staatsanwaltschaft aufgerufen, wenn solche Ausdrücke fallen, wenn so etwas in die Öffentlichkeit kommt? Muss sie darauf warten, bis jemand sagt: „Ich bin beleidigt“? Oder muss sie sagen: „Da tun wir von uns aus etwas“? Also: An die Arbeit.

Ist es denn so einfach? Sie sind selbst Jurist …

Für mich ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber bei den verschiedenen Staatsanwaltschaften ist es möglicherweise noch nicht so richtig durchgedrungen, dass man auch selbst initiativ werden muss. Und versuchen muss, die Sache aufzuklären. Die Einstellungsverfügung der Braunschweiger Staatsanwaltschaft ist deshalb aus meiner Sicht völlig untragbar. Ich meine doch, das einordnen zu können.

Bevor wir gleich auf die juristischen Feinheiten zurückkommen: Mit den Begriffen, um die es jetzt geht, wird etwas sagbar, das zu millionenfachem Mord geführt hat.

Das ist ja genau der Punkt. Da fordern wir ja von den Behörden: Ihr müsst das verstehen! Ihr müsst es erkennen – und nicht einfach hinnehmen.

Nun aber zu den Details. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat sich exakt an die Buchstaben des Strafgesetzbuches gehalten. Demnach handelt es sich nicht um Volksverhetzung, sondern um Beleidigung. Die muss innerhalb von drei Monaten vom konkret Beleidigten angezeigt werden. Das hat aber keiner gemacht. Also Einstellung.

Zunächst: Es geht selbst bei Beleidigung nicht nur um diese drei Monate, sondern auch um das öffentliche Interesse. Ich unterstelle ja der Staatsanwaltschaft auch überhaupt nichts. Aber mich verwundern solche Entscheidungen immer mehr, weil mir das Verständnis dafür fehlt, dass man solche Begrifflichkeiten falsch einordnet.

Hier wird Journalisten öffentlich gesagt: „Judenpack“ und mehr. Das soll nicht strafbar sein, weil es keine Volksverhetzung ist? Weil es keine Juden sind? Woher will der Staatsanwalt das wissen? Da stellen sich doch viele Fragen. Was, wenn das zu Politikern gesagt worden wäre? Dann muss erst einer von ihnen sagen: „Ich bin beleidigt worden“? Und was ist aber, wenn er sagt: „Ein solcher Mensch kann mich gar nicht beleidigen. Ich will gar keine Strafanzeige erstatten“? Das muss der Staat tun. Er muss dagegen einschreiten. Das ist das, was wir seit Jahren fordern.

Das hat übrigens auch dazu geführt, dass es gemeinsam mit der damaligen niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza 2022 Gespräche über Handlungsmöglichkeiten gab, die in einen Leitfaden als Hilfestellung für Justiz und Polizei zum Erkennen antisemitischer Straftaten mündeten. Unser Tenor gegenüber Generalstaatsanwaltschaften und Staatsanwaltschaften: „Bitte keine Einstellungen mehr – lasst die Gerichte entscheiden.“ Es muss vors Gericht, ein Richter muss entscheiden.

Das gilt auch für den aktuellen Fall in Braunschweig?

Für den ganz besonders, dieser Fall ist ja geradezu beispielhaft. In den Ausdrücken, die benutzt wurden. In der Bewusstheit, in der es gesagt wurde. Es wurde nicht einfach so gesagt, es ist Vorsatz.

Es steht eine Haltung dahinter, die in der Ausgrenzung von Menschen wurzelt, die in der jüngeren deutschen Geschichte anschließend millionenfach ermordet wurden. Das ist die Dimension. Wäre es da nicht angebracht, bezüglich der Volksverhetzung das Gesetz schärfer zu fassen?

Ich glaube noch nicht einmal, dass das für Fälle wie diesen, über den wir jetzt konkret sprechen, nötig wäre. Die jetzige Rechtslage ist ausreichend.

Wie würden Sie das juristisch begründen?

Ich bin kein Staatsanwalt, aber ich lasse mich auf die Frage ein. Erstens: Öffentliches Interesse! Daran gibt es keinen Zweifel, deswegen ist eine private Strafanzeige nicht notwendig. Zweitens: Die Äußerungen sind im öffentlichen Raum gemacht worden. Gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber Journalisten. Wenn ich mit Journalisten spreche, muss ich davon ausgehen, dass sie es in die Öffentlichkeit geben.

Wir haben – neben anderen – als Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen jetzt ebenfalls Beschwerde gegen die neuerliche Einstellung durch die Braunschweiger Staatsanwaltschaft eingelegt und sind juristisch vertreten. Die Akten sind bereits angefordert. In einem Brief an die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann haben wir zudem angemerkt, dass wir mit der Handlungsweise der Braunschweiger Staatsanwaltschaft nicht einverstanden sind. Sie wird sich gewiss dazu äußern.

Zugespitzt formuliert: Ist es eigentlich gut, dass Begriffe wie „Judenpack“ und andere auch durch die Berichterstattung über Fälle wie diesen jetzt so oft in der Zeitung und in den Medien stehen und sich auch dadurch verbreiten und festsetzen können?

Das ist eine ganz schwierige Frage. Und eine schwierige Überlegung: Biete ich so nicht auch ein Podium für Hetze und Beleidigung? Ich glaube, das müssen wir in Kauf nehmen. Wir müssen etwas dagegen unternehmen, deutlich Flagge zeigen! Wir müssen entschlossen dagegen angehen, es benennen – und hoffen, dass Menschen, die solche Begriffe nicht als das verstehen, was sie tatsächlich sind, endlich begreifen: Liebe Leute, wann lernt Ihr endlich mal aus? Und diejenigen, die so hetzen und beleidigen, muss man bestrafen. Jeden einzelnen.

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