Braunschweig. Chinas „Volksbefreiungsarmee“ profitiert offenbar von deutscher Forschung. Technische Universität Clausthal: Wir erhalten kein Geld aus China.

Die Illusion, von Freunden umzingelt zu sein, ist zerplatzt – nicht nur mit Blick auf Russland. Auch die Beziehungen zu China sind schwieriger geworden – angesichts von Menschenrechtsverletzungen und der enormen wirtschaftlichen und geostrategischen Expansion des Landes. Die Bundesregierung spricht mittlerweile von einer „Systemrivalität“. Im kritischen Fokus stehen zunehmend auch Kooperationen deutscher Hochschulen mit chinesischen Partnern. Zum einen geht es um möglichen Einfluss Chinas auf Inhalte von Lehre und Forschung – etwa im Zusammenhang mit den von Peking kontrollierten Konfuzius-Instituten.

Correctiv-Recherche: 48 problematische Kooperationen in Deutschland

Zum anderen kommen Forschungsergebnisse der Aufrüstung des chinesischen Militärs zugute. Dies zeigte kürzlich ein journalistischer Verbund unter Leitung des Recherchezentrums Correctiv, an dem auch die Süddeutsche Zeitung und der Deutschlandfunk beteiligt waren. „Deutschland macht sich zum bereitwilligen Helfer von Chinas Machthaber“, fassen die Rechercheure eins ihrer Ergebnisse zusammen. Auch niedersächsische Hochschulen sind demnach an „problematischen Kooperationen“ beteiligt: Fünf der 48 aufgelisteten Fälle betreffen unser Bundesland – in unserer Region etwa die Technische Universität Clausthal.

Björn Thümler (CDU), Minister für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen, sagt: „Bei klarer militärischer Zielsetzung oder einem Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen sehe ich Grenzen der Zusammenarbeit.“
Björn Thümler (CDU), Minister für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen, sagt: „Bei klarer militärischer Zielsetzung oder einem Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen sehe ich Grenzen der Zusammenarbeit.“ © dpa | Moritz Frankenberg

Dass chinesische Wissenschaftseinrichtungen immer stärker in die machtpolitische Agenda der Kommunistischen Partei eingebunden sind, hat man auch in Hannover registriert. „Zu dieser Agenda gehört auch die doppelte Nutzung von Forschungsergebnissen für zivile und militärische Zwecke“, heißt es in einer Antwort des Wissenschaftsministeriums (MWK) an unsere Zeitung. „Während niedersächsischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen – auch in Fragen der Kooperation – ein hoher Grad an institutioneller Autonomie gewährt wird, stehen Wissenschaft und Forschung in China unter der Maßgabe, einen Beitrag zur Stärkung des Landes zu leisten. Entsprechend dürften Kooperationswünsche von chinesischer Seite sich verstärkt auf wissenschaftliche Felder beziehen, in denen technologischer Nachholbedarf gesehen wird.“

Wissenschaftsministerium: Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Auf der anderen Seite stehen die deutschen Universitäten mit ihrem Interesse an talentiertem Forschernachwuchs, an Projektpartnern und mit ihrem Bedarf an Drittmitteln. „Chinesische Hochschulen und Forschungseinrichtungen waren in den vergangenen Jahren für viele niedersächsische Hochschulen und Forschungseinrichtungen wichtige Kooperationspartner“, heißt es aus dem MWK. In vielen Bereichen erlaube die Entwicklung der chinesischen Wissenschaft mittlerweile eine „Kooperation auf Augenhöhe“.

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Die Frage nach der „Augenhöhe“ stellt sich allerdings auch außerhalb der unmittelbaren Forschungsinhalte. Deutsche Forschende, erklären die Correctiv-Rechercheure, gingen oft freimütig in solche Kooperationen – gelockt von Prestige, Geld und besseren Karrierechancen. „Dass sie damit auch die chinesische Armee mit Wissen ausstatten, nehmen sie offensichtlich in Kauf.“ Während auf chinesischer Seite der Staat die Marschrichtung diktiert, gibt es im liberalen Deutschland kein festes Regelwerk für Kooperationen mit China, lediglich Leitlinien hochschulpolitischer Organisationen wie der Hochschulrektorenkonferenz. Aus Sicht des MWK zeigt deren Vorhandensein, dass die Hochschulen schon „entsprechend sensibilisiert“ sind. Eine Grauzone bleibt aber.

TU Clausthal: Militärische Nutzung nicht zu 100 Prozent auszuschließen

TU Clausthal Hauptgebäude Ukraine gelbblau
TU Clausthal Hauptgebäude Ukraine gelbblau © Jahn Pictures | Frank Neuendorf

Von der TU Clausthal, wo man die Ergebnisse der Recherche „interessiert registriert und eingeordnet hat“, heißt es in einer Stellungnahme für unsere Zeitung: „Innerhalb der Forschungskooperationen zwischen der TU Clausthal und chinesischen Universitäten geht es nicht um militärische Nutzung.“ Andererseits sei „natürlich niemals zu einhundert Prozent auszuschließen, dass Forschungsergebnisse ohne unser Wissen möglicherweise auch einer militärischen Nutzung zugeführt werden.“ Die Schwierigkeit, im konkreten Fall zu entscheiden, ob Forschung zivilen oder militärischen Zwecken dient, nennt man „Dual-Use“-Problematik. Sie ist eine der Kernfragen bei der Diskussion um fragwürdige Kooperationen.

Bei der kleinen Clausthaler TU, die zu den deutschen Unis mit dem höchsten Anteil ausländischer Studenten – rund einem Drittel – gehört, nahmen die Rechercheure daran Anstoß, dass sie mit Hochschulen kooperiert, die der „Volksbefreiungsarmee“, Chinas Militär, nahestehen. Diese Hochschulen seien „in dokumentierte Fälle von Spionage oder schwere Vergehen gegen die Menschenrechte verwickelt“. Nach eigenen Angaben kooperiert die TU Clausthal seit 2004 mit der Sichuan University. Hierbei fließe aber kein chinesisches Geld nach Clausthal. Außerdem gab es bis 2019 eine Zusammenarbeit im Bereich Werkstoffkunde mit dem Harbin Institute of Technology (HIT). Laut Correctiv steht das HIT „exemplarisch für die militärisch-zivile Fusion“ von Chinas Forschung.

Die Risiken sind „grundsätzlich bekannt“

Die Risiken einer solchen Zusammenarbeit seien „grundsätzlich bekannt“, erklärt die TU Clausthal. Man habe die eigenen Wissenschaftler „an dieser Stelle sensibilisiert“, sei zudem in ständigem Austausch mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und habe die China-Strategien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, des MWK und die Leitfragen der Hochschulrektorenkonferenz „im Blick“. Daneben verweist die Harzer Hochschule auf ihr vom DAAD finanziertes „China-Kompetenzzentrum“ und auf die jährliche „China-Woche“. Als Begründung der Kooperation nennt man an erster Stelle die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands und Chinas, die „so intensiv sind wie nie zuvor“. Zu einer Kehrseite dieser Medaille äußert sich die TU Clausthal nicht.

Präsidentin Ittel: Im Zweifel auch auf Projekte verzichten

Professorin Angela Ittel, Präsidentin der TU Braunschweig.
Professorin Angela Ittel, Präsidentin der TU Braunschweig. © Sierigk, Peter | Peter Sierigk

Nach ihren Einschätzungen haben wir auch die anderen Hochschulen unserer Region gefragt. Auch die TU Braunschweig orientiert sich bei ihrer Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern an den Leitfragen der Hochschulrektorenkonferenz. „Allerdings“, erklärt TU-Präsidentin Prof. Angela Ittel im Gespräch mit unserer Zeitung, „stellen wir fest, dass im Verhältnis zu den chinesischen Partnern zunehmend Unsicherheit herrscht – auch aufgrund von Recherchen wie der aktuellen von Correctiv“. Mit Blick auf die Fragen, die man der chinesischen Seite stelle, gebe „es leider in manchen Fällen wenig Bemühen der Partner, vorhandene Zweifel aufzuklären“. Umso wichtiger sei es, die eigene Haltung deutlich zu machen. „Wir müssen unsere Bedingungen vertraglich festhalten, etwa dass Forschungsergebnisse nicht zu bestimmten vereinbarten Zwecken, etwa militärischen, genutzt werden dürfen. Wenn das nicht gelingt, müssen wir im Zweifel auch auf Projekte verzichten.“ Aktuell unterhält die TU vier aktive Partnerschaften mit Hochschulen in der Volksrepublik China.

Ostfalia: Thema wird auch bei uns diskutiert

Ähnlich sieht man es an der Ostfalia-Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die derzeit aber keine Kooperationen mit China unterhält. „Natürlich wird auch an unserer Hochschule diskutiert, wie eng man mit Hochschulen in anderen Ländern, die mehr oder weniger weit von unserem Demokratieverständnis entfernt sind – zusammenarbeiten sollte“, erklärt eine Sprecherin. „Diese Diskussionen sind Grundlage für Entscheidungen über weitere Kooperationen oder deren Verlängerung.“

Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) rät den Hochschulen bei solchen Entscheidungen zu „Selbstbewusstsein – beim Einsatz für die Freiheit von Forschung und Lehre und bei der Prüfung, wie von der Kooperation mit chinesischen Partnern profitiert werden kann“. Grundsätzlich müsse zwar die gesamte Wissenschaftsgemeinschaft an neuen Erkenntnissen teilhaben können. „Bei klarer militärischer Zielsetzung oder einem Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen sehe ich aber Grenzen der Zusammenarbeit.“

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