Braunschweig. Im Interview: Der scheidende GdP-Landesvorsitzende und Polizist Dietmar Schilff. Er warnt: Wir müssen mehr gegen Cyberkriminalität tun.

Mit Dietmar Schilff (60) verlässt in dieser Woche ein erfahrener Polizist und engagierter Gewerkschafter die Bühne: Schilff gibt die Führung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen bei der Delegiertentagung in dieser Woche aus Altersgründen ab. Mit dem Braunschweiger Eintracht-Fan, der 2011 GdP-Landesvorsitzender wurde und seit 2013 stellvertretender GdP-Bundesvorsitzender war, sprachen wir über Wandel in Polizei und Gesellschaft – und über die Kriminalität der Zukunft.

Herr Schilff, Sie haben 1979 bei der niedersächsischen Polizei angefangen, sicher unter ganz anderen Bedingungen. Was hat sich verändert?

Die Polizei ist ein wichtiger Bestandteil einer friedlichen Gesellschaft. Und da kann man vor allem feststellen: Das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei hat sich verändert. Seit Jahren zeigen Umfragen immer wieder, dass über 80 Prozent der Bevölkerung der Polizei vertrauen. Da hat auch die Polizeireform in Niedersachsen unter den Braunschweigern Gerhard Glogowski, Helmut Dohr und einem meiner Vorgänger als GdP-Landesvorsitzender, Udo Ahlers, eine große Rolle gespielt. Die Polizei ist seitdem mehr zur Bürgerpolizei geworden. Zentrale Punkte waren die Aufhebung der Trennung von Schutz- und Kriminalpolizei, die gerechtere Bewertung der polizeilichen Arbeit sowie eine veränderte Aus- und Fortbildung mit einer stärkeren Ausrichtung auf gesellschaftliche Entwicklungen. Bei über 80 Prozent Vertrauen kann die Arbeit der Polizei ja auch nicht so schlecht sein.

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Das ist sicher nicht alles?

Auch die Wertschätzung gegenüber den Polizeibeschäftigten hat sich verändert. Man kann seine Meinung freier sagen. Die jungen Leute, die heutzutage zur Polizei kommen, sind selbstbewusst. Früher galt die Devise „Ober sticht Unter“. Das hat sich positiv verändert. Die jungen Polizistinnen und Polizisten absolvieren ein dreijähriges praxisorientiertes Bachelorstudium. Da geht es auch verstärkt um gesellschaftliche und soziale Fragen. Die polizeiliche Arbeit war schon immer kompetent, aber das Wissen ist in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden und erfordert im Vergleich zu meiner Ausbildung vertiefte theoretische und soziologische Kenntnisse. Auch das Selbstbewusstsein der Polizeibeschäftigten ist positiver geworden. Die Gewerkschaft der Polizei und die Personalräte haben diesen Wandel eingefordert und daran stark mitgewirkt.

Wie passt das zu den wiederkehrenden und auch mit Zahlen belegbaren Klagen über zunehmende Gewalt gegen Polizisten? Da scheint doch im Gegenteil jeder Respekt zu fehlen.

Es gibt zum einen Leute, die keine andere Meinung gelten lassen wollen. Der Staat ist für viele aus dieser Gruppe der Feind, und die Polizei wird einfach mit dem Staat gleichgesetzt. Es gibt einige, die den Staat einfach hassen. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat dazu ja einiges veröffentlicht. Das sind Sympathisanten der sogenannten Antifa, das sind die Rechtsextremisten, und die „Querdenker“ haben das noch angeheizt. „Polizisten sind Schweine“, sagt die Antifa ganz klar. Das meiste passiert allerdings im täglichen Dienst und im häuslichen Bereich. Da wird die Polizei wegen häuslicher Gewalt gerufen, und dann verbrüdern sich plötzlich die Frau und der Mann wieder gegen die Polizei. Alkoholkonsum und Gruppendynamische Prozesse spielen da auch eine große Rolle. Dabei sind Polizisten schlichtweg Menschen in Uniform oder auch in Zivil, die gesund zu ihren Familien zurückkommen wollen. Das Thema Gewalt betrifft ja im übrigen leider auch Feuerwehrleute, Sanitäter oder ehrenamtliche Helfer, auch Kommunalpolitiker und ebenso Journalisten. Aber am stärksten die Polizei.

Um ihre Aufgaben zu erfüllen, braucht die Polizei allerdings auch Personal. Für die GdP ist das ja ein altes und vielleicht auch leidiges Thema im Dialog mit den jeweiligen Landesregierungen. Wie lautet da die Bilanz in Niedersachsen?

Insgesamt haben wir hier im Zusammenspiel mit der Polizeiführung sowie der Politik ganz gute Arbeit geleistet. In der nächsten Zeit gehen viele Polizisten in den Ruhestand. Die Fachkompetenz muss weitergegeben werden. Was die Stellen angeht: Im vergangenen Jahr sind 750 Stellen, die laut Planung eigentlich entfallen sollten, durch unseren starken gewerkschaftlichen Einsatz doch erhalten geblieben. Unter dem Strich sind in Niedersachsen 1600 Polizistinnen und Polizisten dazugekommen.

Auf welchen Zeitraum bezieht sich das?

Die Verstärkung erfolgte in den letzten fünf bis acht Jahren, allerdings sind auch die Aufgaben gestiegen. Man muss den Hintergrund sehen: Wir hatten 9/11, also die islamistischen Anschläge in den USA 2001. Wir hatten flüchtende Menschen, wir hatten Proteste und Rechtsextremismus.

Man kann ja allerdings nicht sagen, dass die Polizei wunschlos glücklich wäre. Es geht weiterhin um die Bezahlung, um die schwierigen Arbeitsbedingungen, um Überstunden…

Natürlich gibt es weiterhin große Probleme, auch durch die Föderalismusreform von 2005 und 2006. Dadurch sind die Bedingungen in den deutschen Ländern teilweise sehr unterschiedlich. In Niedersachsen etwa hat die Koalition von CDU und FDP 2009 die besondere Lebensarbeitszeit für Polizeibeamte/-innen von 60 auf 62 Jahre erhöht, Urlaubs- und Weihnachtsgeld wurden gestrichen und es gab etliche weitere Verschlechterungen. Was die Bezahlung angeht, stehen wir in Niedersachsen auf Platz 13 bis 14 der Bundesländer. Da spielt insbesondere die weitgehende Streichung des Weihnachtsgeldes eine große Rolle. Erreicht haben wir in der aktuellen Legislaturperiode, dass nun zumindest der Einstieg in eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 300 Euro brutto erfolgt ist. Der Abstand zu den andern Ländern und dem Bund hat sich dadurch aber nicht wirklich verringert. Es muss in Niedersachsen weiter deutlich nachgebessert werden. Aktuell kämpfen wir für um Zulagen etwa für die besonders belastende Sichtung von Kinderpornographie oder auch bei der Leichenschau sowie geringere Arbeitszeiten in diesen Bereichen.

…das hat der Landesfinanzminister schon brüsk abgebügelt, nach dem Motto: Wo hören wir dann mit den Zulagen auf…

Für erschwerte Arbeitsbedingungen muss es auch Zulagen geben. Und die Arbeit ist grundsätzlich in allen Ländern und beim Bund vergleichbar, dennoch bekommt In Nordrhein-Westfalen ein Polizist und eine Polizistin im Monat etwa 400 Euro mehr als in Niedersachsen. Das ist schon ein deutlicher Unterschied. Wir haben vor einigen Jahren darüber hinaus auch in einer Aktion auf den riesigen Sanierungsstau in Dienstgebäuden hingewiesen. Auf eine FDP-Landtagsanfrage hin war zuletzt von 225 Millionen Euro die Rede. In Niedersachsen müssen Polizisten außerdem zu lange auf Beförderungsmöglichkeiten warten. Und die Kriminalität der Zukunft ist Cyberkriminalität. Da muss man weiter verstärkt ran. Fachleute bekommt man da dauerhaft nicht für das Gehalt eines Polizeikommissars. Wir brauchen bei der Polizei aber auch dringend weiterhin gute Verwaltungskräfte im Tarif- und Beamtenbereich. Die aber gehen immer öfter weg zu den Kommunen oder Bundesbehörden, weil dort die Perspektiven besser sind. Was wirklich ärgerlich ist, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst immer als Großverdiener dargestellt werden, das trifft für die große Mehrheit aber ganz bestimmt nicht zu.

Auch die Computersysteme der Polizei waren öfter in den Schlagzeilen, etwa das Vorgangsbearbeitungssystem Nivadis. Gibt es eigentlich in Niedersachsen eine einheitliche Ausstattung?

Wir haben einheitliche Software und Hardware. Aber wichtig ist auch ein stärkerer Verbund der Länder. Ein Fall wie mit dem Berlin-Attentäter Anis Amri soll nie wieder passieren. Dazu gibt es mehrere Arbeitsgruppen und das Bundesprogramm „Polizei 2020“, wodurch beim BKA ein sogenanntes Datenhaus installiert werden soll. Das ist wichtig, kostet aber auch einer Menge Geld.

In Ländern wie Hessen oder Nordrhein-Westfalen gab es handfeste Polizeiskandale mit rechtsradikalen Chats. Niedersachsen steht im Vergleich ganz gut da – weil noch keine vergleichbaren Chatgruppen aufgeflogen sind?

Ich hoffe, dass es die nicht gibt. Demokratische Resilienz ist wichtig. Es kann nicht sein, dass Extremisten in der Polizei oder in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes arbeiten. In Hannover entschied das Verwaltungsgericht jüngst, dass ein Polizist, der offen Verschwörungstheorien verbreitet und der Reichsbürger-Szene nahe stehen soll, aus dem Dienst entfernt werden kann. Diese Entscheidung ist richtig und wichtig. So jemand kann nicht in der Polizei Dienst tun.

Ist die Polizei einfach ein Spiegel der Gesellschaft – oder zieht sie autoritäre Menschen vielleicht besonders an?

Wir sind Bestandteil der Gesellschaft. Mit dem Begriff „Spiegel“ tue ich mich da schwer. Schon im Auswahlverfahren, also bei der Einstellung, muss man sehen, was für Menschen den Weg in die Polizei suchen. Manchmal verändern sich Menschen, klar, zum Beispiel vielleicht nach Jahrzehnten in sozialen Brennpunkten. Hier gibt es aber Programme und Anlaufstellen, unter anderem die bei der Polizei eingerichteten regionalen Beratungsstellen. Die meisten jungen Leute kommen vor allem aber zur Polizei, um Menschen zu helfen.

Was ist mit denen, die auch mal auf Demonstranten einprügeln? Es gibt Bereitschaftspolizeien anderer Bundesländer, die auch polizeiintern als eher robust gelten. Es gibt oft auch Provokationen, klar. Es gibt aber auch Polizeibrutalität. Sind das Polizisten mit kurzer Zündschnur, die unter Stress ausrasten?

Grundsätzlich findet das nicht statt. Die Polizei handelt zurückhaltend, verhältnismäßig aber natürlich auch immer lageangepasst. Bei der Polizei werden Einsätze vor- und nachbereitet und es gibt Stress- und Konfliktbewältigungstraining. Jeder Einsatz kann aber natürlich unabhängig untersucht werden, z.B. durch die Staatsanwaltschaften. Und hier findet dann die rechtsstaatliche Bewertung statt. Ich denke, dass die Bevölkerung weiß, dass die Polizei hier in Deutschland sehr gute Arbeit für die Sicherheit, für den inneren Frieden und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet. Ansonsten wäre das Vertrauen in die Arbeit der Polizeibeschäftigten ja auch nicht so hoch.

Sie haben den Personalaufwuchs gewürdigt. Wieviele Polizisten fehlen nach Einschätzung der GdP in Niedersachsen zur vollen Stärke ohne Anfall von erheblichen Überstunden?

Laut Innenministerium haben die Polizistinnen und Polizisten in Niedersachsen im letzten Jahr fast 1 Million Überstunden gesammelt. Das bedeutet knapp 50 Überstunden pro Kopf und spiegelt eine enorme Belastung wieder, die nur durch eine deutliche Personalstärkung zu reduzieren ist. Alleine um diese hohe Anzahl an Überstunden aufzufangen bedarf es nach unserer Einschätzung rund 550 weiterer Polizeikräfte.

Zur Person: 1962 in Braunschweig geboren, lebt in Braunschweig, verheiratet. Aktiver Eintracht Braunschweig-Fan (Mitglied und Dauerkarte). Hobbies unter anderem: Sport, Motorradfahren, Gitarre. Gewerkschaftsarbeit seit 1982 in der Jugendorganisation der GdP, seit 1993 im geschäftsführenden GdP-Landesvorstand, seit 1996 stellv. Landesvorsitzender und seit 2011 Landesvorsitzender. Seit 1996 Mitglied im GdP-Bundesvorstand, seit 2013 stellv. Bundesvorsitzender. Personalratsarbeit seit 1992, von 2002-2008 Vorsitzender des Polizeihauptpersonalrates beim Innenministerium, seit 2012 stellv. Vorsitzender des Polizeihauptpersonalrates.