Braunschweig. BVB-Boss und DFB-Funktionär spricht in Braunschweig Klartext: Es geht um die Corona-Folgen für die Liga, aber auch um Oligarchen im Fußball.

Wenn man sich Hans-Joachim, kurz „Aki“, Watzke für einen Vortrag ins Haus holt, weiß man, was man bekommt. Das ist auch an diesem Mittwochnachmittag in Braunschweig der Fall. Der BVB-Geschäftsführer ist auf die Messe Ditec gekommen, die das Unternehmen Ditzinger für Industrie- und Handwerksbetriebe organisiert. Geschäftsführer Axel Ditzinger, früher Vizepräsident bei Eintracht Braunschweig und zuletzt knapp im Präsidentenrennen unterlegen, hatte seine Kontakte spielen lassen und Watzke für einen Vortrag gewinnen können. „Wir wollen Ausstellern hier immer etwas Besonderes bieten“, sagt Ditzinger zur Begrüßung seines Gastes aus dem Ruhrgebiet.

Mit Watzke ist das gelungen. Dieser, erst seit kurzem Erster Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und Aufsichtsratschef der Deutschen Fußball Liga (DFL), soll über Corona und die Auswirkungen auf den Profi-Fußball berichten. Dabei bleibt es aber nicht. In der anschließenden Diskussion geht es um ganz Grundsätzliches und viel Spezielles. Welche Rolle kann der Fußball für die Gesellschaft spielen? Wie entwickeln sich TV-Gelder? Warum können Staaten Vereine kaufen? Was bringt eine WM in Katar? Wo spielt Erling Haaland in der nächsten Saison? Und wann steigt der HSV eigentlich mal wieder in die erste Liga auf?

Corona änderte Watzkes Lebensplan

Watzke präsentiert sich gewohnt meinungsstark, wählt, um im Bild zu bleiben, die offensive Ausrichtung – kein Abwarten, kein Taktieren. Wohltuend an seiner Analyse: Die schonungslose Art, auch mit eigenen Schwächen umzugehen. Kostproben davon erhielten die rund 100 Zuhörer im Business-Bereich der VW-Halle einige.

So bezeichnet er sich im Vergleich zu Freund Jürgen Klopp als sehr „unruhigen Zeitgenossen“, der viel weniger relaxed durch das Leben ginge. Als Beispiel nennt er die im Lockdown entdeckte Freude am Wandern, nur „um die fußballlose Zeit am Wochenende“ totzuschlagen. Ohne Fußball habe er eine tiefe Leere verspürt, erklärt er. Auch die Tatsache, dass er sich nach Jahren doch noch habe breitschlagen lassen, Funktionärsposten bei DFB und DFL anzunehmen, ist für Watzke Beweis eigener Wankelmütigkeit. Für diese habe es aber besondere Gründe gegeben – im Grunde: höhere Gewalt. „Ohne Corona wäre das nie passiert.“

Scharfe Kritik an Lauterbach und Öffentlich-Rechtlichen

Und so beginnt der Referent zunächst erstmal mit einem bemerkenswerten Seelenstriptease. Die Pandemie habe alles verändert, nicht nur die eigenen beruflichen Vorstellungen, sondern auch das Bild des Fußballs in der Öffentlichkeit. Dabei macht er deutlich, dass er die Einlassungen des heutigen Gesundheitsministers Karl Lauterbach teilweise für äußerst schwierig gehalten habe. Dessen Kritik am Fußball scheint Watzke bis heute nicht zu schmecken. Die Wut auf den SPD-Politiker ist noch nicht verraucht. „Wenn man am Tag zehn Thesen aufstellt, von denen aber nur drei stimmen, dann ist es klar, dass man sich auch nur auf die beruft, die stimmen“, ätzt er. Dass dessen Vorgänger Jens Spahn (CDU) zu seinen guten Freunden zählt, verschweigt Watzke genauso wenig wie allgemein bekannt ist, dass er und Spahn auch das Parteibuch eint.

Eine Breitseite bekommt auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen ab. ARD und ZDF hätten ganz zu Beginn der Pandemie eine Kampagne gefahren, die weder die Anstrengungen der DFL („Hygiene“-Konzept) noch die immer wieder geäußerte Demut des Profifußballs als privilegierter Teil der Gesellschaft berücksichtigt hätte. Der Fußball sei in dieser Zeit vom „Liebling zum Schmuddelkind“ gemacht worden, er hätte sich rechtfertigen müssen, warum Kinder nicht mehr auf Spielplätze, Millionäre aber unbedingt ihrem Beruf nachgehen müssten, echauffiert sich Watzke auch heute noch über die aus seiner Sicht ungerechte Diskussion. „Mir hat niemand aus der Politik damals erklären können, was ein Kind davon hat, wenn die Bundesliga zwangsweise pausieren muss.“

„Geisterspiel“ gegen Schalke – Das braucht niemand

Acht Wochen hätte man in dieser Zeit dafür kämpfen müssen, unter strengsten Auflagen wieder Spiele ohne Zuschauer machen zu können. Eine Zeit – eigentlich zum Vergessen. „Wenn man mit gerade 200 Menschen in einem 80.000-Mann-Tempel wie in Dortmund sitzt – und Schalke ist der erste Gast – dann willst Du alles, aber nicht mehr so eine Atmosphäre erleben“, erklärt Watzke. Alle Anstrengungen seien damals darauf verwendet worden, die vereinbarten TV-Gelder wieder fließen zu lassen. Die hätten viele Vereine am Tropf gehalten. Und trotzdem seien finanzielle Löcher entstanden. Watzke gewährt einen schwarz-gelben Einblick: „Wir haben etwa 125 Millionen Euro an Einnahmen in den zwei Jahren Corona-Krise verloren. Bei jedem Heimspiel ohne Zuschauer fehlten uns am Ende vier Millionen Euro.“

Wenn man Politikern wie Lauterbach zuhöre, könne man glauben, man sei immer noch am Anfang der Pandemie. „Ich denke, wir sind an dem Punkt, in dem wir beginnen müssen, mit dem Virus zu leben. Er läuft jetzt durch, das ist mein Eindruck.“ Hätten aber die Pessimisten Recht, wäre das das Todesurteil für viele Vereine. „Noch zwei Jahre Corona werden viele nicht überleben.“ Vereine in Deutschland lebten von Einnahmen, insbesondere die Klubs der 3. Liga. Darauf weist auch Gastgeber Ditzinger hin. Das sei in anderen Ligen in Europa anders, so Watzke und nennt den Scheich-Klub Manchester City als Beispiel. „Dieser Verein hat vermutlich noch nie Geld verdient und hat trotzdem den teuersten Kader der Welt.“

„Gut, dass Oligarchen in Deutschland keine Fußballvereine besitzen“

Die Fußball-Bundesliga, davon ist der Sauerländer Watzke überzeugt, kann die richtigen Lehren aus der Pandemie ziehen. Sie sollte bei sich bleiben, sollte die Alleinstellungsmerkmale, die sie besitze, fördern und nicht aufgeben. Es sei ein Modell, das künftig vielleicht noch viel mehr Wertschätzung weltweit genießen werde. „Es ist gut und richtig, dass weder Oligarchen mit einer Nähe zu Diktatoren noch ganze Staaten, in denen Unterdrückung herrscht, Fußballvereine in Deutschland besitzen.“

Auch dass Profi-Vereine im Lizenzierungsverfahren mittlerweile eine Vielzahl an Nachhaltigkeitskriterien erfüllen müssten, sei ein Beweis dafür, dass man für „sauberen Fußball“ stehe. „Vielleicht wird nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine ein Umdenken nach sich ziehen“, hat Watzke die Hoffnung, dass auch Sponsoren die etwas andere Ausrichtung der Liga honorieren.

Im Alltag sei das oft eine Gratwanderung, weil Anspruch und Wirklichkeit oft auseinanderklafften. Weil sich Vereine wie sein BVB, vor 17 Jahren fast insolvent, heute mittlerweile mit den besten Klubs in Europa messen können und auch mal wieder nach zehn Jahren Deutscher Meister werden wollen. „Ja, das ist schon eine viel zu lange Zeit“, räumt er ein. Den Bayern wolle er dennoch nicht ans Geld. „Die haben das auch nicht geklaut, sondern hart verdient“.

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Und wer auf Tiraden gegen RB Leipzig wartet, wartet vergeblich. Zwar habe es eine „ordentliche Anschubfinanzierung“ gegeben. „Die Haltung derjenigen, die dort verantwortlich sind, ist aber eine gute. Sie geben nur das aus, was sie auch einnehmen.“ Sollte sich Leipzig als dritte Kraft in der Liga etablieren, sei das eine gute Entwicklung.

Leistung statt Sozialismus

Watzke, selbst Gründer einer Firma, die unter anderem Arbeitsschutzkleidung herstellt, hält viel vom Leistungsgedanken. Aus seiner politischen Einstellung macht er sowieso keine Mördergrube. „Ich bin kein Sozialist“, sagt er auch in Braunschweig. Solidarität unter den Klubs sei richtig, habe aber Grenzen. Eine Umverteilung bei TV-Geldern lehne er ab. Alles hänge vom sportlichen Erfolg ab und der habe bei dem ein oder anderen Traditionsverein zuletzt nicht gepasst. Der Eintracht wünsche er den Aufstieg in die Zweite Liga. Schalke, Bremen und der HSV gehörten dort nicht hin. Warum letztgenannter Verein nun schon vier Jahre zweitklassig spielt – für Watzke ein Rätsel. „Hamburg ist meine Lieblingsstadt, eine Wirtschaftskraft wie vielleicht nur im Süden Deutschlands. So viel Potenzial“, sagt er. Und den Hinweis eines HSV-Fans aus dem Publikum, mit dem Aufstieg ins Oberhaus drohe automatisch der nächste Kampf um die Klasse, kontert er: „Ihre Bescheidenheit ehrt Sie. Aber was Bochum schafft, ist für den HSV allemal drin.“

Fußball als die Gesellschaft verbindendes Element

Das Publikum, das sich Watzkes teilweise launigen Ausführungen eine gute Stunde anhört, ist bunt gemischt. Da sitzt der Banker, neben dem Handwerksmeister, der frühere Fußball-Profi neben dem Unternehmer und der Azubi in grober Arbeitshose neben dem in feinem Zwirn und Einstecktuch. Diese Vielfalt wünscht sich der Referent auch weiter in deutschen Stadien. „Die ganze Gesellschaft soll willkommen sein“, sagt er und lobt die noch moderaten Ticketpreise. Ein Vielfaches koste der Stadionbesuch in England, moniert er.

Fußball sollte die Gesellschaft einen und nicht trennen, davon ist Watzke auch heute noch überzeugt.