Braunschweig. Die Studie der TU Braunschweig mit Blick auf die Bundestagswahl belegt den Promi-Bonus des Peiner SPD-Mannes. Andere Zuschreibungen sind kurios.
Äh, wie heißt die noch gleich? Ah, den kenne ich aus dem Fernsehen! Oh, die da lächelt mir vom Plakat neben der Imbissbude immer so nett zu. Öh, und der mit dem Zopf ist sicher bei den Grünen. Oder doch bei den Linken?
So oder so ähnlich stelle ich mir die inneren Monologe der Umfrage-Teilnehmer vor. Es ist mal wieder von der Umfrage die Rede, die das Team von Prof. Nils Bandelow (TU Braunschweig) im Auftrag unserer Zeitung, der Goslarschen Zeitung und des Harz-Kuriers angeschoben hat. Zur Erinnerung: Die Antworten von gut siebentausend Menschen gingen ein. Überrepräsentiert waren bei dieser Umfrage Männer, Menschen mit einem Studienabschluss sowie die Altersgruppe zwischen 50 und 70.
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Heute geht es um den folgenden Umfrage-Teil: Wer kennt überhaupt die Bundestagskandidaten? Also wer ordnet den unbeschrifteten Fotos der Kandidatinnen und Kandidaten für die Bundestagswahl am 26. September den richtigen Namen und die richtige Partei zu?
Befragung schon im August
Leichter als Sie – sofern Sie sich derselben Aufgabe mit Blick auf den Test mit der (unvollständigen!) Foto-Galerie unterziehen mögen – hatten es die Umfrage-Teilnehmer insofern, als sie nur mit den Fotos aus ihrem Wahlkreis behelligt wurden. Schwieriger war für sie dagegen der Zeitpunkt der Befragung, denn Ende Juli bzw. Anfang August hatte die „heiße Phase“ des Wahlkampfs noch nicht begonnen.
Das Foto-Erkennen ist immer heikel. Das hat sicher auch mit Talent zu tun. Manche können sich Gesichter besser merken als andere. Auch wenn diese Zeitung Volontäre aussucht, gibt es zuweilen so eine Promifoto-Erkennungsfrage. Und wenn dann, wie vor Jahren mal geschehen, ein Aspirant unter das Foto des VW-Patriarchen Ferdinand Piëch den Namen Louis de Funès schrieb, war das für manche zum Schmunzeln, hieß aber ansonsten nicht viel.
Testen Sie sich. Wie gut kennen Sie die Kandidaten?
20 Bundestagskandidaten - wie viele erkennen Sie?
Klar, bestimmte Gesichter sind besonders markant und in diesem Sinne „memorabel“. Für manche Kandidatin und manchen Kandidaten möchte das ein Vorteil sein. Ob sich tatsächlich eine Wahlentscheidung daran knüpft – auch die Antipathie hat ja oft ein gutes Gedächtnis –, ist damit jedoch längst nicht gesagt. Und natürlich haben CDU und SPD in puncto Kandidaten-Prominenz traditionell und grundsätzlich einen Riesenvorsprung. Nur eine Handvoll der erststimmenabhängigen Direktmandate gingen bei vergangenen Bundestagswahlen an Linkspartei, Grüne oder AfD. Für Politiker dieser kleineren Parteien (es ziehen ja 299 Abgeordnete über die Direktwahl und mindestens ebenso viele über die Wahlliste ihrer Partei ins Parlament ein) ist die Frage nach einem vorderen Listenplatz viel wichtiger als die Frage, wer direkt kandidiert. Aus der Sicht einer auf Zweitstimmen spekulierenden Partei wie der FDP mag so ein Foto-Quiz insofern gar nicht besonders relevant sein.
Welche Klischees hat man im Kopf?
Doch genau an dieser Stelle entfaltet die Umfrage einen Reiz sozusagen zweiter Ordnung. Die Frage ist ja: Wie stellen wir, wenn wir die Person zumindest nicht genau erkennen, uns einen Menschen vor, der für FDP, AfD, Grüne usw. antritt? Welche Klischees hat man da im Kopf, wann stimmen sie – und wann sind sie völlig daneben?
Am besten lassen sich all die erwähnten Faktoren am Beispiel des Wahlkreises Gifhorn-Peine veranschaulichen. Der Vorteil der großen Parteien ist in dem flächenmäßig gewaltigen Wahlkreis klar ersichtlich. Ingrid Pahlmann (sie hat bereits Parlamentserfahrung) wird von mehr als sechzig Prozent der CDU zugerechnet – zurecht. Und Hubertus Heil, der Platzhirsch mit dem unschlagbaren „Tagesschau“-Bonus, ist für 96,26 Prozent ein SPD-Mann, was den Spitzenwert in der gesamten Region darstellt. Am nächsten kommt ihm übrigens mit 91,67 Prozent der – natürlich! – grüne Kandidat Jürgen Trittin im hier ansonsten nicht näher beleuchteten Wahlkreis Göttingen.
Doch nun zu den weniger bekannten Gesichtern in Gifhorn-Peine: Auffällig viele Umfrageteilnehmer ordnen Nadine Schladebeck der FDP zu. In Wahrheit tritt die ehemalige Judo-Meisterin aus Leiferde für die kleine Partei „Liberal-Konservative Reformer“ an, deren Vorläufer „Alfa“ von AfD-Gründer Bernd Lucke initiiert worden war. Übrigens sagt Schladebeck in dem obskuren Kurzvideo, das sie für den „Kandidat:innen-Check“ des NDR gedreht hat, einen Satz, der in einer von Parteien geprägten Demokratie schräg klingt, das Thema dieses Umfrageteils aber frappierend direkt anspricht: „Gucken Sie sich mal die Direktkandidaten an“, fordert sie die Zuschauer auf, „würden die großen Parteien CDU und SPD nicht hinter diesen Personen stehen, würden Sie diese Personen dann wählen?“
AfD? Oder doch FDP?
Tja, und dann wäre da in Gifhorn-Peine auch noch der FDP-Kandidat Thomas Schellhorn, der warum auch immer (skeptischer Blick? Jacke? Bart?) von so vielen Umfrage-Teilnehmern der AfD zugeordnet wird. Als wir ihn darauf ansprechen, reagiert Schellhorn sympathisch souverän. „Tja, das ist natürlich nicht so schön“, sagt er, „und das spiegelt auch nicht meine Einstellung wider.“ Wichtiger aber seien ihm Sachdebatten, besonders über Landwirtschaftsthemen.
Auch wenn solche Ausreißer in den anderen Wahlkreisen seltener sind, lohnt sich zum einen die genauere Betrachtung. Immerhin 12,16 Prozent verorten Christos Pantazis in der CDU. Immerhin 18,2 Prozent verorten Frank Bsirske in der SPD. Und immerhin 21,82 Prozent die Wolfsburger FDP-Kandidatin in der Linkspartei…
Zum anderen ist der Selbstversuch mit der Foto-Galerie nicht der schlechteste Zeitvertreib vor einer wichtigen Wahl. Und wenn es trotz Wahlkampf-Endspurt da und dort haken sollte, kann man die sowieso beste Quiz-Ausrede einwerfen: Natürlich kenne ich den Namen. Ich komme nur gerade nicht drauf…