Braunschweig. Auch Braunschweiger Wissenschaftler veröffentlichten in scheinwissenschaftlichen Verlagen oder fuhren zu Pseudo-Konferenzen.

Haben auch Forscher aus der Region in Raubjournalen veröffentlicht?

Diese Frage interessiert mehrere Leser auf unseren Facebookseiten.

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann.

Unter dem Titel „Fake Science – Die Lügenmacher“ berichtete das „Erste“ Ende Juli über eine große Recherche von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ über sogenannte Raubjournale. Anders als der Titel der Sendung impliziert, veröffentlichen diese zwar nicht unbedingt pseudowissenschaftliche Artikel, allerdings genügen ihre Prüfverfahren, so es denn überhaupt eine Prüfung der eingereichten Manuskripte gibt, nicht den üblichen Standards wissenschaftlicher Publikationen. Die Folge: Seriöse Artikel haben dieselbe Chance auf Veröffentlichung wie unwissenschaftliche Studien. Sie stehen nebeneinander auf derselben Internetseite.

Wie groß ist das Problem?

Rund 400 000 Wissenschaftler hätten in solchen Journalen weltweit publiziert oder seien bei Konferenzen zweifelhafter Anbieter aufgetreten, so die Journalisten von NDR, WDR und „Süddeutscher“, darunter rund 5000 aus Deutschland. Das Rechercheteam hat nach eigenen Angaben 175 000 Publikationen von fünf Plattformen bekannter „Raubverlage“ ausgewertet.

Die Helmholtz-Gemeinschaft teilte mit, das Vorgehen der Rauberverlage gefährde „nicht nur den Ruf einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“, sondern auch „das Vertrauen in die Wissenschaft selbst“. Der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Jörg Hacker, forderte ein offensives Vorgehen gegen solche Publikationen.

Ist auch unsere Region betroffen?

Unsere Region ist bei dem Thema keine Ausnahme. Nach Recherchen unserer Zeitung haben nahezu alle Forschungsinstitutionen der Region mit dem Problem zu kämpfen – von den Technischen Universitäten Braunschweig und Clausthal, über die Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften bis zu außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), dem Julius-Kühn-Institut für Kulturpflanzenforschung (JKI) oder dem Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik.

Unter den mehreren Dutzend Autoren und Konferenzteilnehmern sind viele junge Wissenschaftler. Auf ihnen lastet am Anfang ihrer akademischen Karriere ein besonders hoher Druck, zu publizieren. „Publish or Perish“ lautet eine Redewendung in der akademischen Welt – veröffentliche oder stirb. Aber auch Professoren und renommierte Abteilungs- und Institutsleiter tauchen in der Suchliste auf.

Was sagen die Wissenschaftler?

Professor Georg-Peter Ostermeyer reagiert überrascht auf die Anfrage unserer Zeitung. „Sie erwischen mich auf dem falschen Fuß: Davon habe ich nichts gewusst“, beantwortet er die Frage nach zwei von ihm zusammen mit einem jungen Kollegen veröffentlichten Artikeln bei dem Raubverlag David Publishing. Ostermeyer leitet das Institut für Dynamik und Schwingungen der TU Braunschweig. Als Studiendekan für Maschinenbau seien ihm diese Publikationen besonders unangenehm. „Da will man die Uni eigentlich rein halten von so etwas. Das ärgert mich maßlos – auch weil es sich inhaltlich um ausgezeichnete Arbeiten handelt. Mit solchen Veröffentlichungen bei unseriösen Verlagen kann man sich die Reputation zerstören.“

Ostermeyer sagt, er werde mit Mail-Anfragen von Verlagen – renommierten wie unseriösen – geradezu bombardiert. David Publishing wirft er vor, ihn mit dem Titel der Zeitschrift getäuscht zu haben. Tatsächlich geben die Raubverlage ihren Journalen häufig Namen, die denen etablierter Zeitschriften täuschend ähnlich sind.

Wie laufen die Konferenzen ab?

„Ich erinnere mich an den Vortrag einer Iranerin. Die hat einfach nur ihr Paper vorgelesen. Die Qualität der Veranstaltung war nicht so hoch“, sagt Michael Hust. Der Professor am Institut für Biochemie, Biotechnologie und Bioinformatik der TU Braunschweig hat zwei Konferenzen der OMICS-Group in Baltimore und Valencia besucht. Das Unternehmen gibt nicht nur Raubjournale heraus, sondern organisiert auch unzählige scheinwissenschaftliche Konferenzen überall auf der Welt. Nach der beschriebenen Erfahrung 2014 seien OMICS-Konferenzen bei ihm „raus“, versichert Hust. Damals war man noch nicht so auf der Hut wegen dieser Sache. Außerdem haben vor allem Doktoranden und viele Wissenschaftler aus Entwicklungsländern nur auf solchen Konferenzen die Chance, ihre Arbeit zu präsentieren.“

Besonders häufig sind einige Forscher des HZI zu solchen Konferenzen gefahren. Einige werden von OMICS sogar als Mitglieder des Organisationsteams geführt, etwa beim „3rdWorld Congress and Expo on Applied Microbiology“ 2016 in Dubai. Allerdings macht OMICS auf seinen Internetseiten solche Angaben zu renommierten Forschern, die als Experten angeführt werden, teils ohne Zutun der Betroffenen.

„In Dubai herrschte ziemliches Chaos“, erinnert sich ein leitender Wissenschaftler des HZI, der als herausgehobener „Keynote-Speaker“ bei der Konferenz vorgetragen hat. Bei zwei weiteren OMICS-Konferenzen ist er aufgetreten, einer in Frankfurt und einer in Dublin. Für eine Konferenz am kommenden Montag in London ist er erneut im Organisationsteam aufgeführt. „Ich bin noch nicht sicher, ob ich da hinfahre. Ich muss mir das noch mal im Detail anschauen“, sagt er.

Wie reagieren die Institute?

Raubverlage sind durch die aktuelle Debatte zu einem dringlichen Thema in deutschen Forschungseinrichtungen geworden. „Wir begrüßen die aktuelle Debatte“, erklärt Professor Dirk Heinz, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des HZI. Raubjournale unterlägen keiner oder nur unzureichender Qualitätssicherung, darin publizierte Artikel entsprächen nicht dem „Prinzip der guten wissenschaftlichen Praxis, nach dem das HZI und seine Partnereinrichtungen arbeiten“. Die schon jetzt strengen Publikationsvorschriften würden nun noch einmal verschärft. Auch führe das HZI eine Liste unseriöser Anbieter.

Auch die PTB, bei der es trotz ihrer Größe und eifriger Publikationstätigkeit weniger als eine Handvoll Veröffentlichungen in Raubjournalen gab, gibt es eine „klare Prozesskette für Publikationen“, wie Pressesprecher Jens Simon es ausdrückt. Nicht nur der Vorgesetzte und das Präsidium werde über jede Veröffentlichung informiert, sondern vor allem auch die Bibliothek. Deren Leiter sei mit dem Problem gut vertraut und berate die Autoren bei der Suche nach einem angemessenen Journal. „Vielleicht kommt uns aber auch zugute, dass die ,metrologische Community’ in kleinen Spezialzeitschriften veröffentlicht“, vermutet Simon.

An der TU Braunschweig hat die Präsidentin Anke Kaysser-Pyzalla auf die Berichterstattung im Sommer mit einem Schreiben an alle Professoren der Universität reagiert. Diese seien aufgefordert worden, auch ihre Wissenschaftlichen Mitarbeitenden für das Thema zu sensibilisieren, so die Pressestelle der TU. Seitdem sei die Nachfrage nach Informationen und Beratung durch die Universitätsbibliothek (UB) gestiegen. „Bei dem von der UB seit 2017 betriebenen Open-Access-Publikationsfonds wird durch intensive Prüfungen sichergestellt, dass nur in qualitätsgeprüften Zeitschriften publiziert wird.“

Studiendekan Professor Ostermeyer hält außerdem eine Liste dubioser Verlage für sinnvoll. Die beiden Artikel habe er nach der Anfrage unserer Zeitung sofort aus seiner Online-Publikationsliste gelöscht. „Man muss genau hinschauen“, sagt er und zeigt sich zerknirscht: „Ich hätte das sehen müssen.“