Braunschweig. Die gute eigene wirtschaftliche Lage verhindert Stress zwischen den Ehepartnern. Bei Problemen gehen viele einem Streit aus dem Weg.

Gibt es weniger Eheschließungen als vorher?

Das fragt unser Leser Ersin Kaya auf Facebook.

Die Antwort recherchierte Stefan Simon

In Niedersachsen haben sich mehr Menschen das Ja-Wort gegeben. Aktuelle Zahlen zu Eheschließungen im zweitgrößten Bundesland gibt es jedoch nicht. Die letzte Erhebung ist von 2016. 41 284 Ehen wurden in dem Jahr geschlossen. Einen Zusammenhang zwischen Eheschließungen und Scheidungen gibt es also nicht - anders als unser Leser vermutet.

Doch all das sind nur Zahlen. Zahlen sagen nicht aus, warum Ehen geschieden werden. Sie sagen auch nicht aus, warum sich Menschen trennen oder warum sie an ihrer Ehe festhalten. Aber es gibt Meinungen dazu. Meinungen von einem Fachanwalt für Familienrecht, einer Psychologin, einer Leiterin einer Zweigstelle von ProFamilia in Wolfsburg und einem Ehepaar aus Braunschweig, das seit 60 Jahren verheiratet ist.

Felix Grösser hat in seiner beruflichen Laufbahn schon mit vielen Ehepartnern gesprochen. Er weiß aus eigener Erfahrung, was die Gründe sind, wann Beziehungen scheitern und wann nicht. Er ist in Braunschweig Fachanwalt für Familienrecht. Er wundert sich nicht, dass die Ehescheidungen rückläufig sind.

Jurist: Klassische Werte haben keinen hohen Stellenwert mehr

Für Grösser ist die Sache klar: „Die wirtschaftliche Situation vieler Ehepartner ist gut“, sagt er. Denn die habe einen großen Einfluss auf die eigene Gemütslage. „In Mecklenburg-Vorpommern gibt es die meisten Scheidungen. Dort leben aber auch die meisten Arbeitslosen“, sagt Grösser.

Seiner Meinung nach haben die klassischen Werte Ehe und Familie keinen hohen Stellenwert mehr. Solange die eigene wirtschaftliche Entwicklung gut sei, solange gebe es auch weniger Gründe für eine Trennung, sagt der Anwalt. Die Psychologin sieht es genau so. Anja Grocholewski arbeitet an der TU Braunschweig am Institut für Psychologie. Natürlich spiele eine gute wie schlechte wirtschaftliche Situation eine große Rolle.

Aber das sei nur eine von mehreren Stressfaktoren. „Wenn alles gut läuft, müssen Ehepartner auch keine ernsten Gespräche führen. Kann aber mal die Miete nicht gezahlt werden, der Alltag im Büro ist stressig oder der Job steht auf der Kippe, dann entstehen Stressfaktoren und die Ehepartner müssen miteinander kommunizieren“, sagt sie. Doch nicht jeder könne das.

Es gebe Ehepartner, die gingen solchen Situationen aus dem Weg, andere wiederum könnten vernünftig miteinander kommunizieren. Mit all den Zahlen und Fakten kann die Leiterin von ProFamilia in Wolfsburg wenig anfangen. Susanne Koch sagt, der Trend in Wolfsburg ginge entgegen dem landesweiten Trend. Koch meint, dass die Trennungsrate in Wolfsburg schon immer sehr hoch sei. Auffällig sei, dass zur Eheberatung Männer oft von ihren Frauen mitgeschleppt würden. „Frauen haben mehr Interesse an der eigenen Beziehung zu arbeiten.“ Die Aussage ist interessant, denn das Statistische Bundesamt hat nicht nur nackte Zahlen zu Ehescheidungen veröffentlicht, sondern noch weitere Fakten. So heißt es, dass die Ehefrauen mehr als die Hälfte der Scheidungsanträge stellen. Und nur knapp acht Prozent der Fälle wurde das Trennungsverfahren von beiden Ehepartnern gemeinsam beantragt. Das hat seine Gründe.

Psychologin Grocholewski sagt, dass Frauen heute nicht mehr von ihrem Ehemann abhängig sind. „Die sogenannte Versorgungsehe gibt es nicht mehr. Frauen sind selbstständiger, verdienen ihr eigenes Geld. Und sie trauen sich, eine Ehe zu beenden“, sagt sie.

Psychologin: Frauen suchen eher das Gespräch

Frauen würden eher das Gespräch suchen, wollten nach vorne blicken, klare Verhältnisse schaffen und seien strukturierter. Männer hingegen wollten Eheprobleme aussitzen, sich nicht der drohenden Situation stellen, dass die Ehe bald vorbei sein könnte. Sie würden eher nebenbei eine Beziehung führen, aber eben keinen Schlussstrich ziehen. Aber einfach sei es für niemandem. „Eine Scheidung ist immer noch schwieriger als eine Trennung. Hinter einer Scheidung steckt ein ganzer Rattenschwanz“, sagt Grocholewski.

Zahlen, Fakten und Experten-Meinungen – all das interessiert das Ehepaar Heidelinde und Helmut Klinzmann aus Braunschweig nicht. Seit 60 Jahren sind sie verheiratet, feierten Anfang Juli ihre diamantene Hochzeit. Die beiden hätten immer Verständnis füreinander gehabt, sagt Helmut Klinzmann. „Wir haben uns auch immer gegenseitig geholfen, egal, in welchen Situationen“, sagt er.

Das Wort Scheidung sei dem Ehepaar nie über die Lippen gekommen. Wenn sie in ihrer Ehe mal anderer Meinung waren, dann haben sie eben miteinander geredet. Es klingt aus seinem Mund so einfach, aber miteinander kommunzieren, das sagt auch Grocholewski, sei der Schlüssel für eine gelungene Ehe.