Wolfsburg. In Niedersachsen und Hessen legen insgesamt 50 000 VW-Werker die Arbeit nieder.

Unsere Leserin Daniela Scharke meint auf unseren Facebookseiten:

Ganz ehrlich? Die verdienen so viel dort und bekommen so heftige Sonderzahlungen. Die sollten alle mal den Ball flach halten und dankbar sein.

Zum Thema recherchierten Hannah Schmitz, Thomas Kruse, Verena Mai und Jörn Stachura

Es ist ein altes Lied, das unsere Leserin auf Facebook formuliert: Den VW-Arbeitern geht es gut, sie sollen sich mal nicht beschweren. Gestern forderten jedoch knapp 30 000 VW-Arbeiter in Wolfsburg, Braunschweig und Salzgitter sechs Prozent mehr Geld, eine verbesserte betriebliche Altersvorsorge und die Festschreibung der aktuell 1400 Lehrstellen auf fünf Jahre. Insgesamt legten laut Mitteilung der IG Metall 50 000 im Haustarif Beschäftigte ihre Arbeit bei VW nieder – auch in Kassel, Emden und Hannover.

Laut Horst Call, Professor für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Ostfalia, ist das ihr gutes Recht und die Bemerkung der Leserin „zu kurz gedacht“. „Natürlich kann man verstehen, dass manche Arbeitnehmer neidvoll in Richtung VW blicken“, sagt er. In der Regel verdienten VW-Angestellte mehr als ihre Kollegen in der Branche. Dennoch sei es angemessen und richtig, dass Arbeitnehmer – die ihren Beitrag zum Erfolg des Unternehmens geleistet haben – am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt würden.

Das Entgelt müsste aber auch wegen steigender Lebenshaltungskosten und Inflation erhöht werden. „Man muss immer von dem ausgehen, was sie jetzt verdienen“, erklärt Call. Gehe der Arbeitgeber nicht auf die Forderungen der Gewerkschaft ein, müsse sie ihnen Nachdruck verleihen. „Ohne Streiks wären die Gewerkschaften zahnlose Tiger“, sagt Call.

Ein Sprecher der IG Metall Wolfsburg hält es für gefährlich, Gruppen gegeneinander auszuspielen. „Das nützt nur einem, dem Arbeitgeber“, sagt er. Es sei nicht richtig, dass sich Arbeiter bei VW dumm und dämlich verdienten – das gelte für den Vorstand. Worte, wie die unserer Leserin, machten VW-Arbeiter „ein Stück weit sauer“, so der IG-Metall-Sprecher. „Wenn ein alleinverdienender Familienvater sein Leben auf ein Drei-Schicht-System ausrichtet und körperlich hart arbeitet, hat er wenig Verständnis dafür“, sagt er.

Thorsten Gröger, Bezirksleiter und Verhandlungsführer der IG Metall, nannte das Angebot von VW gestern „eine Mogelpackung“. VW hat eine zweistufige Lohnerhöhung von zusammen 5,5 Prozent mit einer Laufzeit von 30 Monaten sowie eine nicht näher bezifferte Verbesserung der Betriebsrente angeboten. Zugleich forderte VW unter anderem den Verzicht auf einen Urlaubstag.

In Wolfsburg ging gestern Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh die Konzernspitze hart an. So habe VW in der dritten Verhandlungsrunde nichts auf den Tisch gelegt, was überhaupt auch nur verhandelbar wäre. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Wolfsburg, Hartwig Erb, verwies auf die gute wirtschaftliche Lage bei Volkswagen. „Jetzt müssen wir unsere Vorstellungen durchsetzen.“ Erb forderte zudem eine verlässliche Altersvorsorge für die Beschäftigten.

In Salzgitter sagte VW-Betriebsratsvorsitzender Andreas Blechner beim einstündigen Warnstreik von – nach Gewerkschaftsangaben – mehr als 3000 VW-Beschäftigten: „Wir wollen keinen Streik, wir wollen ein Ergebnis.“ Die Forderung nach mehr Lohn begründete der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Salzgitter-Peine, Wolfgang Räschke so: „Unsere Forderungen werden weder in die Krise, noch die Insolvenz führen. Nur, wenn wir unseren Anteil bekommen, sind wir auch in der Lage, die Produkte zu kaufen.“ VW erziele Rekordergebnisse, „weil Ihr mit Euer Hände Arbeit Produkte herstellt, die sie verkaufen, um Geld zu machen.“

Das Thema Verteilungsgerechtigkeit spielte auch im Werk Braunschweig eine wichtige Rolle. An den verschiedenen VW-Standorten im Stadtgebiet legten für mehr als eine Stunde die Mitarbeiter die Arbeit nieder. Das galt auch für Volkswagen Finan-cial Services und die VW Bank. Die Mitarbeiter beider Unternehmen sind ebenfalls bei der IG Metall organisiert und folgten dem Streikaufruf. In Braunschweig waren somit rund 7000 VW-Mitarbeiter im Ausstand, so die Gewerkschaft. Der Streik gehört zu den größten in der Geschichte der Stadt.

Betriebsratsvorsitzender Uwe Fritsch und Eva Stassek, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Braunschweig, kritisierten einmütig, dass Volkswagen bislang kein „akzeptables Verhandlungsangebot unterbreitet haben“. Die Streikenden wurden darauf eingestimmt, dass weitere Arbeitsniederlegungen folgen könnten.

In der Tarifverhandlungsrunde in der Fläche wurden gestern die bundesweiten Warnstreiks fortgesetzt. Laut IG Metall stand die Produktion in rund 100 Betrieben mit rund 125 000 Beschäftigten still. Heute gehen die Warnstreiks weiter – unter anderem bei MAN in Salzgitter.