Wolfsburg. Der VW-Aufsichtsratschef fordert mehr staatliche Investitionen, um den Durchbruch der Elektro-Mobilität zu beschleunigen.

Im Oktober 2015, einen Monat nach Bekanntwerden des Abgas-Betrugs, wurde Hans Dieter Pötsch Chef des VW-Aufsichtsrats. Mit Armin Maus, Andreas Schweiger und Jörg Quoos sprach Pötsch über die Entwicklung des Autobauers, dessen Kulturwandel und die Bedeutung der Elektro-Mobilität.

Herr Pötsch, wie weit ist Volkswagen bei der Aufarbeitung des Abgas-Betrugs?

Die juristische Aufarbeitung wird uns noch lange beschäftigen. Bei der Nachrüstung der betroffenen Fahrzeuge, die ein Software-Update erhalten, sind wir sehr gut unterwegs. In Deutschland, wo der Rückruf verpflichtend ist, wurden bereits mehr als 90 Prozent der Fahrzeuge nachgerüstet, in Europa deutlich über 70 Prozent. Dieses Kapitel werden wir in nächster Zeit abschließen können. Wichtig ist aber auch, dass wir das Unternehmen grundlegend neu ausgerichtet haben und unsere Energie auf die Fragen der Mobilität der Zukunft konzentrieren. Wir haben den Konzern mit seinen Marken durch eine sehr anspruchsvolle Phase für die gesamte Branche zu steuern. Wir sehen uns dabei auf einem sehr guten Weg, dies zeigt auch die kürzlich im Aufsichtsrat beratene Investitionssumme von 34 Milliarden Euro in den kommenden Jahren für E-Mobilität, Digitalisierung, autonomes Fahren und neue Mobilitätskonzepte.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt auch gegen Sie wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Wie sehr behindern die Ermittlungen Ihre Arbeit im Aufsichtsrat, können Sie Ihre Aufsichtspflichten in vollem Umfang wahrnehmen?

Was meine Aufgabe als Aufsichtsratsvorsitzender angeht: Die nehme ich mit allem, was mir an Erfahrung zur Verfügung steht, wahr, weil ich dazu beitragen möchte, dass Volkswagen eine gute Zukunft hat. Die Ermittlungen behindern die Tätigkeit im Aufsichtsrat nicht. Das Gremium arbeitet effizient und leistet einen wichtigen Beitrag für die erfolgreiche Neuausrichtung des Volkswagen-Konzerns.

Und weiterhin gilt: Nach sorgfältiger Prüfung durch interne und externe Rechtsexperten sind wir der Überzeugung, dass der Vorstand seinen Pflichten nach deutschem Kapitalmarktrecht ordnungsgemäß nachgekommen ist.

Wie hoch ist der Gesamtschaden, der Volkswagen durch den Abgas-Betrug bisher entstanden ist?

Für die Geschäftsjahre 2015 und 2016 weisen wir knapp 23 Milliarden Euro Rückstellungen aus. In diesem Jahr kommen noch einmal 2,5 Milliarden Euro hinzu, so dass sich die mögliche Summe auf 25,5 Milliarden Euro summiert. Rund 17,5 Milliarden Euro davon sind bereits aufgelöst.

Positiv ist, dass es uns sukzessive gelingt, das Kundenvertrauen zurückzugewinnen. Das zeigen die Verkaufszahlen, und dafür sind wir dankbar.

Wie sieht es im Inneren des Unternehmens aus?

Die vergangenen zwei Jahre sind an keinem, der für und bei Volkswagen arbeitet, spurlos vorübergegangen. Durch die Diesel-Krise sind einige Unternehmensbereiche wie beispielsweise die Motoren-Entwicklung extrem beansprucht worden. Hier mussten unter großem Zeitdruck Lösungen für die Nachrüstung der betroffenen Fahrzeuge entwickelt werden. Darunter darf aber weder die reguläre Motoren-Entwicklung leiden noch die Entwicklung neuer Antriebe.

Auch zahlreiche andere Bereiche sind bis heute – neben ihrer eigentlichen Arbeit – stark von den Folgen der Diesel-Krise belastet. Das ist schon eine Riesenaufgabe, der sich die Belegschaft mit Loyalität und hohem Einsatz stellt. Daher zolle ich allen Mitarbeitern sehr großen Respekt.

Eine Folge des Abgas-Betrugs war, dass Konzernchef Matthias Müller dem Unternehmen einen Kulturwandel verordnet hat. Hiltrud Werner, die im Vorstand zuständig für das Thema Kultur und Werte ist, sieht von diesem Kulturwandel erst 10 Prozent umgesetzt. Ist das nach rund zwei Jahren ein enttäuschendes Ergebnis?

Hier wird bewusst vorsichtig eingeordnet, um zu zeigen, dass noch Luft nach oben ist. Ich verstehe die Aussage positiv: Wenn wir weiter so zusammenarbeiten wie in den vergangenen zwei Jahren, können wir im Unternehmen gemeinsam noch viel erreichen.

Empfinden Sie es als ungerecht, dass in der Debatte um Abgas-Manipulationen und Schadstoff-Emissionen stets Volkswagen im Mittelpunkt steht?

Wir haben einen schweren Fehler gemacht. Wir stellen uns der Verantwortung und bringen das Stück für Stück in Ordnung. Dazu gehört auch, dass die strafrechtliche Aufarbeitung konsequent zu Ende geführt wird. Natürlich ist das belastend. Aber mir macht Mut, dass ich zum Beispiel in Betriebsversammlungen oder in vielen persönlichen Gesprächen immer wieder feststelle, dass durch die Krise ein Ruck durch die Mannschaft gegangen ist. Sie hat eine „Jetzt-erst-recht-Haltung“ entwickelt und Herausforderungen in einer der schwierigsten Situation der Unternehmensgeschichte mit Entschlossenheit angepackt.

Volkswagen setzt auf den Durchbruch der Elektro-Mobilität. Ab 2019/2020 will insbesondere die Marke VW verstärkt E-Fahrzeuge verkaufen. Müssen Sie wegen der fehlenden Ladeinfrastruktur die Verkaufserwartungen nicht etwas dämpfen?

Wir sind fest davon überzeugt, dass die E-Mobilität die Zukunft ist. Es führt auch kein Weg daran vorbei, dass wir zur Erfüllung der regulatorischen Ziele, also der künftigen CO2-Flottenwerte, das Elektroauto brauchen. Ich stimme Ihnen aber zu: Ein reines Angebot an Elektro-Fahrzeugen wird nicht ausreichen, wenn die Ladeninfrastruktur fehlt.

Wie groß ist Ihre Zuversicht, dass Deutschland diese Infrastrukturprobleme löst?

Deutschland hat gar keine andere Wahl, insofern bin ich durchaus optimistisch, dass wir das hinbekommen werden. Volkswagen ist jedenfalls bereit, sein Engagement für eine erfolgreiche Zukunft der deutschen Automobilindustrie noch weiter zu verstärken und sich überall dort aktiv einzubringen, wo es um die gemeinsame Entwicklung oder Umsetzung tragfähiger Ansätze für die nachhaltige Mobilität von morgen geht.

Zum Beispiel beteiligt der Konzern sich am Gemeinschaftsunternehmen zum Ausbau der Ladeinfrastruktur in Europa namens Ionity. Dies ist ein Joint Venture für ein ultraschnelles Hochleistungsladenetz an wichtigen Verkehrsachsen Europas mit 400 Ladepunkten, die bis Ende 2019 entstehen sollen.

In jedem Fall braucht es hier aber deutlich mehr Tempo. Jetzt geht es darum, dass Bund, Länder und Kommunen in einer großen Gemeinschaftsanstrengung dafür sorgen, dass die Ladeinfrastruktur auch in der Fläche und für alltägliche Situationen in den Städten vorhanden ist.

Braucht es dafür auch Gesetze?

Große technologische Paradigmenwechsel brauchen die richtigen Rahmenbedingungen. Um der E-Mobilität in absehbarer Zeit zum Durchbruch zu verhelfen, braucht es daher auch die Unterstützung des Gesetzgebers. Wir brauchen nach meiner festen Überzeugung einen Schulterschluss zwischen Industrie und Politik.

Erforderlich ist die Kombination aus Infrastruktur, günstigem Strompreis und steuerlichen Anreizen für den Erwerb eines Elektro-Fahrzeugs. Grundsätzlich gilt: Um weiter zu kommen, müssen Politik und Wirtschaft klar festlegen, welchen Beitrag sie jeweils leisten können. Am Angebot der E-Fahrzeuge wird es jedenfalls nicht liegen. Da sind hochattraktive Modelle in der Pipeline…

Mit welchem der drei Aspekte Infrastruktur, günstiger Strompreis und steuerliche Anreize sollte sich die neue Bundesregierung zuerst befassen?

Diese drei Punkte sind gleichrangig.

Auf welche technischen Alternativen setzen Sie?

Zunächst gilt es, die Verbrennungsmotoren weiter zu verbessern, Verbrauch und Schadstoffausstoß zu senken. Das werden die neuen Aggregate leisten. Auf dieser Basis wollen wir auch unser Angebot an Gasantrieben ausweiten. Wir beschäftigen uns natürlich auch mit Brennstoffzellen-Fahrzeugen. Dazu benötigen wir allerdings eine Wasserstoff-Infrastruktur. Die ist aber weit und breit nicht in Sicht. Daher wird diese Technik erstmal keine große Rolle spielen.

Um Fahrverbote in den Innenstädten zu vermeiden, müssen wir uns mit dem Fahrzeugbestand beschäftigen. In diesem Zusammenhang kommen Themen wie synthetische Kraftstoffe ins Spiel. Da gibt es großes Potenzial. Wir nehmen auf diesem Feld eine führende Position ein. Allerdings fehlt es gerade hierzu an den notwendigen politischen Entscheidungen.