Berlin. Steinmeier wusste seit Tagen: Bei der Suche nach einem Kandidaten läuft alles auf ihn zu.

Der künftige Bundespräsident taucht erst mal ab. Frank-Walter Steinmeier (SPD) bereitet sich in Brüssel gerade auf das EU-Außenministertreffen vor, als sich am Morgen die Nachricht von seiner Nominierung als Koalitionskandidat für das höchste Staatsamt verbreitet. Der Chefdiplomat reagiert ungewohnt schroff: Er sagt einen Pressetermin ab, fliegt am Mittag vorzeitig nach Berlin zurück. Erst an diesem Mittwoch will sich Steinmeier zu seiner Kandidatur äußern. Während Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt, die Festlegung auf Steinmeier sei eine „Entscheidung aus Vernunft“, während SPD-Chef Sigmar Gabriel stolz von einem „wichtigen Signal“ spricht, lässt Steinmeier wortkarg nur wissen, er sei „gefasst“.

Der Außenminister wusste seit Tagen, dass bei der Suche nach einem Präsidentenkandidaten alles auf ihn zuläuft. In München hat er sich am Sonnabend vertraulich mit CSU-Chef Horst Seehofer getroffen, um dessen Unterstützung zu erhalten. Mit Erfolg: Seehofer wollte mit aller Macht Merkels Idee, notfalls einen Grünen-Politiker wie Winfried Kretschmann zum Präsidenten zu machen, durchkreuzen. So entschied sich der CSU-Chef für Steinmeier als kleineres Übel.

Als Gabriel am Sonntag ins Kanzleramt kommt, weiß er, dass er an Steinmeier festhalten kann. Die Kanzlerin lenkt ein, am Montagmorgen holt sie sich die Rückendeckung der CDU-Spitze. Die Führungsleute stimmen zu, wenn auch murrend: Finanzminister Wolfgang Schäuble spricht von einer „Niederlage“ für die Union. Auch die CSU-Führung votiert für Steinmeier: „Er ist gut geeignet, das gilt für die fachliche Seite und die menschliche Seite“, sagt Seehofer.

Der Außenminister, der in Umfragen immer mal wieder die Kanzlerin bei den Beliebtheitswerten überflügelt, pflegt schon jetzt einen staatstragend-präsidialen Stil. „Das Aufgeregte und die Neigung zur Hektik“ sei ihm als Westfalen fremd, hat der SPD-Politiker einmal erklärt. Seine Mutter (87) hat ihn am Montag als „besonnen, ehrlich, vermittelnd und niemals aufbrausend“ beschrieben. Altkanzler Gerhard Schröder berichtet, dass ihm bei Steinmeier schon in der ersten Begegnung ein ungewöhnliches Selbstbewusstsein aufgefallen sei.

Schröder ist der politische Ziehvater des künftigen Präsidenten. Der Tischlersohn heuert nach dem Studium der Rechts- und Politikwissenschaft und Promotion 1991 als Referent für Medienrecht in der Staatskanzlei Hannover an. Ministerpräsident Schröder macht ihn zum Staatssekretär und nimmt ihn 1998 mit ins Kanzleramt. Steinmeier verbinde die Fähigkeit, eine Bürokratie zu leiten, mit politischem Verstand, was eine seltene Mischung sei, meint Schröder. Mit der Großen Koalition ab 2005 erlebt Steinmeier als Außenminister einen zweiten Aufstieg. 2009 folgt, was Steinmeier den „Tiefpunkt meiner politischen Karriere“ nennt: Als Kanzlerkandidat fährt er mit 23 Prozent das bisher schlechteste SPD-Ergebnis ein. Doch 2013 wird Steinmeier abermals Außenminister.

Früh hat er für größere internationale Verantwortung Deutschlands geworben. „Raushalten ist keine Option“ – diese Position wird er auch im Schloss Bellevue vertreten. Dass er dort seine Karriere krönen würde, hielt er noch vor Monaten für unmöglich: Eine Unterstützung durch die Union galt lange als illusorisch. Erst im Oktober konnte ihn SPD-Chef Gabriel dazu überreden, das Wagnis einer Kampfkandidatur nicht auszuschließen. Jetzt besteht kein Zweifel mehr an Steinmeiers Wahl am 12. Februar 2017.

Merkel ist froh, die Hängepartie beendet zu haben: Steinmeier sei ein „Mann der politischen Mitte“.