Braunschweig. Beim Fußballspiel Eintracht gegen Hannover 96 fielen rekordverdächtige 36 000 Polizeistunden an. Ein Grund war die besondere Anreise der Gästefans.

Unser Leser Geert Teunis aus Braunschweig fragt:

Warum müssen die nicht unerheblichen Kosten für die Sicherheitsmaßnahmen vom Steuerzahler übernommen werden?

Das Foto zeigt Polizisten beim Einsatz in Braunschweig. Die Grafik die „Top Ten“ der geleisteten Polizeieinsatzstunden der Saison 2013/14.
Das Foto zeigt Polizisten beim Einsatz in Braunschweig. Die Grafik die „Top Ten“ der geleisteten Polizeieinsatzstunden der Saison 2013/14.

Die Antwort recherchierte Dirk Breyvogel

Die Frage des Lesers beantworten die Verantwortlichen im Niedersächsischen Innenministerium verklausuliert: „Das Land Niedersachsen vertritt, wie die überwiegende Zahl der Bundesländer übrigens auch, die Auffassung, dass Maßnahmen, die im Zusammenhang mit Veranstaltungen im öffentlichen Raum getroffen werden müssen, weil es die Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung erfordern, nicht dem Veranstalter zuzurechnen sind.“

Heißt: Der Ausrichter einer Veranstaltung kann nicht dafür finanziell haftbar gemacht werden, was sich außerhalb seines Einflussbereichs abspielt. Die Argumentation der Politik: Wo will man dann anfangen und wo aufhören? Was macht man bei einem Großkonzert oder einem Schützenfest? Geht die Rechnung dann an den Veranstalter, wenn es zu einer Massenschlägerei kommt?

Der Unmut, der in der Frage des Lesers anklingt, ist verständlich. Denn die Summen, die dort mitunter für einen Polizeieinsatz bei einem Fußballspiel veranschlagt werden, sind enorm. Mehr als zwei Millionen Euro kostete den Steuerzahler das letzte Derby zwischen Eintracht Braunschweig und Hannover 96. Das Hinspiel in Hannover verschlang 1,2 Millionen Euro. Das geht aus der Antwort des Innenministeriums in Hannover auf die Anfrage der beiden FDP-Landtagsabgeordneten Jan-Christoph Oetjen und Christian Grascha hervor. Berechnet wurden die Einsätze auf Grundlage eines Runderlasses des Finanzministeriums. Der Erlass sieht vor, dass die eingesetzten Beamten je nach Dienstgrad (ehemals gehobener Dienst und ehemals höherer Dienst) mit 56 beziehungsweise 69 Euro Stundensatz zu entlohnen sind. Dabei stellen die eingesetzten Beamten aus dem ehemals höheren Dienst, der heute als Laufbahngruppe 2.2 bezeichnet wird, bei Fußballspielen eine verschwindend geringe und für die Kostenrechnung nicht wirklich relevante Größe dar. In dem Stundensatz ist allerdings eine Sachkostenpauschale von sieben Euro enthalten, in der unter anderem das benötigte Benzingeld für jeden Beamten berücksichtigt wird.

Matthias Mendel, Leiter der Landesinformationsstelle für Sporteinsätze im Innenministerium in Hannover, erklärt die Hintergründe, warum die Partie im April 2014 einen absoluten Ausreißer hinsichtlich der Polizeikosten und der Stundenzahl darstellt. „Wir mussten nach den Erfahrungen des Hinspiels in Hannover reagieren“, sagt Mendel. „Und wir wollten den Zuschauern, auch denen, die aus Hannover anreisen wollten, eine sichere Anreise und ein sicheres Spiel ermöglichen“, ergänzt er.

Beim Hinspiel am 8. November 2013 hatte zwar die Taktik der Polizei, die Fangruppen strikt zu trennen, funktioniert. Dennoch eskalierte immer wieder die Gewalt vor dem Stadion. Es gab Verletzte, auch verletzte Beamte.

Vor dem Spiel hatten Teile der Fangruppen versucht, die Kartenkontrolle durch einen Blocksturm zu umgehen. Die Polizei musste den an den Stadiontoren eingesetzten privaten Sicherheitsdienst unterstützen. Dennoch schafften Ultras von 96 und von Eintracht Braunschweig es, massenweise Pyro-Technik ins Stadion zu schleusen und sie während fast des gesamten Spieles immer wieder zu zünden. Eine fatale Außenwirkung, auch für die Verantwortlichen, die den Großeinsatz geplant hatten.

„Die Gewalt, die damals von beiden Lagern ausging, kann man nicht mit normalen Maßstäben messen“, sagt Mendel im Rückblick. Am Ende eines schwierigen Einsatzes stand die Zahl von 18 000 geleisteten Polizeistunden – noch zu wenig, um dieses brisante Partie zu sichern.

Die Schlüsse, die die Polizei in Abstimmung mit den Vereinen daraus zog, wurden beim Rückspiel in Braunschweig sichtbar. Auf 23 000 Stadionbesucher kamen 3200 Beamte, ein Polizist schützte etwa 7 Besucher. Am Ende standen mehr als 36 000 Stunden auf den Dienstkonten des Landes. Bei der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS), die bundesweit die Statistik führt, kennt man keine vergleichbaren Werte. In ihrem Jahresbericht für die Saison 2013/14 macht die Behörde im Kapitel „Personelle Belastung der Polizeibehörden“ den Faktor des Aufstiegs von Eintracht Braunschweig und die damit verbundenen Derbys gegen 96 als Besonderheit aus. Diese würden die Steigerungsraten der Einsatzstunden der Polizeien der Länder und der Bundespolizei um zwei Drittel im Wesentlichen erklären. Die beiden Spiele werden von der ZIS als „vergleichbar“ mit den Duellen von Borussia Dortmund gegen Schalke 04 bezeichnet. Betrachtet man die Liste der Spiele mit den meisten Polizeistunden, ist der Begriff „vergleichbar“ möglicherweise auf die sportliche Brisanz, weniger aber auf die Einsatzstunden zutreffend. So fielen beim Revierderby im März 2014 knapp 20 000 Stunden an. Allerdings verfolgten in Dortmund 80 000 Besucher das Spiel.

Mendel sagt, dass es Besonderheiten gegeben habe, die diese hohe Zahl an Einsatzkräften gerechtfertigt habe. „Ein Faktor, der die Stundenzahl in die Höhe getrieben hat, war die Begleitung der Anreise aller Hannover-Fans mit dem Bus. Wir mussten jeden Bus begleiten und jede Brücke besetzen, um zu vermeiden, dass beispielsweise ein Stein von dort runtergeworfen wird.“

Hannover 96 hatte sich, auch als Konsequenz der Krawalle aus dem Hinspiel, bereit erklärt, die Tickets für das Rückspiel an die Busfahrt zu koppeln, so dass niemand im Stadion sein konnte, der nicht auch den Bus nutzte. Die Empfehlung hatte zuvor das Innenministerium gegeben. Mendel bezeichnet das als „niedersächsisches Modell“.

Die Folge für den Spieltag in Braunschweig war nicht weniger, sondern eher mehr Arbeit für die Polizei. Eine Demonstration von Hannover-Fans gegen die Maßnahme des eigenen Vereins am Hauptbahnhof in Braunschweig wurde am Ende genehmigt. „Auch diese Veranstaltung, die noch vor dem Anpfiff des Spiels beendet war, musste mit massiver Polizeipräsenz abgesichert und die Rückreise der Ultras überwacht werden“, erklärt Mendel. Zudem kam es nach der Rückkehr zu Ausschreitungen am Stadion in Hannover. „Da hat das Ergebnis offensichtlich für eine Menge Frust gesorgt“, sagt Mendel. Das Spiel hatte Eintracht Braunschweig 3:0 gewonnen.

Mendel kann aufkommende Kritik an den Kosten und dem Umfang dieser Polizeieinsätze nachvollziehen. In dem konkreten Fall seien die Sicherheitsvorkehrungen nach den Vorkommnissen des Hinspiels jedoch alternativlos gewesen. „Und sie waren im Sinne der Sicherheit erfolgreich. Wenn ich mir die Statistik dieses Einsatztages angucke, stehen dort zehn gerichtsrelevante Straftaten, darunter eine Körperverletzung und drei Vergehen, die im Zusammenhang mit Pyro-Technik stehen. Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann.“

Zurück zur Leserfrage: Das Beispiel Bremen zeigt, wie schwer es ist, die Polizeikosten für sogenannte Hochrisikospiele von anderen als dem Steuerzahler bezahlen zu lassen. Der Senat der Hansestadt hatte sich geweigert, die Rechnung für die Mehrkosten bei der Partie gegen den Hamburger SV in Höhe von rund 425 000 Euro zu übernehmen. Stattdessen präsentierte sie der Deutschen Fußball-Liga (DFL) die Rechnung. Diese weigert sich zu zahlen und klagt ihrerseits vor dem Bremer Verwaltungsgericht. Das Urteil steht aus. Zwischenzeitlich drohten Deutschlands Fußball-Funktionäre auch mit Liebesentzug. Als im Jahr 2014 die Pläne des Senats erstmals bekanntwurden, hieß es: Bremen bekommt kein Länderspiel mehr.