Braunschweig. Laut Wolfsburgs Oberbürgermeister wird es das Thema der nächsten Jahre: sozialer Wohnungsbau. Der Bund könnte Hilfen verdoppeln.

Unser Leser Marc Thiel bemerkt auf unseren Facebook-Seiten:

Schafft mal lieber Wohnungen für Menschen, die an Altersarmut leiden, und für sozial Schwache.

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Zum Thema recherchierten Katharina Vössing und unsere Lokalredaktionen

„Die steigende Flüchtlingszahl verschärft die Situation am Wohnungsmarkt. Hinzu kommt der ohnehin bestehende Baubedarf.“
„Die steigende Flüchtlingszahl verschärft die Situation am Wohnungsmarkt. Hinzu kommt der ohnehin bestehende Baubedarf.“ © Eckhard Sudmeyer, Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade

Der Vorschlag von Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) zielt genau auf das ab, was unser Leser anspricht: Durch die geplante Verdopplung der Finanzmittel des Bundes für den sozialen Wohnungsbau von einer auf zwei Milliarden Euro pro Jahr bis 2020 soll mehr Wohnraum für sozial Schwache entstehen – welcher Herkunft sie auch immer sind. Diese Mittel sind nicht zweckgebunden für den Bau von Flüchtlingswohnungen. Die potenziell entstehenden Gebäude stehen also auch deutschstämmigen Menschen offen.

Richtig ist, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen ein Anlass ist, mehr Bundesmittel zur Verfügung zu stellen. Eckhard Sudmeyer, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade, sagt: „Gerade in Ballungsräumen ist preiswerter Wohnraum knapp.“ Die anhaltende Binnenwanderung sowie die steigende Zahl an Flüchtlingen verschärften diese Situation. Hinzu komme der ohnehin bestehende Baubedarf durch die demografische Entwicklung. Laut Hendricks soll kein sozialer Sprengstoff durch die Konkurrenz von Deutschen und Zuwanderern auf dem Wohnungsmarkt entstehen. Das kann dadurch vermieden werden, dass viele neue Wohnungen entstehen. Die Bundesregierung schätzt, dass jedes Jahr 350 000 neue Wohnungen benötigt werden. Das Handwerk erwartet dadurch in den kommenden Wochen und Monaten zusätzliche Impulse, so Sudmeyer. „Der Bau und die Renovierung von Wohnungen wird jetzt schnell und nachhaltig zu erfolgen haben.“ Grundsätzlich seien die Betriebe trotz guter Auftragslage gut dafür gerüstet.

Die Fördersumme für den sozialen Wohnungsbau hatte der Bund bereits im Oktober vergangenen Jahres erhöht, von

518,2 Millionen Euro jährlich auf eine Milliarde Euro. Zudem wird laut Bundesbauministerium diskutiert, ob diese sogenannte Kompensationszahlung des Bundes an die Länder über das Jahr 2020 hinaus verlängert werden soll. 2007 hat der Bund den sozialen Wohnungsbau zur Ländersache gemacht. Seitdem zahlt der Bund jährlich einen Betrag an die Länder, damit sie dieser Aufgabe nachkommen können. Ursprünglich sollte das bis 2019 laufen. Eine Verlängerung bis 2020 ist bereits beschlossene Sache.

Hendricks hatte ihre Pläne am Mittwoch dem Bundeskabinett vorgelegt. Am 23. März wird das Kabinett dann über diesen Vorschlag, sowie über den finanziellen Bedarf anderer Ministerien einen Beschluss fassen. Dabei geht es um den Haushalt 2017. Für die Erhöhung der Bundesmittel um eine Milliarde Euro im laufenden Jahr werden laut Bundesbauministerium direkt Gespräche zwischen Hendricks und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) stattfinden. Der hatte jüngst einen Haushaltsüberschuss für das vergangene Jahr von 12,1 Milliarden Euro bekanntgegeben.

Von den derzeit eine Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau kommen 77 Millionen Euro in Niedersachsen an. Für die Zuweisung gibt es einen Verteilungsschlüssel, der laut Bundesbauministerium unter anderem nach Einwohnerzahl und Bedarf berechnet wird. Mit einer Verdopplung des bundesweiten Betrags würden sich demnach auch die Mittel für Niedersachsen auf 154 Millionen Euro verdoppeln.

Ob die Verdopplung kommt, ist ungewiss. Haushaltspolitiker von CDU und CSU lehnten den Vorstoß der SPD-Politikerin Hendricks ab. Der Deutsche Mieterbund hält derweil selbst die Verdoppelung der Gelder des Bundes für unzureichend, wie der Präsident des Mieterbundes, Franz-Georg Rips, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte.

Auch die Bauindustrie sieht den Vorstoß skeptisch. Stephan von Friedrichs vom Verband „Die Bauindustrie Niedersachsen-Bremen“ sagt: „Grundsätzlich befürworten wir eine Erhöhung der Bundesmittel. Wir sind aber der Meinung, dass die Förderung der letzte Baustein sein sollte.“ Zunächst, so von Friedrichs, sollten Zusatzkosten reduziert werden. Dazu zählt er beispielsweise die Auflagen der Energieeinsparverordnung (Enev), die die Kosten pro Wohnung um 7200 Euro steigerten. Die Verschärfung der Regel, die ab diesem Jahr greift, könnte aufgeschoben werden.

Von Friedrichs bestätigt die Aussage von der niedersächsischen Sozialministerin (SPD), dass vor allem viel im Hochpreis-Segment gebaut werde. „Das ist auch deshalb so, weil sich sozialer Wohnungsbau kostendeckend nicht realisieren lässt.“ Dabei geht es um Wohnungen mit einem Quadratmetermietpreis von rund 6 Euro.

Nachfolgend ein Überblick über die Situation des sozialen Wohnungsbaus in unserer Region:

Braunschweig

In Braunschweig wird kurzfristig kein sozialer Wohnraum zu günstigen Preisen entstehen. Geplant ist zwar, bis zum Jahr 2020 zusätzliche 1240 preisgünstige Wohnungen zu bauen. Die Arbeiten in den Baugebieten stehen allerdings noch bevor oder haben gerade erst begonnen. Erste Wohnungen werden Ende des Jahres 2017 in der sogenannten neuen Nordstadt fertig. Vorgesehen ist, dass dort jede fünfte neue Wohnung eine Sozialbindung aufweisen wird. Weitere Wohnungen sollen in der Weststadt und im Westlichen Ringgebiet entstehen. Aktuell gibt es in Braunschweig etwa 5400 Wohnungen für sozial Schwache.

Gifhorn

Der Wohnungsmarkt im Landkreis Gifhorn ist regional unterschiedlich. Im Speckgürtel nahe Braunschweig und Wolfsburg gibt es praktisch keine freien Mietwohnungen, zu besonders günstigen Preisen schon gar nicht. Weiter nach Norden und Westen wird es billiger, teils sind Wohnungen zu einem Quadratmetermietpreis von 3,50 Euro zu haben. Im Nordkreis stehen nicht wenige Häuser und Wohnungen leer. Dort haben viele Flüchtlinge längst dezentralen privaten Wohnraum gefunden. In der Stadt Gifhorn besteht laut Gewos-Gutachten ein Bedarf von rund 150 günstigen, zumeist kleineren Wohnungen. Darauf hat die Stadt bereits mit einem Konzept reagiert. Investoren müssen in künftigen Quartieren eine Sozialwohnungsquote einhalten. Sie können dafür beispielsweise mit vergünstigtem Bauland von der Erschließungsgesellschaft rechnen. Die örtliche Wohnungsbaugenossenschaft errichtet ein neues innenstadtnahes Quartier mit 90 Wohnungen zum Mietpreis ab 6 Euro pro Quadratmeter.

Helmstedt

„Sozialer Wohnungsbau wird 2016 wieder ein Thema für die Kreisstadt Helmstedt“, sagte Bürgermeister Wittich Schobert gestern. Ein Anstieg der Bevölkerung und die Flüchtlingsthematik seien der auslösende Faktor. „Wir stehen in engen Gesprächen mit der Kreis-Wohnungsbaugesellschaft und haben auch schon Kontakt mit dem Sozialministerium in Hannover gehabt, um die Fördermöglichkeiten für sozialen Wohnungsbau zu ermitteln.“ Es gebe zwar keine Zuschüsse vom Land, aber zinslose Kredite, wenn eine Kommune in den sozialen Wohnungsbau einsteige. Schobert sagte, dass Wohnraum zum Beispiel für anerkannte Asylbewerber benötigt werde. Als „theoretisch denkbaren“ Standort für ein erstes Bauvorhaben nannte er ein großes Brandruinengrundstück in der Innenstadt, das demnächst womöglich freigeräumt werde.

Peine

Im Landkreis Peine werden laut einer Erhebung mehr als

600 Wohnungen allein für Flüchtlinge zusätzlich gebraucht. Im Schnitt sind in den vergangenen Jahren in Peine indes aber nur annähernd 300 Wohnungen pro Jahr fertiggestellt worden. Laut der Erhebung fehlen in Peine bezahlbare Wohnungen – vor allem Sozialwohnungen etwa für Rentner, Alleinerziehende, junge Menschen in der Ausbildung, einkommensschwache Haushalte und eben auch Flüchtlinge. Landrat Franz Einhaus fordert vom Bund einen Masterplan für die künftige Siedlungs- und Wohnungspolitik – nicht nur wegen der Flüchtlinge. Auch für die Stadt kündigt Bürgermeister Michael Kessler ein Programm für den Sozialwohnungsbau an. „Keine Flüchtlingsbauten, sondern Wohnraum für unsere angestammte Bevölkerung, damit diese weiter Wahlmöglichkeiten hat.“

Salzgitter

Maren Landwehr von der Stadt Salzgitter sagt, dass die Stadt zur Flüchtlingsunterbringung weiterhin überwiegend Wohnungen der großen Wohnungsunternehmen zu ortsüblichen Preisen anmiete. „Ein Wohnungsengpass besteht nach Rücksprache mit den Unternehmen derzeit nicht.“ Bei den Anmietungen werde darauf geachtet, dass es keine Bildung von Ghettos gebe. „In Salzgitter ist erfreulicherweise noch ausreichend Wohnraum vorhanden.“

Wolfenbüttel

„Wir gehen davon aus, dass zum Frühjahrsbeginn der Wohnraum für die Unterbringung von Flüchtlingen auf dem freien Wohnungsmarkt sehr knapp werden wird“, sagte Landrätin Christiana Steinbrügge. Daher stehe der Landkreis im Gespräch mit den Kommunen, um zu klären, inwieweit er dort planerisch unterstützend tätig werden könnte. Für die perspektivische Unterbringung von Flüchtlingen habe das Amt für Bauen und Planen ein Konzept entwickelt.

Auf der Grundlage der Bevölkerungs- und Haushaltsprognose 2030 zeichnet sich für die Stadt Wolfenbüttel auch in Zukunft eine weitgehend stabile Bevölkerungsentwicklung ab. Bedingt durch den demographischen Wandel komme es zu Veränderungen der Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt, so Stadtsprecher Thorsten Raedlein. Mehr Ein-und Zweipersonenhaushalte erforderten zunehmend den Bau von Geschosswohnungen. Verwaltung und Politik hätten dies früh erkannt und bereits im Dezember ein wohnungswirtschaftliches Großprogramm mit einem Volumen von über 20 Millionen Euro für die nächsten Jahre aufgelegt.

Wolfsburg

DER WOHNUNGSMARKT

In unserer Region entwickelt sich der Wohnungsmarkt immer weiter auseinander. Während in den Landkreisen und in Salzgitter oft mehr als genug Wohnungen zur Verfügung stehen, wird der Wohnraum in Braunschweig und Wolfsburg deutlich knapper. Die großen Städte wirken mit ihren Arbeitsplätzen und Unis wie Magneten.

Die zunehmende Attraktivität der Großstädte traf bis 2010 auf eine nur geringe Ausweitung des Angebots an Wohnraum. In der Folge stiegen gerade in Braunschweig und Wolfsburg die Mietpreise deutlich (siehe Grafik).

Die Mietpreisbremse soll in unserer Region in Braunschweig und Wolfsburg greifen. Hier hat die Landesregierung deutlich stärker steigende Mieten als im Landesschnitt ausgemacht. Es gibt wenig Leerstand, die Mietbelastung der Haushalte ist hoch. Die Bevölkerung wächst, ohne dass entsprechend neuer Wohnraum geschaffen wird. ad