Braunschweig. Die Raumsonde hat langsam ihre Systeme hochgefahren, die Solarzellen-Flügel gen Sonne bewegt, die Antenne zur Erde ausgerichtet und nach mehr als acht Stunden ein Signal gesendet.

Unser Leser mit dem Spitznamen „AuchFan“ schreibt auf der Internetseite unserer Zeitung:

Damit punktet Braunschweig, klasse!

Dazu recherchierte Cornelia Steiner

Um 11 Uhr hat Rosettas Wecker gestern geklingelt. Danach hat die Raumsonde langsam ihre Systeme hochgefahren, die Solarzellen-Flügel gen Sonne bewegt, die Antenne zur Erde ausgerichtet und nach mehr als acht Stunden ein Signal gesendet.

So lässt sich mit einfachen Worten beschreiben, was gestern in den unendlichen Weiten des Weltalls geschehen ist – etwa 800 Millionen Kilometer von uns entfernt und von der Erde aus nicht beeinflussbar. Ein Vor- gang, der Dutzende Wissenschaftler und Studenten in Braunschweig jubeln ließ – sowohl die Technische Universität als auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sind an der Mission beteiligt. Der Tag im Zeitraffer:

11 Uhr: Die Raumsonde Rosetta beginnt automatisch, aus dem Tiefschlaf aufzuwachen. 31 Monate lang hatte sie sich auf ihrem Weg zum Kometen Churyumov-Gerasimenko im Energiesparmodus befunden. Der Grund: Wegen der großen Entfernung zur Sonne konnte sie über ihre Solarzellen-Flügel keine Energie erzeugen. Sie flog also nur im Notbetrieb. Es gab in dieser Zeit keine Verbindung zur Erde.

12 Uhr: Im Kontrollzentrum der Europäischen Weltraumbehörde ESA in Darmstadt ist alles vorbereitet. Zwischen 18.30 Uhr und 19.30 Uhr wird das Signal von Rosetta erwartet, das anzeigt: Alle Systeme sind hochgefahren.

13 Uhr: Vor Ort in Darmstadt ist unter anderem Ingo Richter vom Institut für Geophysik und extraterrestrische Physik der TU Braunschweig. Richter meldet sich per Telefon: „Die Stimmung hier ist ziemlich gelassen. Wir können ja sowieso nicht eingreifen, wir können nur abwarten.“ Richter hat mit seinem Team ein Magnetometer für die Sonde entwickelt. Dieses Gerät soll erfassen, wie sich der Komet im Sonnenwind verhält.

15 Uhr: Nicht nur in Darmstadt steigt die Spannung immer mehr, sondern auch an der TU Braunschweig. Professor Karl-Heinz Glaßmeier befasst sich seit fast 25 Jahren mit diesem Projekt. Ihm zufolge wird so ein Wecken aus dem Tiefschlaf nicht zum ersten Mal durchgeführt. „Die ESA hat Erfahrung mit solchen Prozeduren – das ist eine wirklich professionelle Truppe. Jetzt hängt aber alles davon ab, was Rosetta kann und will“, sagt er. Niemand weiß, was der Sonde in den vergangenen 31 Monaten widerfahren ist. Theoretisch könnte sie zum Beispiel mit einem Gesteinsbrocken kollidiert sein. „Aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist so gering wie ein Sechser im Lotto. Es wird schon klappen. Es muss einfach klappen.“

17.30 Uhr: Im Haus der Wissenschaft in Braunschweig haben sich rund 250 Wissenschaftler, Studenten und Interessierte versammelt. Sie wollen das Eintreffen des Signals miterleben – per Livestream ist das ESA-Kontrollzentrum zugeschaltet. Die an der Mission beteiligten Wissenschaftler erläutern den Sinn des Projekts: Kometen bestehen aus dem Ursprungsmaterial unseres Sonnensystems. Durch ihre Analyse verspricht man sich Einblicke in die Vergangenheit. Wie ist die Erde entstanden? Wie kam das Leben auf die Erde?

18.15 Uhr: In wenigen Minuten soll das Signal eintreffen. Joachim Block, Standort-Leiter des DLR, erklärt unterdessen, wie sein Team die Struktur des Rosetta-Landegerätes gebaut hat. Dabei handelt es sich gewissermaßen um die Karosserie.

18.30 Uhr: Weitere TU-Wissenschaftler berichten über ihre Beiträge zu der Mission: Es geht zum Beispiel um einen Magnetometer, der das Magnetfeld des Kometen messen soll, und um einen Instrumentenrechner, der riesige Datenmengen zur Erde schicken soll.

19.07 Uhr: Um die Wartezeit zu überbrücken, wird im Haus der Wissenschaft schon mal Sekt verteilt. Professor Joachim Block prophezeit: „Wahrscheinlich kommt das Signal, wenn alle ein Glas in der Hand haben.“

19.18 Uhr: Jawoll! Die Signalkurve auf dem Kontrollschirm der ESA schlägt heftig nach oben aus – wie bei einem EKG-Gerät im Krankenhaus. Das ist Rosetta! Jubel im Haus der Wissenschaft. Applaus. Rosetta ist wach! „Super“, rufen etliche.

19.24 Uhr: Professor Karl-Heinz Glaßmeier strahlt. „Wir sind so happy!“, sagt er. „Jetzt geht’s richtig ab. Der nächste spannende Schritt ist im März das Einschalten und Testen unserer Instrumente. Und dann kommt im November die Landung! Das Ganze ist ein unglaublicher Motivationsschub für die Physik in unserer Region. So etwas kann nicht nur die NASA – das können wir auch.“

ROSETTA-MISSION

Die Raumsonde Rosetta ist seit 2004 im All unterwegs. Ihr Ziel ist der Komet Churyumov-Gerasimenko. Im Sommer soll sie ihn erreichen und dann mehrere Monate lang begleiten. Im November soll sie ein Landegerät auf die Oberfläche schicken – das gab es noch nie. Weltraumforscher vergleichen das Vorhaben mit der Mondlandung 1969.

Das Ziel der Mission sind Erkenntnisse über den Aufbau des Kometen. Wissenschaftler versprechen sich davon Rückschlüsse auf die Entstehung unseres Sonnensystems vor mehr als 4,5 Milliarden Jahren. Es geht vor allem um die Frage: Brachten Kometen, die mit der Erde kollidierten, einst die Grundbausteine des Lebens hierher, etwa Aminosäuren und Wasser?

Die Europäische Weltraumbehörde (ESA) ist für das Projekt verantwortlich. Die TU Braunschweig und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sind maßgeblich beteiligt.

Die nächste wichtige Etappe: Im März werden das Landegerät und die Messinstrumente hochgefahren und getestet.