„Wird hier nicht mit der Kanone der Rechtsstaatlichkeit auf demonstrierende Spatzen geschossen?“

Sind sie etwa am vergangenen Wochenende mit dem eigenen Pkw und der Familie in schöne Pfingsttage aufgebrochen und prompt im Stau geraten? Trotz hoher Spritpreise und eines sich zuspitzenden Klimawandels ist die Reiselust der Deutschen im eigenen Auto ungebremst. Also rauf auf die Autobahnen und rein in den gefürchteten Verkehrsinfarkt. Allein in Nordrhein-Westfalen ließ die urlaubsbedingte Blechlawine Staus und Stockungen auf bis zu 570 Kilometer anschwellen. Wie kann man dann ungeachtet dessen trotzdem ins eigene Auto steigen? Die Erfahrung zeigt, dass vor Feiertagen und Ferien grundsätzlich mit hohem Verkehrsaufkommen zu rechnen ist. Wehe, wenn man dann durch eine Panne liegenbleibt und selbst zum Hindernis wird. Ist man so nicht nur selbst Schuld am Stau, sondern handelt quasi schuldhaft? Mit etwas bösem Willen könnte man sogar einen Vorsatz unterstellen. „Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln.“ So sieht es zumindest Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Wer Stau verursacht, verletze die Rechte anderer, und vor dem Gesetz sind wir nun einmal alle gleich. Der Anfangsverdacht reicht offenbar aus. Daher veranlasste die Staatsanwaltschaft München kürzlich bundesweite Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der Letzten Generation, die in der Vergangenheit ebenfalls als Staumacher bekannt wurden, nun aber vollmundig unter Verdacht gestellt werden, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Davon ist zumindest die Innenministerin überzeugt und erklärt, „dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt.“ Wer aber so formuliert, lässt vielmehr beleidigtes Gefühl erkennen, den gebotenen Abstand aber schmerzlich vermissen. Wird hier nicht unter konstruiertem Vorwand mit der Kanone der Rechtsstaatlichkeit auf demonstrierende Spatzen geschossen? Wenn der Politik ihre Dialogbereitschaft abhanden kommt und stattdessen mit staatlichen Machtdemonstrationen agiert, dann läuft man immer Gefahr, die Demokratie mit ihrer Rechtsstaatlichkeit selbst als eine Art Kollateralschaden zu opfern. Der Rechtsstaat aber, das sind wir. Eine Legitimation erhält er durch die Zustimmung einer Gesamtheit der deutschen Bevölkerung und nicht durch ein Klima von Angst und Schrecken. Die Anordnung von Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen bei Menschen, die ihrem Protest Ausdruck verleihen, wirkt bedrohlich und offenbart eine Hilflosigkeit. So wird der Rechtsstaat aber selbst auf dem Friedhof der Geschichte gleich neben „Von Gottes Gnaden“ und „Für Kaiser und Vaterland“ landen. Das einzige, was man der Letzten Generation wirklich vorwerfen kann, ist, dass Aktivisten auf öffentlichen Straßen einen Stau verursacht haben. Diesen Vorwurf müssen sich dann aber auch alle Autofahrer an jedem Ferienanfang gefallen lassen. Und: Alle, die mit dem Zug gefahren sind, haben wahrscheinlich weder von klebenden Klimaaktivisten noch von Staus etwas mitbekommen.