„Ohne definierte Ziele blieb nur der Endpunkt der militärischen Eskalationsdynamik: die Vernichtung des Feindes.“

Vor zwei Wochen ätzte ich hier über die Qualität deutscher Filmproduktionen. Nun hat ein deutscher Film vier Oscars gewonnen. Ein Widerspruch? Auch wenn Kulturstaatsministerin Claudia Roth ganz begeistert über die Auszeichnung nach Kalifornien gejettet ist, bleibt die Tatsache, dass „Im Westen nichts Neues“ auf jegliche staatliche Filmförderung verzichtet hat und zudem von Netflix produziert wurde. Zufall ist das nicht. Aber darum soll es heute gar nicht gehen. Sondern um die Auslegung des Stoffs – im Film und in den Medien. Nicht nur in dieser Zeitung war zu lesen, „Im Westen nichts Neues“ zeige, dass Kriege sinnlos seien. Doch die Geschichte belegt nicht etwa die Sinnlosigkeit von Kriegen an sich, sondern die des Ersten Weltkriegs. Ein Krieg, der weder von der britischen noch der französischen oder der deutschen Regierung gewollt war und in den alle Beteiligten hineingestolpert sind, ohne vorher festzulegen, was sie eigentlich erreichen wollen. Was folgte, war ein vierjähriges sinnloses Morden und Schlachten infernalischen Ausmaßes. Ohne definierte Ziele blieb nur der Endpunkt der militärischen Eskalationsdynamik: die Vernichtung des Feindes. Doch das ist eine Eigenschaft von Verdun, Ypern und der Schlacht an der Somme, nicht von Kriegen im Allgemeinen. Als 1948 sechs arabische Staaten über das soeben gegründete Israel herfielen, entwickelte sich keinesfalls ein sinnloser Krieg. Schon gar nicht aus Sicht Israels: Man kämpfte gegen die Vernichtung und schloss einen Waffenstillstand, als der Gegner einsehen musste, dass er sein Ziel nicht erreichen konnte. Und auch dass im Juni 1944 amerikanische, britische und kanadische Soldaten in der Normandie den Endkampf gegen Nazideutschland einleiteten, war alles andere als sinnlos. Als „Im Westen nichts Neues“ 1929 erschien, zertrümmerte es die letzten Reste der medial zwar häufig überzeichneten, aber zumindest teilweise durchaus vorhandenen Kriegsbegeisterung in Deutschland. Das Buch war ein Angriff auf die Jünger’sche Verklärung des Krieges als stahlgewittrige Reifeprüfung und auf den Hurrapatriotismus von 1914. Davon ist heute nichts geblieben, auch wenn Hurrapazifistinnen wie Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer anderes behaupten. „Insofern kommt der Film dem Versuch gleich, möglichst viele offene Türen einzutreten oder – um im Bild zu bleiben – einzuschießen“, schreibt der Politologe Karl-Hermann Leukert treffend auf der Autorenplattform „Salonkolumnisten“. Selbst bei den lautstärksten Befürwortern von Waffenlieferungen an die Ukraine wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann oder Anton Hofreiter kann von Kriegsbegeisterung keine Rede sein. Die ist allein bei russischen Propagandaveranstaltungen wie im Luschniki-Stadion mit über die Eroberung Berlins rappenden Soldaten vorhanden. Entsprechend müsste der Film eigentlich dort gezeigt werden. Für das russische Publikum würde der Titel dann auch wieder passen.