Befragt man die Fußball-Fans zu ihren innigsten Erlebnissen mit ihrem Verein, werden zumeist Meisterschaften oder Aufstiege angeführt. Dies gilt in der Regel auch für die dazugehörigen Berichterstatter. In meinem Fall jedoch wird ein Spiel gegen den Abstieg das emotionalste Erlebnis bleiben, das ich mit Eintracht Braunschweig verbinde.

Im Herzen Fan seit Kindheitstagen, im Kopf aber objektiver Sportredakteur, ging es am 31. Mai 2008 ins Stadion an der Hamburger Straße. Hier war ein Szenario angerichtet, für das es nur ein zutreffendes Wort gibt: hoffnungslos. Am letzten Spieltag der Regionalliga Nord war die Qualifikation zur eingleisigen 3. Liga nur noch mit einem Heimsieg über Borussia Dortmund II machbar, allerdings musste gleichzeitig Gastgeber Rot-Weiss Essen gegen den insolventen Absteiger VfB Lübeck Federn lassen. Zudem durfte der FC Magdeburg nicht hoch in Wuppertal gewinnen. Der Tag der Abrechnung schien also gekommen. Die 4. Liga drohte als Quittung für die den Traditionsverein begleitenden Probleme wie Misswirtschaft, Inkompetenz und interne Querelen. Neu-Präsident Sebastian Ebel war erst wenige Monate zuvor gewählt worden. Als Trainer Benno Möhlmann drei Spieltage vor Saisonende entnervt hinwarf, blieb mangels Finanzen als einziger Pfeil im Eintracht-Köcher A-Jugend-Trainer Torsten Lieberknecht übrig.

Die Verkrampfung und Verzweiflung aller rund 22.000 im Eintracht-Stadion war mit den Händen zu greifen. Das Geschehen auf dem Platz ließ auch keinen Hoffnungsschimmer aufkommen. Allerdings hielten die in Kleinbussen angereisten Lübecker in Essen zur Halbzeit ein 0:0. Erstaunlich.

Unerwartet auch die Eintracht-Führung (59.) durch Valentine Nastase per Elfmeter. Sollte doch noch eine andere Geschichte geschrieben werden? Jetzt war sie jedenfalls da, die leise Hoffnung, dem Untergang zu entrinnen. Handys in verschwitzen Händen, die wildesten Gerüchte machten jetzt die Runde, auch auf der Pressetribüne. Domi Kumbela (82.) sorgte dann dafür, dass die Eintracht ihre Hausaufgabe mit 2:0 erledigte. Gleichzeitig kämpften die Lübecker an der Hafenstraße wie die Löwen und leisteten mit herausragendem Sportsgeist Schützenhilfe. Allerdings hatte das Spiel später begonnen. Der Spannungsbogen drohte bei vielen Fans zu reißen, niemand wusste so richtig, wohin jetzt mit der ganzen Aufregung, der Ungläubigkeit. Dann trifft der Lübecker Steve Müller (88.). Nach unsäglich langen Minuten, die sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlten, wurde klar: RWE hat es vergeigt. Abpfiff in Essen. Im Eintracht-Stadion brachen sehr tränenreich alle Dämme. Das erste und einzige Mal stand ich jubelnd auf dem Pressepult. Wahnsinn.

Und der ging dann bald weiter, denn Trainer Lieberknecht führte die Eintracht 2013 sogar zurück in die Bundesliga.

75 Jahre Braunschweiger Zeitung

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