Die emotionalsten Momente als Sportjournalistin? Da hat man gleich die größten Siege deutscher Nationalteams im Kopf, die man miterleben durfte, wie 1993 den Triumph der Basketballer bei der Heim-EM in München oder 2007 den der Handballer bei der WM in Köln. Doch das ist es nicht. Wird ein Finale gewonnen, denkst du als Berichterstatter parallel längst hochkonzentriert an dein Produktionsfenster, den Einstiegssatz oder bist im größten Jubel Richtung Hallenkatakomben zwecks Stimmenfangs unterwegs. Je größer der Erfolg, desto härter das Gedrängel in der Mixed Zone.

Trotzdem sind die berührendsten, mitreißendsten Momente alle mit internationalen Großveranstaltungen verbunden, mit Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften. Denn wenn Sportfans aus aller Welt zusammentreffen, entsteht diese ganz besondere Atmosphäre. Wer zum Sportgucken in fremde Länder reist, bringt eine gewisse Weltoffenheit, Neugier und beste Stimmung mit. Klar, man hat ja Urlaub und trifft auf Einheimische, die zum Beispiel als Volunteers begeistert davon sind, den Gästen ihre Stadt zu zeigen und sich auszutauschen. Ein unwiderstehlicher Gute-Laune-Booster, der so stark ist, dass sogar die spröden Deutschen bei der Leichtathletik-WM in Berlin 2009 mit Maskottchen Berlino auf der Straße tanzten.

Drinnen im Olympiastadion ein ganz anderer, typischer und immer wieder packender Sportmoment: Die Stille vor dem Startschuss. Kein Räuspern, kein Hüsteln, kein Flüstern, als sich Usain Bolt vor seinen zwei Weltrekordläufen in die Startblöcke faltet. 70.000 Menschen totenstill, um Sekundenbruchteile später einen Orkan zu entfachen und das Stadion beben zu lassen.

Fantastisch: Je mehr Menschen da sind, umso leiser ist es gefühlt. Mein Gänsehaut-Highlight waren die Olympischen Spiele 2000 in Sydney, als sich Cathy Freeman anschickte, die 400 Meter zu gewinnen. Alle 100.000 Fans im Stadion schienen genau zu wissen, welcher Druck auf der zur nationalen Ikone aufgebauten jungen Aborigine-Frau lastete, die Gold holen musste, um die Australier mit ihrer Geschichte zu versöhnen. Alle wollten ihren Beitrag leisten, schrien sie ab dem Startschuss 49,11 Sekunden lang infernalisch ins Ziel – und so war der Triumph des Wunderwesens im grün-silbernen Kapuzenanzug in diesem Augenblick ein Sieg für alle.

Das ist es. Kollektive Glücksmomente sind die emotionalsten Erlebnisse im Sport. Einen einzigartigen Moment mit vielen anderen gemeinsam zu erleben, gibt ein beflügelndes, aber auch verschwörerisches Gefühl, schweißt fremde Menschen wundersam zusammen.

Und das muss nicht mal an einen Wettkampf gebunden sein. Unvergesslich, wie bei der Leichtathletik-EM 2018 in Berlin zum Ende der Wettkämpfe ein schweres Unwetter aufzog, der Stadionsprecher die Menschen aufforderte, zum Schutz unter dem Dach des Olympiastadions zu verweilen und die Musik aufdrehte. Und so schmetterten dann Zehntausende in einer halbstündigen Chor-Session „Sweet Caroline“ und andere Gassenhauer dem Regen und Donnergrollen entgegen, tanzten, schwenken dazu Fahnen aus aller Welt und ihre Handylichter.

Schön, dass nun endlich wieder Fans zum Sport dürfen.

75 Jahre Braunschweiger Zeitung

Dieser Text ist Teil unseres großem Themenschwerpunktes zum 75-Jährigen Bestehen der Braunschweiger Zeitung.

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