Jörg Brokmann berichtet von einer Frau, die trotz ihrer Diagnose Zuversicht ausstrahlt. Das imponiert ihm.

Als mich das jungvermählte Paar empfängt, dringt pure Sympathie unter meine Haut, erfüllt mich mit großer Freude auf das Gespräch, nein mehr, auf das freundschaftliche Treffen mit Michaela Herbst. Plumpe Duzerei lehne ich in unserem Beruf eigentlich ab -- abgesehen von meiner Zeit als Sportreporter – aber Ausnahmen gehören ebenso zum Leben des Redakteurs wie Geradlinigkeit und Unbestechlichkeit.

Seit mehr als zwölf Jahren darf ich über diese unbeugsame und tapfere Frau, ihre Tiefschläge, ihre bitteren Niederlagen, ihre persönlichen Wandlungen, ihre unbändige Energie, ihre Trauer und ihren bedingungslosen Optimismus schreiben. Ihr Vertrauen, die vielen schwierigen Phasen des letzten Jahrzehnts anderen Menschen nahezubringen, erfüllt mich ein wenig mit Stolz. Das gebe ich gern zu.

Bei unserem letzten Treffen in Vor-Corona-Zeit kämpft sich die liebevoll-energische MS-kranke Hundezüchterin gerade zurück in ein freudvolleres Liebesleben. Ihre jetzige Frau Renata – die Ehe ist seit Anfang August mit dem Segen der Kirche versehen – hatte sie wenige Wochen zuvor kennengelernt. Ihre Lebenslust steckt mal wieder an, mich, den gesunden Chronisten, der alle paar Jahre in Eutzen auftaucht, erfüllt mich mit Demut und Dankbarkeit ob meines relativ sorgenfreien Daseins. Die feinfühlige Mutter und Oma spürt selbstverständlich meine Verlegenheit und verabschiedet mich im Januar 2020 mit der Bitte, mich umarmen zu dürfen. Nur so, aus Sympathie. Nach so langer Zeit der ehrlichen Vertrautheit auf Distanz ungewöhnlich. Seit diesem Tag nennt sie mich Jörg und ich sie Michaela. Es fühlt sich gut an.

Meine Freude über das junge Glück der beiden Frauen kann und möchte ich nicht verhehlen, gar artikulieren. Seit mehr als 25 Jahren lebt die 57-jährige Michaela mit der Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose, erfährt Höhen und Tiefen, Glücksmomente und allerhärteste Rückschläge. Gebrochen hat sie das nicht.

Im Gegenteil. Was hat sich nun wieder in ihrem turbulenten Leben ereignet?, frage ich mich jedes Mal, wenn ich mit gespannter Vorfreude zum Ortstermin fahre. Welche Idee die im positiven Sinne Gierige nun wieder umsetzen möchte – ihrer fortschreitenden Krankheit trotzend.

Noch mal umziehen in ein Tiny-Haus, sich reduzieren auf das Nötigste, sich mehr um ihren dementen Vater kümmern, den Glauben an Gott vertiefen.

Vielleicht. Oder in sich schauen. „Wir werden einfach unsere Zweisamkeit genießen“, meldet sich erstmals Renata (50) zu Wort. Und beide lächeln sich verliebt an.