Ich bin erst seit Anfang diesen Jahres als Volontär bei der Braunschweiger Zeitung tätig. Trotz der kurzen Zeit und der erschwerten Bedingungen im Corona-Lockdown habe ich schon viele besondere Momente in dieser Zeit erlebt. Einer dieser Momente war sicherlich mein Interview mit Heinrich Waßmuß, dem Inhaber der Leseratte im Mai. Das Interview habe ich für eine Reportage zum Umgang von Menschen mit ihren gebrauchten Büchern geführt.

Das Thema entpuppte sich als unverhofft spannend. Denn Waßmuß’ Buchladen ist auch ein Antiquariat mit tausenden von gebrauchten Büchern. Seinen Laden gibt es schon über 28 Jahre. Etliche Male bin ich daran vorbeigegangen, reingetraut habe ich mich nie. Selten hat mir ein Interview so Spaß gemacht. Waßmuß erzählte von den kuriosesten Dingen, die er in den Büchern als Lesezeichen gefunden hat: Das reichte von Banknoten aus aller Welt über Liebesbotschaft bis hin zu Aktfotos. Während unseres Gespräches kamen immer wieder Kunden rein – sie alle bestellten bei Waßmuß seit Jahren ihre Bücher. Eine Frau betonte, Waßmuß sei „der Engel von der Kastanienallee“ und die Straße ohne seinen Laden undenkbar.

Joschka Büchs vor der Leseratte
Joschka Büchs vor der Leseratte © Privat | Privat

Da habe ich gemerkt, wie schön Lokaljournalismus doch sein kann. Denn zwar mag es auch in anderen Städten den seit Jahrzehnten inhabergeführten Buchladen geben, doch die Leseratte, mit ihrer Geschichte, die so eng verbunden ist mit dieser Straße im Östlichen Ringgebiet von Braunschweig, die gibt es nur hier.

Zwar ist das tägliche Brot des Lokaljournalisten oft die harte Nachricht aus Politik, Blaulicht und Wirtschaft. Doch ist es meiner Meinung nach auch Aufgabe des Lokaljournalismus, dass solche lokalen Institutionen wie die Leseratte sichtbar bleiben. Zwar mag es praktischer sein, seine Bücher bei Amazon zu bestellen, doch am Ende des Tages bleiben doch die Bücher in Erinnerung, die wir in der Leseratte erstöbert, von der Mutter bei Graff geschenkt oder bei Pfannkuch empfohlen bekommen haben.

Vor kurzem bei einem Spaziergang entdeckte ich schließlich, dass Waßmuß besagte Reportage von mir in sein Schaufenster gehangen hat. Es war das erste Mal, dass meine Arbeit als Journalist hier in meiner Heimatstadt eine physisch greifbare Spur hinterlassen hat. Freunde von mir sprechen mich seither des Öfteren darauf an. Das hat mir gezeigt: Ich bin ich hier richtig, als Lokaljournalist.

75 Jahre Braunschweiger Zeitung

Dieser Text ist Teil unseres großem Themenschwerpunktes zum 75-Jährigen Bestehen der Braunschweiger Zeitung.

Alle Texte zu unserem Schwerpunkt finden Sie unter https://www.braunschweiger-zeitung.de/75jahre/