“Schockschwerenot, schwule Schauspieler? Welch ein Tabubruch! Das ist fast so unerhört wie weiße Basketballer oder heterosexuelle Modedesigner.“

Anfang des Monats hat die „Süddeutsche Zeitung“ schwungvoll offene Türen eingerannt. Im Stil des legendären „Stern“-Titels „Wir haben abgetrieben“ von 1971 druckte das SZ-Magazin eine Reihe von Porträts unter der Überschrift „Wir sind schon da“.

Schon da sind in diesem Fall 185 „Schauspieler*innen“, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, queer, nicht-binär und trans „outen“. Schockschwerenot, schwule Schauspieler? Welch ein Tabubruch! Das ist fast so unerhört wie weiße Basketballer oder heterosexuelle Modedesigner. Anders als die Frauen, die sich 1971 der Gefahr der Strafverfolgung aussetzten, bedarf es keines großen Mutes, um sich in progressiven Künstlerkreisen im Deutschland des Jahres 2021 zu seiner nicht heteronormativen Sexualität zu bekennen. Das wäre vielleicht bei Profifußballern der Fall oder bei Stahlarbeitern in Salzgitter. Böse formuliert, könnte man das Ganze als geschickte Image-Kampagne bezeichnen. Größtenteils unbekannte Schauspieler erhalten so bundesweite Aufmerksamkeit.

Interessanter als die sexuelle Orientierung der Protagonisten der Aktion ist die sich daran anschließende Diskussion über Schauspielerei. Ulrike Folkerts musste sich offenbar sagen lassen, da sie als lesbische Frau keine Kinder habe, könne sie keine Mutter spielen. „Wir müssen nicht sein, was wir spielen“, heißt es im abgedruckten Manifest. Angesichts der Teufel, Walküren und Elfenkönige, die die Bühnen dieser Welt bevölkern, ist das eigentlich so banal, dass man darüber lachen könnte.

Allerdings liegt diese Banalität quer zum Trend. So sah sich Tilda Swinton Anfeindungen ausgesetzt, weil sie für den Superheldenfilm „Dr. Strange“ in die Rolle des Ancient One schlüpfte. In den Comics handelt es sich bei diesem geheimnisvollen Zauberer um einen alten Mann aus Tibet. Sie selbst sah ihre Besetzung als Chance, „dass endlich mal dieses Klischee umgebrochen wird, dass Weisheit immer männlich konnotiert ist“, wie sie erklärte. Doch statt Zuspruch erntete sie Vorwürfe – weil sie keine Asiatin ist.

Im vergangenen Jahr hat sich die Schauspielerin Zoe Saldana öffentlich für eine Rolle entschuldigt. „Ich hätte sie niemals spielen dürfen“, sagte sie in einem Interview. Ihr Vergehen? Die dunkelhäutige Saldana hatte im Film „Nina“ die Blues-Sängerin Nina Simone gespielt. Die war aber dunkler als Saldana, weswegen entsprechende Schminke zum Einsatz kam. Den Rassismus-Vorwürfen stellte sich Saldana, die sich selbst als schwarz bezeichnet, anfangs noch entgegen – bis sie schließlich unter Tränen eingestand: „Ich weiß es heute besser. Ich lerne.“

Angesichts zunehmender identitätsfetischistischer Empörungswut kommt das Manifest der queeren Schauspieler also zur rechten Zeit mit seiner Aussage „Wir müssen nicht sein, was wir spielen“. Oder sind auch hier einige Tiere gleicher als die anderen, und diese eigentlich selbstverständliche Definition des Wesens der Schauspielerei gilt nur für Schauspieler mit ganz bestimmten Eigenschaften?