Dieser geradezu barock anmutende Titel machte natürlich neugierig und beim Blättern fanden sich 17 Geschichten aus studentischem Leben.

Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist das Stöbern in Antiquariaten und Antiquariats- oder Auktionskatalogen. Es ist dies fast immer mit einem unvergleichlichen Entdeckerdrang verbunden. Ebenso mit der Hoffnung, besonders spannende, vielleicht auch seltene und vergessene sowie im besten Falle unbekannte Zeugnisse aus Literatur und Geschichte zu entdecken.

So konnte ich vor kurzem einige Briefe und Aufzeichnungen von und zu Wilhelm Raabe aufspüren. Nach der näheren Bearbeitung berichte ich dazu entweder an dieser Stelle oder im Jahrbuch der Internationalen Raabe Gesellschaft. Der neueste Fund aber ist eine kleine Broschüre aus dem Jahr 1958, bei der mir Verlag und Autor zwar bekannt waren, die ich aber zunächst nicht zusammenbringen konnte und deshalb einige Recherchen darüber anstellte, was ein Student der Universität Münster mit einem braunschweigischen Verlag zu tun hatte, denn der Verlag von Hans Oeding war zu verorten.

Die Broschüre trägt den Titel „Balduin oder Studienbuch mit Rückantwort (Die mannigfaltigen Merkwürdigkeiten des Studenten B.)“ und wurde angepriesen mit den Schlagworten auf dem Titelblatt „Erbauend – Unentbehrlich – Lohnend“ sowie „Wahrheit – Literatur – Kultur“. Dieser geradezu barock anmutende Titel machte natürlich neugierig und beim Blättern fanden sich 17 Geschichten aus studentischem Leben wie „Balduin schreibt Seminararbeit“, „Balduin werkstudiert“, „Balduin und seine Wirtin“ oder „Balduin geht auf den Semesterball“, als Beispiele genannt. Darin wurden bis heute aktuelle Gedanken zum Studieren ironisch-heiter angesprochen, weshalb unsere Betrachtung im Löwenmaul treffend geeignet ist zum aktuellen Semesterbeginn.

In der ersten Kolumne stand das Thema Plagiat im Mittelpunkt: „Was Balduin solcherart aus fremden Büchern entnimmt, diese massive Anhäufung geistiger Diebstähle also, wird nun, in einem weiteren Stadium des Verfahrens, durch die geringe Mühe der Anbringung von Fußnoten mit Bezugsangaben seines Diebstahlcharakters entkleidet. Dadurch wird das Geklaute, wie durch Zauberei, auf einmal wieder gesellschaftsfähig. Das macht dem Balduin an der ganzen Seminararbeit den unbestritten meisten Spaß“, so der befreiende Rückschluss. Ebenso studentisch existenziell ist das obligatorische Referat bei dem der Redner zunächst die Begeisterung seines Auditoriums mit dem todsicheren Trick fünfminütiger Literaturangaben auf die Spitze treibt „und mit Genugtuung feststellt, daß sich aus der ursprünglich amorphen Zuhörerschaft bereits die ersten Schläfer aussondern.“ Solche Geschichten erinnern an frühere Studienzeiten und tatsächlich waren sie in den 1950er Jahren als Kolumne für die münstersche Studentenzeitung „Semesterspiegel“ (die es übrigens heute noch gibt).

Da der Autor als junger Student mit diesen Kolumnen auch eine kommerzielle Erwartung verband, erschienen sie bald auch in „einem biederen Provinzblättchen“, nämlich der in einem Ort namens Schöppenstedt erscheinenden ‚Elm-Zeitung‘. Es war ein Vorabdruck von dem schließlich im Verlag Oeding erscheinenden „Balduin-Büchleins“ und wurde nach Angaben des Autors und seiner Stammkneipen in Münster ein brauchbarer Erfolg. Es folgten tatsächlich weitere Auflagen, da das Büchlein vor allem im Münsterland zahlreiche Abnehmer fand. Doch nun noch zum Autor, denn auch der war mir bestens bekannt und diese Begegnung besaß für mich eine eigene Geschichte, nun aber verbunden mit Wien.

Bei meinen früheren Veranstaltungen an der Universität Wien sprach mich eines Tages nach einer Vorlesung eine Studentin an und meinte, ich sollte doch unbedingt einmal einen Vortrag bei dem Schriftsteller Dietmar Grieser besuchen, der würde schließlich Geschichte ebenso unterhaltsam erzählen, wie sie es gerade bei mir erlebt hätte. Den studentischen Rat befolgend, kam ich zu dem großen Vergnügen, anlässlich einer Buchpräsentation (sinnigerweise hieß das Buch „Alle Wege führen nach Wien“) den schon damals überregional bekannten österreichischen Autor Dietmar Grieser zu erleben. Er war übrigens 1934 in Hannover geboren, hatte in Münster Publizistik studiert und lebt nach einem Auslandssemester seitdem in Wien und wurde österreichischer Staatsbürger.

Viele seiner Werke beschäftigen sich mit der Literatur- und Kulturgeschichte von Wien und Österreich und haben längst Kultstatus erreicht. Die Presse spricht bei vielen seiner bisher erschienen 49 Büchern von echten Bestsellern und Longsellern, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. In der Literaturkritik wurde der 85-jährige Grieser einmal charakterisiert als „ein Spurensucher, gegen den alle sentimentalen Literaturpilger der alten Schule in den Schatten weichen müssen“.

Als erstes seiner Bücher zählt man meistens „Von Schloß Gripsholm zum River Kwai“ aus dem Jahr 1973. Sein erstes „Büchlein“ aber war tatsächlich das „Balduin-Büchlein“ und ist, wie von einem Hannoveraner zu erwarten, in Braunschweig beim Verlag Hans Oeding schon im Jahr 1958 erschienen.