An diesem Montag möchte ich keine Kolumne schreiben.

Diese Kolumne schreibe ich meistens montags. Einige Tage vorher suche ich mir ein Thema aus. Ich verfolge die Nachrichten, ich beobachte meine Umgebung, die Menschen, die Tiere und die Fauna. Da ich die deutsche Sprache nicht so gut beherrsche, um seitenweise die Natur beschreiben zu können, beschränke ich mein Beobachtungsfeld auf die Menschen und die Tiere.

Bei den Tieren bin ich auch vorsichtig; mit welchen Wörtern kann ich ausführlich beschreiben, was sie treiben, wie sie ihre Frauchen und Herrchen austricksen, um das Essen zu stibitzen, das auf dem Esstisch steht. Ich denke an die mühevolle Arbeit meiner Korrektorin, die sich manchmal die Haare rauft: „Mann o Mann! Was hast du dir hier ausgedacht? Du sprichst in der letzten Zeit zu viel Französisch. Ich sehe das an deinem Satzaufbau. Bitte telefoniere weniger in die Heimat.“ Ich nicke ergeben: „Ich werde das nächste Mal aufpassen.“ Und schon ist eine Woche vorbei.

An diesem Montag möchte ich keine Kolumne schreiben. Ich möchte nur mal so sitzen und eine Reise in die Vergangenheit machen, weil ich ein Jahr älter geworden bin. Ich möchte über mein Leben in den letzten 52 Jahren nachdenken und den ganzen Tag nichts tun. Darf ich das überhaupt? Die Redaktion wird sicherlich Verständnis dafür haben. Sie werden sagen: „Alles Gute zum Geburtstag, Herr Degla!“ Aber was werden meine Leser sagen? „Hallo Herr Degla, was ist los gewesen? Ich habe die Zeitung von vorne bis hinten durchgeblättert und Ihre Kolumne nicht gefunden.“ Sie fragen nicht, ob ich krank gewesen bin oder etwas mich daran gehindert hat. Ich begegne dem einen oder der anderen auf der Straße: „Hallo Herr Degla, ist Ihnen diese Woche nichts eingefallen?“ Muss den Journalisten immer etwas einfallen? Ich warte seit langem auf den Tag, an dem die Zeitungsmacher nur ein weißes Blatt veröffentlichen und darauf schreiben werden: „Unsere Journalisten haben dieses Mal keine Lust gehabt. Wir haben nichts zu melden.“ Aber die Angst, dass die Leser beim Aufwachen früh am Morgen ihre Lektüre vermissen werden, treibt uns immer wieder dazu, etwas abzuliefern.

Mein 53. Lebensjahr beginne ich mit vielen Fragen. Wann kann ich wieder normal Geld verdienen? Das Corona-Virus ist kein Terrorist, den man mit Gesetzen, Überwachung oder Ausgangssperre bekämpfen kann, deshalb warte ich nicht auf politische Entscheidungen. Ich warte auf die Nachricht, dass ein Heilmittel gefunden wurde. Um auf diese Meldung zu warten, möchte ich gerne in einer Kapsel sitzen und für ein bis zwei Jahre eingeschlafen sein. Eine Art Winterschlaf. Welch ein Gefühl, aufzuwachen und zu erfahren, dass alles überstanden ist. Ich werde ohne Mundschutz schwimmen gehen, Restaurants besuchen oder tanzen gehen.

Aber so geht das nicht. Deswegen sitze ich vorm Computer und will eigentlich keine Kolumne schreiben. Mit der Zeitreise in die Vergangenheit sehe ich, dass mein Leben eine Aneinanderreihung von Höhen und Tiefen ist. Dank der kräftigen Unterstützung von lieben Menschen um mich herum befand ich mich wieder im Aufwind, dann kam unerwartet die Corona-Krise. Ich habe immer gedacht, dass, wenn man schon einige Krisen hinter sich hat, man die Zeichen der nächsten Krise erkennen und sich in Sicherheit bringen kann. Es war ein Irrtum, wir sitzen alle mehr oder weniger mittendrin.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Angestellten der Ausländerbehörde in Braunschweig. Sie war mehr als zehn Jahre meine Sachbearbeiterin. Sie hatte meinen Stress mit dem Ausländergesetz verwaltet. Als sie endlich die Entscheidung treffen durfte, den ersehnten Stempel in meinen Reisepass zu drücken, wünschte sie mir viel Glück.

Ich entgegnete: „Jetzt bin ich sicher, dass ich endlich durchstarten werde.“ Sie blickte mich an. Ein Blick, den ich nie vergessen werde, und sagte: „Im Leben ist nichts sicher. Und in Deutschland auch nicht. Merken Sie sich das.“

Seit dem Beginn der Krise denke ich jeden Tag an dieses Gespräch. Die ganze Welt wartet auf ein neues sicheres Gefühl. Ich auch.

Luc Degla studierte im Benin Mathematik und in Moskau und Braunschweig Maschinenbau. Der freie Autor lebt in Braunschweig. In seiner Kolumne beschreibt er sein Leben mit den Deutschen.