Werden wir einen Hoffnungsträger in Vogelgestalt finden?

Kennen Sie die Redewendung „wie ein Phönix aus der Asche auferstehen“? Sie geht auf die Mythologie über den Vogel Phönix zurück, der am Ende seines Lebens im Feuer verbrennt, um wiederum aus der Asche aufzuerstehen. Gibt es diesen Vogel wirklich?, fragte ich mich. Schön soll er gewesen sein und selten. Zumindest stimmen alle Mythen von der mediterranen Antike über Persien und Indien bis nach China darin überein. Ja, es gibt tatsächlich eine Vogelart, die schon in ihrem lateinischen Namen den Phönix in sich trägt: Es ist der graziöse Flamingo, zoologisch als Phoenicopterus bekannt.

Die Fantasiegestalt Phönix wird oft als Symbol für den Wiederaufbau zerstörter Städte nach dem Zweiten Weltkrieg verwendet. Und nun spanne ich endlich den Bogen zu Braunschweig. Da unsere Innenstadt bekanntlich zu 90 Prozent zerstört war, wäre der Fund einer Phönix-Abbildung vollauf gerechtfertigt. Immerhin hat sich Braunschweig ja aus den Trümmern zu einer attraktiven Stadt gemausert. Werden wir einen Hoffnungsträger in Vogelgestalt finden? Ja, wir werden fündig – und das gleich zwei Mal – in der Nähe des Hagenmarkts. Los geht’s, den anmutigen Vogel Phönix zu entdecken.

Den ersten Phönix finden Sie neben dem in Renovierung befindlichen Einwohnermeldeamt an der Fallersleber Straße: am ehemaligen Siemens-AG-Gebäude. Ein riesiges Wandgemälde an der Schmalseite des fünfstöckigen Hauses lenkt die volle Aufmerksamkeit auf sich und vielleicht ist er Ihnen deshalb bisher entgangen. Der seltene Vogel versteckt sich nämlich etwas scheu im Eingangsbereich dieses Fünfziger-Jahre-Baus. Das Mosaik an sich ist jedoch hinsichtlich seiner Abmaße alles andere als bescheiden, denn es nimmt ganze 18 Quadratmeter ein. Bogenförmige Stücke aus mehreren Marmorsorten bilden eine stark stilisierte Vogelgestalt. Peter Lufft, Kenner der damaligen Kunstszene Braunschweigs, berichtet in einer Dokumentation über Plastiken in Braunschweig, dass der Architekt dieses Gebäudes die Steinintarsie selbst geschnitten und nach einem Aquarell des Hamburger Malers Willi Sohl gelegt hat.

Ein gänzlich anderes visuelles Erlebnis werden Sie haben, wenn Sie sich umdrehen, die Fallersleber Straße überqueren und über den Parkplatz hinter der Katharinen-Kirche gehen. Dort treffen Sie auf Phönix Nummer 2, man staune, an einer belanglos-nackten Wand. Dort funkelt er im Abendlicht. Der Vogel mit großen Schwingen fliegt – in einem Metallrahmen seiner echten Freiheit beraubt – der Sonne entgegen. Sie und die Flügel des Vogels leuchten golden. Also beraumen Sie am besten Ihren Spaziergang gegen Abend an. Karl-Heinz Meyers „Phönix aus der Asche“ ist ein Relief aus acht großen Fliesen, die in sich wiederum aus zartfarbenen Steinstücken mit Intarsien zusammengesetzt sind. Sie scheinen zu unterschiedlichen Zeiten hergestellt worden zu sein, denn die Farb- und Materialübergänge passen nicht überall zusammen.

Vor diesem Wandbild stehend, fragt man sich unwillkürlich: Warum in aller Welt hängt man an dieser Stelle, an der kaum jemand vorbeikommt, ein solches Kunstwerk auf? Die Antwort: Seine Lage war damals bedeutungsvoller als heute. Nach dem Krieg befand sich dort nämlich das Verwaltungsgericht der Stadt. Auch hier vermisst man – wie so oft an Braunschweiger Kunstobjekten im öffentlichen Raum – eine Erklärung. Deshalb schlug schon vor vielen Jahren das Friedenszentrum Braunschweig diesen Text vor: PHOENIX AUS DER ASCHE, 1959 VON KARL-HEINZ MEYER (1927-96) ER LEHRTE AN DER WERKKUNSTSCHULE (HEUTE HOCHSCHULE FÜR BILDENDE KÜNSTE). ER WAR DER ERSTE TRÄGER DES RUDOLF-WILKE-PREISES 1953 UND ERINNERTE MIT DIESEM RELIEF AN DEN WIEDERAUFBAU DER STADT NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG. „SCHON VERLOREN GEGLAUBT, ERSTEIGT ER NEU AUS DER ASCHE“ (ÄGYPTISCH).

Da es dieses Schild jedoch nicht gibt, erzähle ich Ihnen gern etwas über den Maler, Grafiker und Illustrator Karl-Heinz Meyer. Der gebürtige Braunschweiger studierte Malerei bei Professor Bruno Müller-Linow, der unter anderem den Aufbau des Gewandhauses künstlerisch begleitete. Später lehrte Meyer von 1956 bis 1959 selbst an der Werkkunstschule Braunschweig das Fach Freihandzeichnen. Es trieb ihn weiter nach Wiesbaden und Bielefeld, wo er im Fachbereich Design später als Dekan tätig war. Karl-Heinz Mayer verstarb 1996. Für einheimische Kunstinteressierte ist vielleicht noch interessant, dass der vor zwei Jahren verstorbene Künstler Georg Assmann zu seinen Schülern zählte. Wir können froh und glücklich sein, dass wir den Phönix seit 75 Jahren nicht mehr aufgrund von Kriegszerstörungen bemühen müssen. Wir können aber gespannt sein, ob Corona dem Phönix die Krone aufsetzt.

Bärbel Mäkeler, 1957 in Stuttgart geboren, ist Autorin, Lektorin und Germanistin. Sie lebt seit 1975 in Braunschweig und widmet sich in ihrer Kolumne den besonderen Dingen des Alltags.