„Eine wirklich liebe Nachricht mit der Anrede „Liebe alle“ ist mir viel, viel lieber als eine vornehm adressierte Hiobsbotschaft.“

Es gibt Tage, an denen sitzen selbst die Spaßvögel auf ihrem Ast und grübeln. Es gibt Tage, an denen scheint die verspielt hochmütige Sprachkritik nicht das Allerwichtigste zu sein, was es gibt auf der Welt. Und doch: Wie sang noch gleich Genosse Biermann? „Du, lass dich nicht verhärten/ In dieser harten Zeit…“

Also ein unverhärtetes Stück Kommunikationskritik will ich trotz alledem riskieren. Es gibt um die in Zeiten wild wuchernder Gruppen-Mails und Chatgroup-Messages aufgekommene Anrede „Liebe alle“. Sie ist nett, sie erfüllt sicher ihren Zweck. Aber „Liebe alle“ geht mir halt auf den Zwirn.

„Liebe Kolleginnen und Kollegen“, „Liebe Geschwister“, „Liebe Niedersachsen“, „Liebe Hannover-96-Fans“, all diese Anreden lassen auch offen, wie viel Herzlichkeit oder gar Liebe tatsächlich im Spiel ist. Immerhin definieren sie den Adressatenkreis akkurat. Und wenn dieser Kreis partout nicht näher bestimmt werden soll, lasse ich mir auch das etwas onkelhafte „Ihr Lieben“ gerne gefallen.

„Liebe alle“ hingegen ist ebenfalls total unbestimmt, will dazu aber noch ein bisschen cool rüberkommen. Genau das klappt nicht. Finde ich zumindest. Gebe aber auch gleich zu: Eine wirklich liebe Nachricht mit der Anrede „Liebe alle“ ist mir viel, viel lieber als eine vornehm adressierte Hiobsbotschaft. So weit geht die sprachlichen Geschmackshuberei dann doch nicht – bei aller Liebe!