Bei einer Neonazidemo in Chemnitz etwa wurden Bilder vermeintlicher Opfer von Flüchtlings-Übergriffen hochgehalten. Die meisten waren Fakes.

Ein Kind fällt vor eine Straßenbahn und stirbt. Kurz darauf trauert die Mutter des Kindes bei Facebook in einem öffentlichen Post. Ein Bild des Jungen, dazu die Bitte der Mutter, ihn noch einmal um die Welt reisen zu lassen, sprich: Das Bild möglichst oft zu teilen, so dass es auch in den anderen Ecken der Welt wahrgenommen wird.

Schnell kam die Frage auf, ob wir darüber berichten sollten. Es hätte sicher eine große Reichweite gegeben. Aber könnten wir das verantworten? Ich war mir unsicher. Das kommt gar nicht so oft vor.

Die trauernde Mutter suchte die Öffentlichkeit. Ungeachtet der eigenen Maßstäbe ist ihr das zuzugestehen. Jeder trauert so, wie er trauert, und es ist nicht an mir, das zu bewerten. Wäre es also okay gewesen, darüber zu berichten? So gesehen ja.

Ich hielt es aber auch für falsch, denn Bilder von gestorbenen Kindern und Opfern von Verbrechen, die im Internet kursieren, werden nicht selten Opfer von Missbrauch. Bei einer Neonazidemo in Chemnitz etwa wurden Bilder vermeintlicher Opfer von Flüchtlings-Übergriffen hochgehalten. Die meisten waren Fakes, es ging nur darum, verprügelte junge Frauen zu zeigen. Was könnte also mit dem Jungen aus Braunschweig passieren, der so tragisch ums Leben kam? Wo und in welchem Kontext taucht das Bild noch auf, wenn es heute viral geht? Welche Wunden mag das bei den Angehörigen noch reißen?

Wir haben uns dagegen entschieden, über die digitale Trauer zu berichten. Wir haben auch den Namen des Jungen nicht genannt und eine respektvolle Distanz eingehalten. Auch wenn ich als Online-Journalist hier und da sicher schmerzfreier bin als viele Kollegen: Das war richtig. Der Familie wünsche ich viel Kraft, und ich hoffe, dass die digitale Weltreise ihres Kindes bei der Trauer hilft und nicht zu einem schmerzhaften Boomerang wird.