Helmstedt. Sinja Rüger hilft Ukrainern in Not. Und dabei wollte die zweifache Mutter zunächst nur Kleidung spenden. Sie erzählt von ihrem Weg.

Das Mobiltelefon brummt. Sinja Rüger bekommt eine Nachricht – „Heizung geht nicht, brauche deine Hilfe.“ Geschrieben hat das eine Ukrainerin. Für die Frau ist Sinja Rüger die helfende Hand, wann immer sie der Alltag in Deutschland ratlos macht, und noch viel mehr. Seit März engagiert sich die 40-jährige Mutter zweier Söhne, Frau eines Mannes und Hundebesitzerin ehrenamtlich für Geflüchtete aus der Ukraine im gesamten Landkreis. „Eigentlich wollte ich nur Kleidung in der Politischen Bildungsstätte Helmstedt (PBH) abgeben“, erzählt sie bei einem Lokaltermin am Rügerschen Küchentisch. Eigentlich.

Die Kleidung in Säcken sozusagen vor die Füße gekippt, das war für Rüger der Aufhänger, einzugreifen, auf ihre Weise. „Ich habe mit einer Bekannten zusammen binnen zwei Tagen zunächst eine Fahrt zum Tierpark in Essehof organisiert“, erzählt sie. Eine Vertrauen bildende Maßnahme könnte man das nennen. 90 Menschen aus der Ukraine nahmen schließlich teil. „Danach konnten die Menschen schon etwas Vertrauen aufbauen“, so Rüger, und um sie selber war es nach der Fahrt geschehen.

Alltägliche Unterstützung

Was in den nächsten Monaten folgte, war Ehrenamt in Vollendung: „Ich habe zwei oder drei Freundinnen angerufen, und nach einer Stunde waren wir fünf Ehrenamtliche.“ Und die hatten alle Hände voll zu tun: „Es geht dabei um alles. Wir machen Termine für die Menschen, melden sie an, begleiten sie zu Behördengängen. Ich habe Passbilder für sie gemacht und Gänge erledigt, 25 Wohnungen eingerichtet.“ Sinja Rüger zählt auf und lächelt dabei immer leicht, denn das, was sie sagt, ist nur ein Teil des Engagement, jener, der den Menschen sozusagen das Leben in Deutschland erklärt.

„Wenn ich möchte, dass ein Mensch hier so lebt, wie wir es kennen, dann muss ich es ihm vorleben“, sagt sie. Und sie lebt es vor, ganz sachlich über die richtige Mülltrennung bis ganz menschlich über Freundschaften, ein Osterfest, Olympiade in Kooperation mit dem HSV Warberg-Lelm, Pizzatage organisiert von ihr und ihrem Team. Das ist ihr wichtig.

„Ich habe eine WhatsApp-Gruppe gegründet, die sich „helfende Hände“ nennt. Wann immer es ein Problem gibt, wird es dort reingestellt, und irgendjemand hat immer eine Lösung“, schwärmt sie, die als Sachbearbeiterin für Insolvenzen beim Landkreis Helmstedt arbeitet. Das ist ihr aktueller Beruf. Vorher war sie Justizvollzugsbeamtin in Wolfenbüttel bei den schweren Jungs. Durchsetzen? Kein Problem, aber mit Herz.

Videos von der Front

Dieses Herz ist es auch, das sie weitermachen lässt. Und dann erzählt die so klar, aufgeräumt und kontrolliert wirkende Frau mit leuchtenden und feuchten Augen von Nachrichten und Videos von der Front, die Ukrainerinnen ihr schicken. Abends, wenn sie daheim sind, und die deutsche Öffentlichkeit sie nicht sieht. Sie erzählt von der Teilhabe der Männer all der Frauen, deren unfreiwilligen Alltag in der Fremde sie organisiert und das Leben sortiert, so gut es geht.

Während Raketeneinschläge zu hören sind, schauen die Männer aus dem Kriegsgebiet zu, wie ihre Frauen und Kinder ein Stück Leben zurückgewinnen – dank Sinja Rüger und ihren Mitstreitern, solange die Verbindung hält. Und manchmal überkommt sie das Glück, wenn Väter nachziehen konnten und eine Familie wieder Familie ist, lebendig und in Sicherheit.

Eine Weihnachtsfeier

Von März bis August war sie so gut wie nie daheim, ist nach der Arbeit gleich zu den Ukrainerinnen und Ukrainern. Auf dieses Engagement ist auch der Landkreis Helmstedt aufmerksam geworden und hat Sinja Rüger in den Krisenstab Ukraine berufen. Dort ist sie das Bindeglied zwischen Ehrenamt und Hauptamtlichen, für sie ein Glücksfall. „Das hilft mir sehr“, sagt sie, und dem Krisenstab ebenso, denn seither, erfahren wir von Landrat Gerhard Radeck, funktioniere die Verbindung zwischen Ehrenamt und Hauptamt wieder.

Sinja Rüger macht weiter. Eben organisiert sie eine Weihnachtsfeier, so richtig mit Weihnachtsmann und allem, was möglich ist. Den Saal im Schützenhaus hat sie sicher. Sie ist selber hingefahren, wie sie es immer tut. „Wenn man fragt, bekommt man auch Antworten“, sagt sie. Am Tag des Gespräches machte sie sich noch auf den Weg nach Braunschweig. Ein kleiner ukrainischer Junge hat die Chance, in das Leistungszentrum der Eintracht aufgenommen zu werden. Auch daran war Sinja nicht unbeteiligt.

Übrigens: In Sachen Kleidung sorgte sie natürlich auch für Ordnung, organisierte Regale, und aus dem Sackhaufen wurde eine Kleiderkammer. Eben geht wieder das Telefon. „Ich warte auf dich“, schreibt die Frau mit der defekten Heizung. Sinja Rüger wird ihr helfen.

Das Projekt: Sie sind die stillen Helden des Alltags. Menschen, die für andere da sind, sich für die Erhaltung der Umwelt, Wahrung von Kulturgütern und den Tierschutz einsetzen. Die sich seit Jahren engagieren oder Zivilcourage gezeigt und durch ihr schnelles Handeln Leben gerettet haben. Menschen, die in diesem Jahr etwas Besonderes geleistet haben. Diese Menschen wollen wir aus dem Schatten ins Licht der Öffentlichkeit holen und ihnen für ihr Engagement danken.

Die Abstimmung: Den Preisträger „Helmstedter des Jahres“ bestimmen unsere Leserinnen und Leser mittels Online-Abstimmung. Der Gewinner wird am 12. Dezember bei einer Abendveranstaltung gekürt.

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