Lessien. Darum reicht das Zugeständnis des Landes, in der alten Kaserne nur 450 statt 800 Asylbewerber unterzubringen, vielen nicht.

Die Stimmung war schon mal besser im Lessiener Schützensaal. Mittwochabend war sie angespannt bei der Gemeinderatssitzung. 200 Bürger trieb die Sorge vor einer geplanten Notunterkunft der Landesaufnahmebehörde (LAB) für 800 Asylbewerber in der ehemaligen Kaserne Lessien um.

Bürgermeister Jörg Böse nahm gleich zu Beginn der zweistündigen Fragestunde den Druck etwas raus. Wie LAB-Präsident Klaus Dierker bestätigte, sei das Land von der Zahl abgerückt und plane jetzt mit 450 Personen ab April. Der Landkreis Gifhorn beherbergt in seinem Teil der Mietliegenschaft bis zu 250 Flüchtlinge, aktuell 230.

Auf dem Podium stellten sich der Bürgerfragestunde zur geplanten Notunterkunft für Asylbewerber in Lessien (von links) Bürgermeister Jörg Böse, Gifhorns Polizeichef Oliver Meyer, Präsident Klaus Dierker von der Landesaufnahmebehörde, Landrat Tobias Heilmann und Erster Kreisrat Thomas Walter.
Auf dem Podium stellten sich der Bürgerfragestunde zur geplanten Notunterkunft für Asylbewerber in Lessien (von links) Bürgermeister Jörg Böse, Gifhorns Polizeichef Oliver Meyer, Präsident Klaus Dierker von der Landesaufnahmebehörde, Landrat Tobias Heilmann und Erster Kreisrat Thomas Walter. © FMN | Christian Franz

Das sind die Details der geplanten Notunterkunft

Gleichwohl fürchtet Lessien mit 450 einheimischen Bürgern fortan 61 Prozent Flüchtlinge im Dorf bezogen auf die Gesamteinwohnerzahl. Mindestens zwei Jahre soll die Lage andauern. Doch wie stark bereits jetzt das Alltagsleben vieler der 200 Bürger im Saal beeinträchtigt ist, zeigte die angespannte, aber diszipliniert geführte Debatte.

LAB-Präsident Dierker erläuterte Details der Notunterkunft: Es werde nur feste Häuser geben, keine Container. Die anfangs als Aufstellfläche vorgesehene Panzerplatte sichere man nur für äußerst unwahrscheinliche Krisenlagen.

Dennoch müsse die LAB 28.000 Menschen unterbringen, die 2023 in Niedersachsen Asyl beantragt hätten. Erschwert werde das durch die Zuwanderung von 110.000 Ukrainern im Vorjahr, die inzwischen zumeist eigene Wohnungen nutzten, was den verfügbaren Wohnraum sehr begrenze. Daher forderten die Kommunen vom Land, Unterkünfte zu schaffen, was eben auch in Lessien geschehen solle.

Dierker: „Die Menschen sind da.“ Sein Appell, die Asylbewerber seien vor Krieg und Terror geflohen, um Schutz zu finden, und wer nicht anerkannt werde, müsse Deutschland verlassen, erntete teilweise höhnisches Gelächter.

Die Notunterkunft jedenfalls werde „spartanisch“ ausgerüstet mit Gemeinschaftswaschräumen, kündigte Dierker an. Ein Dienstleister wie das Rote Kreuz werde Vollverpflegung, Wäscheservice, Kleinkinderbetreuung, medizinische Notfallversorgung, Sozial- und Sicherheitsdienst übernehmen. Dazu kämen ein Pendelbus in Grundzentren sowie Streetworker als Ansprechpartner für einheimische Anwohner.

Unterdrückt die Polizei Anzeigen gegen Flüchtlinge?

Die Kritik der Bürger entzündete sich insbesondere an Sicherheitsthemen. Mehrfach hinterfragten sie die Rolle der Polizei. Mehrere Fragesteller schilderten sozial auffälliges Verhalten der Flüchtlinge knapp unterhalb der Deliktsschwelle: Menschen verrichteten ihre Notdurft in Vorgärten und schüchterten Einheimische gezielt ein.

Gifhorns Polizeichef Oliver Meyer verwies auf eine unauffällige Einsatzbilanz bis Oktober 2023: Binnen eines Jahres habe es 57 Anlässe gegeben, davon 29 Straftaten. „Darunter auch manche gegen die Flüchtlinge“, so Meyer. Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger sei allerdings nicht zu bewerten, räumte Meyer ein und musste sich anhören: „Sie haben keine Ahnung, was auf der Platzstraße passiert.“ Anlass für erhöhte Polizeipräsenz in Ehra-Lessien sah er nicht und gab zu bedenken: „Konflikte gibt es in Siedlungen auch.“

Mehrfach musste er sich anhören, dass seine Beamten Anzeigen wegen mutmaßlicher Übergriffe von Flüchtlingen abgetan hätten. Dem will Meyer nachgehen und ermunterte die Bürger, Straften und Zwischenfälle zu melden. „Wir kommen auf jeden Fall.“

Allerdings gefährden sich Flüchtlinge durch ihr Verhalten nach Wahrnehmung der Bürger auch selbst. Vor allem im Verkehr komme es immer wieder zu haarsträubenden Situationen. Eine wesentliche Forderung ist daher, den seit Jahren geplanten Bau eines Radwegs von Ehra nach Grußendorf entlang der Landesstraße 289 endlich umzusetzen.

Kritisch merkten die Lessiener ferner an, dass sie sich mit ihrer aufgeschlossenen Haltung gegenüber Zuwanderern seit 2016 mittlerweile „schamlos ausgenutzt“ fühlen. Auch Bürgermeister Böse betonte: „Ehrenamtliche Betreuung kann keine Daueraufgabe sein.“

Über die örtliche Situation hinaus kritisierten die Diskussionsteilnehmer die hohen Kosten der Zuwanderung, eine gefühlte Besserstellung der Zuwanderer bei der medizinischen Versorgung („wir müssen lange auf einen Facharzttermin warten“) sowie fehlende Konsequenz der Behörden beim Abschieben abgelehnter Asylantragsteller.

Diese Idee des Landrats kam gar nicht gut an

Ein Redner sah in der Lessiener Planung gar einen Verstoß gegen das Grundgesetz. Nicht nur sei der soziale Friede bei einer Flüchtlingsquote von 61 Prozent gestört. Es liege auch ein klarer Verstoß gegen den Auftrag vor, bundesweit gleichwertige Lebensverhältnisse zu gewährleisten.

Selbst Ehra-Lessiens Bürgermeister ist von den Plänen nicht restlos überzeugt. Er hielt der Gemeinde die Option offen, „ohne zufriedenstellende Antworten“ gegen die Nutzung der militärischen Anlage als Flüchtlingsunterkunft einen Baurechtsprozess anzustrengen.

Einen Rohrkrepierer landete Gifhorns Landrat Tobias Heilmann mit seiner Ansprache. Mit dem Angebot, 2024 ein Sommerfest in der Flüchtlingsunterkunft auszurichten, sorgte er für Geraune im Saal und den Zwischenruf „Nicht Ihr Ernst!?“

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