Braunschweig. Die Tattoo-Kampagne ist eine bestechende Idee. Jeder sollte sich mit dem Tod und dem Thema Organspende auseinandersetzen, meint Katrin Schiebold.

Eines gleich vorweg: Ich habe seit vielen Jahren einen Organspendeausweis. Ich sage Ja zur Organspende, weil ich damit gleich mehreren Menschen das Leben retten könnte. Und weil ich mir wünschte, dass Menschen für mich oder meine Angehörigen spenden, sollten wir einmal auf eine Organspende angewiesen sein. Tausende Schwerstkranke warten in Deutschland auf ein rettendes Organ – Menschen, die seit Jahren an der Dialyse hängen, dringend ein neues Herz, eine Lunge oder eine Leber brauchen, die ohne Transplantation keine Überlebenschance haben. Viele sterben auf der Warteliste.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Instagram, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Aber ich kann auch nachvollziehen, dass die Entscheidung für oder gegen eine Organspende nicht einfach ist. Das Thema ist emotional aufgeladen. Viele wollen und können es sich nicht vorstellen, dass ihr Körper nach dem Tod geöffnet und einzelne Organe entnommen werden. Sie empfinden es als unwürdig, der Körper werde zweckentfremdet und der Patient für eine OP vorbereitet, die ihm selbst nichts bringt. Zuweilen überwiegt auch die Angst, dass Helfer im Notfall nicht alles unternehmen, um einen zu retten, wenn man seine Bereitschaft zur Organspende erklärt hat. Und dann ist da noch die Frage: Wann ist der Mensch eigentlich tot? Ist der Hirntod nur ein Teil des Sterbeprozesses, weil das Herz auch danach weiter schlägt?

Zwei Ärzte müssen unabhängig voneinander den Hirntod feststellen

Alle Argumente sind verständlich, so irrational sie aus wissenschaftlicher Sicht auch sein mögen. Dass zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod feststellen müssen, bevor Organe entnommen werden dürfen, ist ein Argument, das notorische Zweifler selten überzeugt. Tatsächlich gibt es in der Diskussion kein richtig und kein falsch, keine moralische Verpflichtung zur Organspende. Ob man ihr zustimmt, ist – und das sollte es auch bleiben – eine individuelle, zutiefst private Entscheidung. Wichtig ist nur, DASS man sich entscheidet.

Tag der Organspende: Braunschweigerin wartet auf Spenderniere

So lebt ein Wolfsburger mit einer Spenderniere

Wenn man auf eine aktuelle Umfrage der Techniker Krankenkasse blickt, sprechen sich 76 Prozent der Deutschen für die Organspende aus. Doch nur etwa die Hälfte hat einen Organspendeausweis – eine Voraussetzung dafür, dass eine Organentnahme überhaupt möglich wird. Wie passt das zusammen?

Es mögen banale Gründe sein, die gegen eine Entscheidung sprechen. Das Tabuthema passt nicht gut in den Alltag. Wer mitten im Leben steht, gesund ist und aktiv, verdrängt Gedanken an Krankheit, Unfall und Tod, man diskutiert solche Themen nicht nebenbei am Küchentisch. Sich damit intensiv auseinanderzusetzen, ist unbequem, erfordert Zeit. Doch dass wir dringend neue Anläufe brauchen, um das Thema Organspende ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken, zeigen die jüngsten Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Seit Jahren geht die Zahl der Spender und der transplantierten Organe in Deutschland zurück – zuletzt um 6,9 Prozent. Die Corona-Pandemie hat zusätzlich für einen Einbruch gesorgt; vermutlich kam es aufgrund der Arbeitsbelastung und erhöhtem Personalausfall auf den Intensivstationen zu weniger Spenden. Im vergangenen Jahr haben 869 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet – 64 weniger als im Vorjahreszeitraum. Auf eine Million Einwohner kommen damit nur rund zehn Spender. Dies ist überraschend, weil in anderen Ländern wie zum Beispiel Spanien die Zahl der Spender weiter gestiegen ist. Wie können diejenigen, die der Organspende positiv gegenüberstehen, also dazu bewegt werden, ihren Willen auch zu dokumentieren?

Die Tattoo-Kampagne geht das Thema Organspende auf unkonventionelle Art an

Ein bestechendes Beispiel ist die Tattoo-Kampagne „Opt-Ink“ des bundesweit aktiven Vereins „Junge Helden“, der auf unkonventionelle Art auf das Thema aufmerksam macht. „Opt-Ink“ lehnt sich an das „Opt-In“-System an, das in Deutschland gilt: Niemand ist Spender, außer er trägt sich in eine Liste ein oder dokumentiert seinen Willen in einem Spenderausweis. Auch Angehörige können über eine Organentnahme entscheiden.

Unser Online-Chef Philipp Engel hat sich ein Organspende-Tattoo stechen lassen.
Unser Online-Chef Philipp Engel hat sich ein Organspende-Tattoo stechen lassen. © Daria Brabanski

Mit einer kostenlosen Tätowierung kann jeder seine Zustimmung zur Organspende auf dem Körper zeigen. Das minimalistische Design setzt sich aus zwei Halbkreisen zusammen, die in einen kompletten Kreis übergehen. Es soll die Organspende als Geschenk des Lebens symbolisieren. Die Zeichen ergeben zudem die Buchstaben O und D für „Organ Donor“, Organspender.

Die Kampagne wurde Anfang des Jahres auf der „Tattoo Convention“ in Braunschweig vorgestellt, inzwischen beteiligen sich nach Angaben von „Junge Helden“ deutschlandweit schon 300 Tattoo-Studios an der Aktion, davon auch mehrere in unserer Region. Rund 3000 Menschen haben sich demnach für ein Organspende-Tattoo entschieden.

Angehörige wissen, wofür das Tattoo steht – das kann quälende Entscheidungen abnehmen

Ein Tattoo ist kein rechtsgültiges Dokument, das die Einwilligung zur Organspende belegt. Warum es trotzdem ein wichtiges Zeichen ist, erklärt Anna Barbara Sum von den „Jungen Helden“ so: „Opt-Ink ist eine Willenserklärung, wenn die Angehörigen wissen, wofür es steht. Da sie es sind, die im Ernstfall entscheiden, müssen sie auch wissen, wie man zur Organspende steht.“ Das kann quälende Entscheidungen abnehmen.

Doch allen guten Kampagnen und Vorbildern zum Trotz: Um die Zahl der Organspenden dauerhaft zu erhöhen, brauchen wir vor allem eine politische Lösung, die die Bürger stärker in die Verantwortung nimmt. Bislang hält Deutschland an dem Prinzip der Zustimmung fest. Menschen sollen zwar regelmäßig zu ihrer Bereitschaft zur Organspende befragt werden – zum Beispiel in Bürgerämtern, wenn sie einen neuen Ausweis beantragen. Aber es bleibt dabei: Es ist zu leicht, sich wegzuducken, eine Entscheidung vor sich her zu schieben.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plädiert nun für die Widerspruchslösung, die 2020 vom Parlament abgelehnt wurde. Danach kann jeder nach dem Tod Organspender werden, wenn er es nicht ausdrücklich abgelehnt hat. Auf die „Opt-Out“-Regelung setzen europäische Länder wie Belgien, Österreich oder Portugal. Spanien hat zudem systematisch Koordinationsteams in den Krankenhäusern etabliert, die sich um Organspenden kümmern. Die Ärzte sind auch darin geschult, auf Angehörige zuzugehen, um mit ihnen die Möglichkeit einer Spende zu besprechen.

Es ist höchste Zeit, einen neuen Anlauf in diese Richtung zu nehmen: Eine solche Regelung zwingt niemanden dazu, posthum seine Organe zu spenden. Sie zwingt lediglich zu einer Auseinandersetzung mit dem Tabuthema Tod.

Ein Video von der „Opt-Ink“-Aktion in einem Braunschweiger Tattoo-Studio finden Sie auf unserem Instagram-Kanal.