Braunschweig. Braunschweiger Menschen des Jahres – die Kandidaten: Wird Igor Piroschik vom Verein Freie Ukraine die Abstimmung gewinnen?

Igor Piroschik winkt ab. Nein, nein! Er sei doch gar nicht so wichtig. Die eigentliche Arbeit mache doch das Team. Und er zählt sie alle auf, die ihm zur Seite stehen. Die beiden unverzichtbaren Frauen aus dem Vorstand. Jene, die die Einkaufslisten zusammenstellen für die Hilfstransporte in die Ukraine und Medikamente und Verbandsmaterial besorgen. Der Unerschrockene, der regelmäßig hin und her fährt zwischen Braunschweig und Charkiw. Die Unermüdliche, die nie zu schlafen scheint und sich nach dem Job noch um die Traumabewältigung der Kriegsopfer kümmert. Und dann der Flüchtling, der zwar kein Deutsch kann, aber mit dem Auto eine Botenfahrt nach der anderen macht. „Ich bewundere sie alle für ihren leidenschaftlichen Einsatz. Dagegen mache ich doch gar nichts“, sagt er lachend.

Stimmt natürlich nicht. Igor Piroschik ist der Angelpunkt des Vereins Freie Ukraine in Braunschweig. Ein Fels in der Brandung. Besonnen, kaum aus der Ruhe zu bringen, mit heiterer Freundlichkeit – und bescheiden. Der 62-Jährige ist Koordinator, steter Ansprechpartner, das Gesicht für die Öffentlichkeit.

Piroschik: Die Ukrainer lieben ihre Freiheit

1991 kam Igor Piroschik mit seiner deutschstämmigen Frau in die Region Braunschweig. Spätaussiedler, die ihre Zukunft nicht in der untergehenden Sowjetunion sahen. Er hat es nie bereut. Seine geliebte Tochter ist hier geboren.

Doch heimatliche Bindungen bleiben meist lebenslang bestehen, und so drückt der Krieg in der Ukraine bleischwer auf sein Gemüt. „Die Liebe zur Freiheit liegt in der ukrainischen Seele“, sagt Piroschik. Wie sehr hätten die Ukrainer nach dem Zerfall der Sowjetunion ihre Selbstbestimmtheit geschätzt, die Möglichkeit eines jeden, sich nach eigenen Wünschen entwickeln zu können. Und nun dieser unsägliche Krieg, der die Ukraine auslöschen und die Ukrainer ihrer Identität berauben solle.

Bei der letzten Montagsdemonstration habe er den Demonstranten entgegen geschrien: „Russland ist ein Terrorstaat.“ In deren Gesichtern habe er nur Unverständnis gesehen. „Diese Leute sind gegen den Krieg, aber nicht gegen den Aggressor.“ Das widerspreche aller Logik. „Bei diesen Veranstaltungen wird viel Desinformation betrieben.“

Den Verein Freie Ukraine Braunschweig gibt es seit 2015

Zu seinem 50. Geburtstag bekam Piroschik vom Vater einen Silberring mit dem ukrainischen Wappen drauf, dem berühmten Dreizack. Sein Herz hängt daran. So wie an der Heimat. Piroschik hat den Verein Freie Ukraine mitgegründet. 2015 war das. Da war die Krim schon annektiert und die Ukrainer schon im Krieg mit den Russen. Auslöser, sich zusammenzuschließen, war ein Vortrag des stellvertretenden ukrainischen Botschafters in den Räumen der Uni.

Der Verein hat sich mehrere Ziele gesetzt: Humanitäre Hilfe will er leisten, über politische und gesellschaftliche Entwicklungen in der Ukraine aufklären, Begegnungen vor allem junger Menschen aus beiden Ländern fördern und kulturellen Austausch mit ukrainischen Künstlern und Literaten möglich machen. „Im Moment aber gilt unsere ganze Aufmerksamkeit der humanitären Hilfe“, sagt er. Der Fahrer, der regelmäßig Lieferungen nach Charkiw bringt, berichtete vor wenigen Tagen: „Hier gibt es zur Zeit keinen Strom und kein Wasser.“

Vom Spendengeld werden auch Krankentransporter gekauft

900.000 Euro hat der Verein seit Kriegsbeginn eingeworben. Igor Piroschik und seine Mitstreiter sind voller Dankbarkeit. „Ich wusste immer schon, dass die Deutschen sehr großzügig sind, aber dieses Ausmaß an Unterstützung hätte ich nicht für möglich gehalten.“ Unter den Spendern sind große Unternehmen und kleine Firmen, Institutionen und Stiftungen. „Aber auch unzählige Privatpersonen.“

Von dem Geld werden unter anderem gebrauchte Transporter gekauft, die vollgepackt werden mit Hilfsgütern und dann in der Ukraine bleiben können etwa als Rettungs- und Krankenwagen.

Anfangs brachte der Verein viele Hilfsgüter in den Osten der Ukraine, nach Saporischschja. Krankenbetten, Röntgengeräte, OP-Tische. Etwa 10 Lastwagen seien geschickt worden. In der Westukraine versorgte der Verein eine Dorfschule mit 400 von Volkswagen ausrangierten Computern. Heute geht die Hilfe überwiegend nach Charkiw.

Piroschik: Mit Hilfe des Westens ist ein Sieg der Ukraine möglich

Wie fühlt sich Igor Piroschik, wenn in der alten Heimat die Menschen durch russische Raketen sterben, wenn seine Landsleute leiden? Muss man da nicht schwermütig werden? „Ich spüre keine Niedergeschlagenheit. Noch nicht.“ Tagsüber bei der Arbeit habe er ohnehin keine Gelegenheit, darüber nachzugrübeln. Doch dann räumt er ein: „Ich bin sehr müde.“

In der Anfangszeit des Krieges war die Belastung extrem. So viele Anrufe. Inzwischen hat sich vieles eingespielt. Aber gefragt ist Igor Piroschik immer noch über Gebühr. Ständig klingelt sein Telefon.

Wie der Krieg ausgehen könnte? Er weiß es nicht. „Ich bin Techniker und kein Prophet“, sagt er. Doch er liest viel, ist bestens informiert. Auch durch Nachrichten in englischer, polnischer, russischer Sprache. „Im Prinzip ist alles möglich“, sagt Piroschik. Putin jedenfalls werde nicht lockerlassen. „Mit Hilfe des Westens ist es aber möglich, dass die Ukraine den Krieg gewinnt.“ Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Piroschiks Dank gilt allen Spendern

Hilfe des Westens ist auch Hilfe aus Braunschweig. „Ich kann nicht hoch genug schätzen, was die Braunschweiger für uns getan haben und immer noch tun.“ Sein inniger Dank geht aber auch an die Ehefrau. „Was wäre ich ohne sie...?“, fragt er lächelnd.

Die Kandidaten: Wer wird Braunschweigerin oder Braunschweiger des Jahres 2022? Wir stellen unsere Kandidaten noch bis zum Samstag täglich vor. Wer es wird, das bestimmen unsere Leserinnen und Leser in einer sich anschließenden Online-Abstimmung.

Die Preisverleihung: Der Gewinner wird am Montag, 21. November, 19 Uhr, im FORUM Medienhaus gekürt. Wir vergeben 100 Karten für diese Festveranstaltung. Anmeldung mit vollständigem Namen und E-Mail-Adresse online unterhttps://sweapevent.com/braunschweigerdesjahres

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