Braunschweig. Regina Blume ist Vorsitzende des Vereins Gedenkstätte Friedenskapelle. Wird sie Braunschweigerin des Jahres?

Bei einer Friedhofsführung nestelte ein Besucher ein leeres Pillenschächtelchen und einen kleinen Löffel aus seiner Hosentasche, schreibt Reinhard Bein in seiner unnachahmlichen Art. Der Besucher ging also nahe an das Ehrenmal heran, nahm etwas Erde auf den Löffel und bugsierte sie vorsichtig in seine Schachtel. Er sprach ein kurzes Gebet und trat wieder zurück. Und zu einem Nachbarn sagte er: „Hier wurde die Asche meines Großvaters verstreut.“

Regina Blume, die Vorsitzende des Vereins Gedenkstätte Friedenskapelle, reicht mir das Faltblatt mit dem Plan des Friedenspfades über die Braunschweiger Friedhöfe an der Helmstedter Straße rechts und links des Brodweges. Es beginnt mit diesem Text.

Der von Reinhard Bein erwähnte Besucher hatte ein wenig von der Erde auf einem anonymen Massengrab ins Pillenschächtelchen gelöffelt. Das Grab liegt am Friedenspfad zwischen Hauptfriedhof und Jüdischem Friedhof, es wurde angelegt zwischen 1944 und 1945 für jüdische Zwangsarbeiter, an die nach dem Willen der damaligen Nazi-Machthaber niemand mehr erinnert werden sollte ...

Regina Blume sagt: Die Friedenskapelle möchte ein gemeinsamer Erinnerungsort sein inmitten der Gräber

Es sind gleich mehrere Friedhöfe, auch an diesem einen Ort in Braunschweig, viele Gedenkstätten, viele Gräber, viele Tote, Opfer und Opfergruppen. Jede hat ihren Ort. Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge, Weltkriegstote beider Kriege, Gefallene, Kriegsgefangene, Bombenkriegsopfer, Deutsche, Franzosen, Ukrainer, Polen, Russen …

Regina Blume und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter gedenken in der Erinnerungsarbeit nicht sorgsam getrennt nach Anlässen, Kriegen und Religionen. „Die Friedenskapelle am Eingang des Friedenspfades möchte ein gemeinsamer Erinnerungsort sein inmitten der Gräber auf den verschiedenen Friedhöfen, damit nichts in Vergessenheit gerät. Es ist ja so wichtig, zu erinnern, an die vielen Toten“, sagt Regina Blume. Und dafür brauche es einen Ort. Und das hier in Braunschweig, die Gedenkstätte Friedenskapelle „ist ein authentischer Ort, ein Ort, der direkt dazugehört“.

Für ihn engagiert sich die pensionierte Gymnasiallehrerin für Politik, Geschichte und Fremdsprachen schon seit mehr als 15 Jahren. Es finden immer wieder Lesungen und Veranstaltungen statt, viele mit Schulkindern und Schulklassen, es läuft gerade eine Ausstellung zum Ersten Weltkrieg mit Bildern aus dem Krieg und mit Erinnerungen an ihn.

Krieg und Gewaltherrschaft und die Mechanismen, die dazu führen, sind leider nicht „out“, nicht vorbei, nicht einmal vergangen, es ist schmerzlich aktuell, wie wir gerade wieder erfahren. Regina Blume: „Es gibt das Kriegsthema seit Menschengedenken, es gab und gibt es leider immer wieder.“

Wenn sie mit Schülergruppen über den Friedenspfad geht und in der Friedenskapelle ist, dann hört sie oft: „Hier erfährt man etwas, wovon nichts in Geschichtsbüchern steht.“ Es geht um den Bezug zum eigenen Leben, zu eigenen Empfindungen, wenn etwa Fotos und Erinnerungstexte aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs beklemmend nahegehen, weil du es sein könntest.

Einsatz für die Erinnerung an Martha Fuchs: „Sie ist eine ausgesprochene Vorbildfrau für Frauen, die sich engagieren wollen“

Die Redaktion schlägt Regina Blume (stellvertretend für den Verein) aber nicht nur für die unermüdliche Arbeit für die Gedenkstätte Friedenskapelle als Braunschweigerin des Jahres vor, sondern auch für die besondere Erinnerung an die Braunschweiger Ehrenbürgerin Martha Fuchs. Für sie wurde ein niedersächsischer Frauenort initiiert. Martha Fuchs hatte das Konzentrationslager Ravensbrück überlebt, war später die erste Frau im Oberbürgermeisteramt.

„Ich bin auf das Thema gestoßen, weil ich sie als Jugendliche noch kennengelernt habe – und seitdem hat sie mich immer wieder beschäftigt“, sagt Regina Blume, die eine Biographie über Martha Fuchs schrieb. Warum der Einsatz? „Martha Fuchs ist eine ausgesprochene Vorbildfrau für Frauen, die sich engagieren wollen.“

Stets, auch in der Zeit ihrer Verfolgung, habe sie sich nie abschrecken lassen, immer eine sehr klare Position bezogen. „Ihr Motto war: Man muss etwas für die Gerechtigkeit in der Gesellschaft tun, für die Schwachen in der Gesellschaft, damit sie vorankommen. Und man muss Bildung fördern, weil sie die Grundlage für Demokratie ist.“ Für eine wie Regina Blume sind das Punkte und Prinzipien, „die mich persönlich sehr bewegen“.

Seit Martha Fuchs Braunschweiger Oberbürgermeisterin war, hat sich natürlich eine Menge geändert, weiß sie. Viel mehr Frauen sind aktiv in der Politik oder im gesellschaftlichen Leben, in der Verantwortung. Regina Blume: „Sie gehen in die Öffentlichkeit und bringen die Interessen der Frauen voran. Das ist heute noch genauso wichtig wie früher.“

Die Kandidaten: Wer wird Braunschweigerin oder Braunschweiger des Jahres 2022? Wir stellen unsere Kandidaten noch bis zum Samstag täglich vor. Wer es wird, das bestimmen unsere Leserinnen und Leser in einer sich anschließenden Online-Abstimmung.

Die Preisverleihung: Der Gewinner wird am Montag, 21. November, 19 Uhr, im FORUM Medienhaus gekürt. Wir vergeben 100 Karten für diese Festveranstaltung. Anmeldung mit vollständigem Namen und E-Mail-Adresse online unterhttps://sweapevent.com/braunschweigerdesjahres

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