Braunschweig. Ehemalige Angestellte berichtet: „Er sagte, man solle mich kopfüber über dem Bohlweg aufhängen und steinigen.“ Wie steht die Stadtverwaltung dazu?

An mehreren Stellen im Stadtgebiet waren im Oktober Transparente mit dieser Aufschrift zu sehen: „Warum schützt Stadt interne Rassisten?“ Sie wurden von einer Arbeitsgruppe initiiert, die sich nach eigenen Angaben gegen Rassismus und Diskriminierung in der Braunschweiger Stadtverwaltung einsetzt. Ihr gehören Mitglieder Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der BIBS-Fraktion (Bürgerinitiativen Braunschweig) und des „Bündnis gegen Rechts“ an.

Konkret geht es um den Fall einer ehemaligen Mitarbeiterin der Stadtverwaltung. Sie erhebt Vorwürfe gegen ihren damaligen Vorgesetzten und weitere Führungskräfte. Der Vorfall hat sich ihr zufolge 2019 zugetragen. Daria Meier (Name von der Redaktion geändert) schildert ihn so:

Der Vorgesetzte habe in ihrer Abwesenheit vergeblich ein Dokument gesucht und sei deswegen offensichtlich verärgert gewesen. Gegenüber zwei Kolleginnen habe er sich dann wütend über sie ausgelassen und gesagt, man solle sie „kopfüber über dem Bohlweg aufhängen und steinigen“. Dann habe er ergänzt: „Aber das darf man ja nicht sagen, weil sie im Iran geboren ist.“

Als eine der Kolleginnen irritiert reagierte und einwendete, Meiers Geburtsort tue doch nichts zur Sache, außerdem sei sie in Deutschland aufgewachsen, habe er nachgelegt: Nach ihren Wurzeln und Genen wäre eine Strafe nach der Scharia die gerechte Strafe, weil das in ihrer Kultur so verankert sei.

Die Betroffene sucht Hilfe bei einer Antidiskriminierungsstelle

„Das hat mich stark getroffen, als meine Kolleginnen mir davon erzählten“, sagt Meier. Sie habe daraufhin die damalige Fachbereichsleiterin über den Vorfall informiert. Wie deren Bewertung dazu ausgefallen ist, habe sie aber nicht direkt von ihr erfahren, sondern nur indirekt über die beiden Kolleginnen: Die Fachbereichsleiterin sehe den Vorfall als „Dummheit“ an und wolle nichts weiter unternehmen.

Eine Sichtweise, die Meier nicht mittragen konnte, wie sie sagt. Ihr sei es immer schlechter gegangen. Zumal sich der Vorgesetzte ihr gegenüber nicht zu dem Vorfall geäußert habe. Die Stimmung sei äußert angespannt gewesen.

„Ich habe innerhalb der Verwaltung eine Beschwerdestelle gesucht, aber nichts gefunden“, berichtet sie. Deswegen habe sie die Antidiskriminierungsstelle in Hannover kontaktiert. Dort habe man das Ganze als rassistisch-sexistischen Fall eingestuft und ihr geraten, die nächsthöhere Verwaltungsebene einzuschalten.

„Irgendwann hat er gemurmelt, es tue ihm leid“

Das habe sie getan. Zunächst sei sie dabei auf Widerstand gestoßen, so Meier. Letztlich sei es aber doch zu einem gemeinsamen Gespräch im Beisein der Fachbereichsleiterin gekommen – „auf Druck des Personalrats und acht Wochen nach dem Vorfall“, sagt sie. „Ich habe erst später erfahren, dass ich acht Wochen Zeit gehabt hätte, eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zu verlangen. Das hatte ich zwar gar nicht vor, ich wollte es vor Ort lösen. Aber ich habe den Eindruck, dass das Gespräch bewusst so lange hinausgezögert worden ist.“

Bei dem Gespräch habe er dann kaum ein Wort gesagt, sie nicht angeschaut. „Irgendwann hat er gemurmelt, es tue ihm leid“, schildert Daria Meier. Doch das habe sie aufgrund seines gesamten Verhaltens nicht ernstnehmen können. Erst auf Drängen des Personalrats habe die Fachbereichsleiterin einen Vermerk über das Gespräch angefertigt. Über den Verbleib dieses Vermerks sei ihr nichts bekannt.

Ermittlungsverfahren wird gegen Zahlung von 750 Euro eingestellt

Nach dem Gespräch ist die Zusammenarbeit ihr zufolge immer schwieriger geworden. „Ich musste mich nur noch für meine Arbeit rechtfertigen“, sagt Meier. Im Februar 2020 sei sie deswegen arbeitsunfähig geworden.

Später habe sie einen Antrag auf innerbetriebliche Umsetzung gestellt. Die Personalabteilung habe erst nach langer Zeit darauf reagiert: Eine Umsetzung sei nur möglich, wenn es einen gerichtlichen Entscheid gebe, in dem ein Fehlverhalten des Vorgesetzten festgestellt werde.

„Ich habe daraufhin Anzeige wegen Rassismus und Sexismus erstattet“, sagt Daria Meier. „Die Staatsanwaltschaft erkannte eine im Dienst vorgenommene rechtswidrige Tat des städtischen Mitarbeiters an. Er konnte ein öffentliches Verfahren abwenden, indem er die Auflage annahm, eine Geldzahlung in Höhe von 750 Euro zu leisten. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft handelt es sich somit um ein Vergehen, das andernfalls zu einem Hauptverfahren mit einer öffentlichen Verhandlung geführt hätte und bei einer Wiederholung geradewegs führen wird.“

„Gespräch mit Personaldezernent Kornblum endete ergebnislos“

Im Sommer 2021 seien dann alle befristeten Verträge von Beschäftigten in Meiers Arbeitsbereich ausgelaufen. „Ohne ein ordentliches Verfahren wurden alle Stellen bis auf meine entfristet.“

Sie berichtet auch von einem Gespräch mit dem damaligen Personaldezernenten und heutigen Oberbürgermeister Thorsten Kornblum sowie einer Führungskraft der Personalabteilung. Ihr sei es dabei nicht um Vorteile für sich oder Nachteile für den Beschuldigten gegangen, sagt sie.

„Ich wollte unter anderem erreichen, dass die Stadtverwaltung Führungskräftefortbildungen einführt, die sich mit Diskriminierung befassen. Und ich wollte, dass bei der Verwaltung eine Beschwerdestelle für derartige Themen eingerichtet wird. Das Gespräch endete aber ergebnislos. Mein Eindruck war, dass man das Ganze nur abtun und kleinreden wollte.“ Man habe ihr wortwörtlich gesagt, sie könne nur unter der Bedingung bleiben, dass sie mit dem Mann in seiner Funktion als leitender Beamter arbeite.

„Stadt hätte Disziplinarverfahren einleiten müssen“

Aus ihrer Sicht handelt es sich um einen eindeutigen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dieses Gesetz sieht einen Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor Diskriminierung vor.

Eine Diskriminierung liegt demnach zum Beispiel dann vor, wenn ein Verhalten dazu führt, dass die Würde eines Menschen verletzt wird und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Arbeitgeber sind verpflichtet, gegen Beschäftigte vorzugehen, die Kolleginnen und Kollegen diskriminieren. Mögliche Maßnahmen: Abmahnung, Versetzung, Kündigung. Meier meint: „Die Verwaltung hätte ein Disziplinarverfahren einleiten müssen.“

Stadt: Zu schwebenden Verfahren nehmen wir keine Stellung

Der von Daria Meier beschuldigte Vorgesetzte sagt auf Anfrage unserer Zeitung: „Ich war Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren. Dieses Verfahren ist eingestellt worden. Insofern ist die Sache für mich erledigt.“ Für alles Weitere verweist er an die Pressestelle der Stadt.

Auf Anfrage sagt Stadtsprecher Adrian Foitzik: „In Personalangelegenheiten gelten für die Verwaltung und die Mitglieder des Rates strenge Verschwiegenheitspflichten, weshalb die Stadt Braunschweig grundsätzlich zu schwebenden Verfahren keine Stellung nimmt.“

Inwiefern es sich um ein schwebendes Verfahren handelt, erläutert er nicht. Unbeantwortet bleiben daher auch Fragen wie diese: Wie bewertet die Stadtverwaltung die Vorwürfe? Hat die Stadt ein Disziplinarverfahren gegen den Mann eingeleitet oder andere Schritte unternommen, um auf den Vorfall zu regieren?

Stadt lehnte Einwohnerfrage zur Ratssitzung ab – Dienstaufsichtsbeschwerde

Das wollte auch Peter Rosenbaum (BIBS) wissen. Vor der vergangenen Ratssitzung hatte er eine Einwohnerfrage eingereicht: „Wann wird der Fall dienstrechtlich gemäß Niedersächsischem Disziplinarrecht geahndet?“ Allerdings hat die Stadtverwaltung diese Einwohnerfrage nicht zugelassen.

Foitzik erläutert dazu, disziplinarrechtliche Fragestellungen dürften aufgrund der strengen Verschwiegenheitspflichten generell nicht in öffentlicher Sitzung beantwortet werden. Einwohnerfragestunden wiederum dürften laut dem Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz aber nur in öffentlicher Sitzung stattfinden.

Wegen der Ablehnung seiner Einwohnerfrage hat Peter Rosenbaum jetzt nach eigenen Angaben eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Oberbürgermeister Thorsten Kornblum eingereicht. „Weder erforderte eine Beantwortung der Frage durch den Oberbürgermeister den Ausschluss der Öffentlichkeit“, so Rosenbaum, „noch wären zur Beantwortung etwaige Bedingungen des Datenschutzes tangiert worden.“

Stadt: Mitarbeitende haben die Möglichkeit, sich zu beschweren

Stadtsprecher Foitzik erläutert ganz allgemein: „Die Stadtverwaltung verurteilt jede Form von diskriminierendem Verhalten und setzt sich dafür ein, dass solche Vorfälle geahndet werden. Bei begründetem Verdacht auf einen schwerwiegenden Verstoß wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet.“ Die „Dienstvereinbarung über partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz“ regele den erwarteten Umgang aller Beschäftigten.

„Die Mitarbeitenden haben jederzeit die Möglichkeit, sich bei Vorgesetzten, der Personalvertretung, der Schwerbehindertenvertretung, der Sozialbetreuung, dem Gleichstellungsreferat oder dem Fachbereich Zentrale Dienste (Abteilung Personal) zu beschweren“, so Foitzik. Überdies gebe es eine AGG-Beschwerdestelle bei der Abteilung Personal. Ein Merkblatt informiere über diese Anlaufstelle.

„Das ist ein institutionelles Versagen und kein Einzelfall“

Daria Meier hat inzwischen eine neue Arbeitsstelle. Aber der Vorfall lasse sie nicht los, sagt sie. Der Vorgesetzte habe Ungleichheitsstrukturen begünstigt und seine Stellung missbraucht, indem er sie rassistisch bedroht habe.

Was sie aber noch mehr kritisiert: Trotz ihrer Suche nach Schutz durch die Stadtverwaltung sei ihr keinerlei Beistand angeboten worden, auch nicht von der zuständigen Dezernentin Christine Arbogast. Außerdem seien Anfragen ihres Anwaltes auf Akteneinsicht von der Stadt mehrfach abgelehnt worden. „Das ist ein institutionelles Versagen und kein Einzelfall. Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit davon erfährt.“

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