Braunschweig. Etliche Kitas müssen ihre Betreuungszeiten vorübergehend kürzen: Grund sind der Fachkräftemangel und der hohe Krankenstand.

Kitas in Braunschweig ächzen derzeit unter dem Fachkräftemangel und einem ungewöhnlich hohen Krankenstand. Die Betreuung der Kinder ist dadurch deutlich weniger verlässlich als noch vor ein paar Jahren: Viele Einrichtungen müssen ihre Betreuungszeiten vorübergehend einschränken, da das Personal fehlt.

„Heute müssen die Kinder schon um 13 Uhr abgeholt werden“ oder „die Drachengruppe muss morgen zu Hause bleiben“: Nachrichten wie diese kennen Eltern von Kita-Kindern mittlerweile zu genüge. Der Frust wächst, bei vielen auch die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz. Der Stadtelternrat der Kitas in Braunschweig hatte für Mittwochabend deshalb zur Online-Vollversammlung eingeladen, an der rund 160 Eltern und Pädagogen teilnahmen. Thema: „Fachkräftemangel und Einschränkungen der Betreuungszeiten“.

Personalnot in den Kitas: kein vorübergehender Engpass

Deutlich wurde, dass es sich nicht um einen vorübergehenden Engpass handelt, sondern sich die Situation in den nächsten Jahren eher noch verschärfen wird. Martin Albinus, Fachbereichsleiter Kinder, Jugend und Familie der Stadt Braunschweig, schlug Alarm: Rund zehn Prozent der Stellen seien seit Monaten unbesetzt. Hinzu komme ein ungewöhnlich hoher Krankenstand: „150 von 550 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen fehlen derzeit in unseren Einrichtungen: 50 Stellen sind unbesetzt, 100 Kräfte sind erkrankt.“

Das Symbolbild zeigt ein Plakat bei einer Demo in Baden-Württemberg, als die Gewerkschaft Verdi zu einem Warnstreik im Sozial- und Erziehungsdienst aufgerufen hatte. (Archivfoto)
Das Symbolbild zeigt ein Plakat bei einer Demo in Baden-Württemberg, als die Gewerkschaft Verdi zu einem Warnstreik im Sozial- und Erziehungsdienst aufgerufen hatte. (Archivfoto) © picture alliance/ dpa | Marijan Murat

In den Einrichtungen der freien Träger sei die Lage ähnlich. Ursula Tetzel, Sprecherin der freien Kita-Träger in Braunschweig, bestätigte: „Viele kommen mit dem Kopf unterm Arm zur Arbeit, um den Betrieb aufrecht zu halten.“

Der deutlich erhöhte Krankenstand habe auch mit Corona zu tun, aber nicht nur. Albinus: „Die Belastung in der Coronazeit hat Kraft gezogen bei den Kollegen und Kolleginnen – insbesondere die Umsetzung der ständig neuen Regelungen, wobei auch die Eltern informiert und mitgenommen werden mussten. Manchmal gab es Ärger, und dieser Ärger hat sich dann entladen bei denen, die eigentlich gar nichts dafür können: bei den Kollegen und Kolleginnen in den Einrichtungen.“

Kita-Personal befindet sich in der „Dauerbelastungs-Schleife“

Er forderte mehr Verständnis für die Fachkräfte, mehr Wertschätzung für ihre Arbeit, um sie zu stärken. Die Durststrecke sei lang gewesen, und noch immer könnten die Mitarbeitenden nicht durchatmen: Jetzt schlage der Fachkräftemangel durch. „Wir haben da eine Dauerbelastungs-Schleife“, verdeutlichte Albinus. Ein Ende sei nicht in Sicht: „Es fehlt an qualifizierten Kräften am Markt. Ich kann Ihnen keine Hoffnung machen, dass in drei bis vier Monaten alles besser ist“, wandte er sich direkt an die Eltern im Chat: „Wir müssen lernen, damit umzugehen.“

Er könne keine Lösungen präsentieren und wolle keine Versprechen machen, die nicht zu halten seien, so Albinus weiter. Es brauche Veränderungen, „die wir kommunal nicht entscheiden können“. Das Land sei gefordert: „Der Landesgesetzgeber gibt uns ein enges Korsett vor, was wir dürfen und was wir nicht dürfen.“ Gerade der Einsatz des pädagogischen Personals sei streng geregelt, ein Träger riskiere seine Betriebserlaubnis, wenn er sich darüber hinwegsetze – da brauche es mehr Ermessensspielraum.

Der Einsatz ergänzender Kräfte und Ehrenamtlicher, die die Erzieher und Sozialpädagogischen Assistenten unterstützen können, müsse erleichtert werden. Albinus gab ein Beispiel aus der Praxis: Eine Zumba-Rentnergruppe habe angefragt, im Bewegungsraum eines Familienzentrums zu trainieren. „Sie haben angeboten, die Kinder einzubeziehen. Eine tolle Sache. Wir dürfen das aber nicht, weil eine Person, die kein Kind in der Kita hat, nicht in die Kita darf. Das ist uns schlicht untersagt.“

Natürlich ist der Fachkräftemangel kein Braunschweiger Problem. Laut einer Bertelsmann-Prognose um müssten bundesweit fast 100.000 zusätzliche Fachkräfte eingestellt werden, um den Betreuungsbedarf der Eltern zu erfüllen. Laut Studie werden in den nächsten Jahren bundesweit fast 384.000 Kita-Plätze fehlen.

Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen, können nicht zur Arbeit gehen

Die meisten Eltern seien beruflich zwingend auf eine verlässliche Betreuung ihrer Kinder angewiesen. Deshalb dürfe es nicht zur Regel werden, dass Gruppen geschlossen und Betreuungszeiten eingeschränkt werden. Albinus verwies auf eine Art Kettenreaktion: Eltern, die ihre Kinder daheim betreuen müssen, fehlen selbst an ihrem Arbeitsplatz, in der Pflege etwa oder in den Arztpraxen. Das sei ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Albinus forderte klar: „Die Ausbildungszeit von Erziehern muss von vier auf drei Jahre verkürzt werden, sie muss konkurrenzfähig werden und endlich vergütet werden.“ Die geplante dritte Kraft in den Einrichtungen sei zwar wünschenswert, um die Bildungsqualität zu stärken, aber: „Manche Dinge, auch wenn wir sie für richtig halten, können wir uns zurzeit nicht leisten.“ Ursula Tetzel ergänzte, dass im Sommer die Richtlinie Quereinstieg auslaufe: „Damit gibt es keine Möglichkeit mehr des Quereinstiegs. Auch da brauchen wir eine Lösung.“

Viele Eltern kommentierten das Gesagte im Chat, regten Lösungen an, gaben Beispiele aus der Praxis und forderten zu Demos oder Postkarten-Aktionen auf. „Druck durch Masse“, schrieb einer. Beatriz Martínez Muñoz vom Vorstand des Stadtelternrats der Kitas erklärte im Anschluss, man denke bereits über Aktionen nach, wolle aber erst die Wahl zum neuen Vorstand des Stadtelternrats am 25. November abwarten.

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