Braunschweig. Die Kriminalisten raten dringend, Taschen niemals unbeaufsichtigt zu lassen. Welche Tricks die Ganoven drauf haben.

Nur kurz aus den Augen gelassen, schon war sie weg, die Tasche. Für Benjamin Bohne (Name von der Redaktion geändert) war der freitägliche Besuch in einem angesagten Braunschweiger Club am Ende eine teure Angelegenheit: I-Phone weg, I-Pods weg, Bargeld weg, Führerschein weg, Personalausweis weg, Schlüsselbund weg. Benjamin überschlug den Schaden: 2000 Euro. Und damit war auch die gute Laune weg.

„Kein Einzelfall“, sagt Kriminalhauptkommissar Jens Zeiler. Er ist Beauftragter für Kriminalprävention bei der Polizeiinspektion Braunschweig und kennt die Tricks und Maschen der Kriminellen aus dem Effeff. Den Ganoven sei schwer beizukommen. Weil sie zuschlagen und dann schnell weiterwandern. Tatort-Hopping nennt Zeiler das. „Mal sind sie in Diskotheken unterwegs, dann wieder in Supermärkten.“

Massenklau bei Konzerten der Punkband „Broilers“

Zeiler erinnert sich gut an eine kriminelle Truppe, die sich speziell bei Konzerten der Düsseldorfer Punkband „Broilers“ rumtrieb und massenhaft Leute beklaute. „Nachdem die Band in der Braunschweiger Stadthalle aufgetreten war, meldeten um die 30 Konzertbesucher den Verlust ihrer Geldbörse. Und keiner hatte bemerkt, dass er bestohlen worden war.“

Des Rätsels Lösung: „Bei dem Konzert wurde Pogo getanzt, also gezielt auf Körperkontakt gerempelt und geschupst.“ Ein Leichtes für die Ganoven, unbemerkt zuzuschlagen und die Portemonnaies aus den Gesäßtaschen zu fischen. Die Truppe wurde schließlich im Ruhrgebiet gefasst – bei einem „Broilers“-Konzert.

Meist steckt hinter den Taten organisierte Kriminalität

Die Polizei kann immer wieder nur mahnen, vorsichtig zu sein. „Taschendiebstahl ist in der Großstadt-Öffentlichkeit neben Autoaufbruch, Fahrraddiebstahl und KFZ-Sachbeschädigung eines der häufigsten Delikte“, betont Zeiler. Und meist stecke organisierte Kriminalität dahinter. Taschendiebe seien oft professionelle, international agierende Täter, die zum Teil grenzüberschreitend in ganz Europa aktiv seien. Ähnlich verhalte es sich auch beim Trick- und beim Gepäckdiebstahl, also wenn das Opfer nicht direkt vom Körper weg bestohlen wurde.

Zeiler warnt: „Überall dort, wo viele Menschen aufeinander treffen und dichtes Gedränge herrscht, müssen Sie mit dem Auftreten von Taschendieben rechnen!“ Beliebt bei Kriminellen: der öffentliche Personennah- und Fernverkehr mit Haltestellen, Bahnhöfen, Bussen und Bahnen, Einkaufszentren, Fußgängerzonen, Kaufhäuser, Supermärkte, Weihnachts- und andere Märkte sowie Großveranstaltungen wie Messen, Volksfeste und Sportereignisse.

Taschendiebe arbeiten meist in einem eingespielten Team

Taschendiebe arbeiten nach Erfahrung der Polizei meistens organisiert und arbeitsteilig im Team. Dabei übernimmt jedes Mitglied eine bestimmte Aufgabe. Da gebe es etwa Blocker und Drängler, Zieher und Täuscher, Koordinatoren und Transporteure.

Die Tat spielt sich meist so ab: Der „Blocker“ oder „Drängler“ lenkt das Opfer beispielsweise durch Anstoßen oder Schubsen ab; es merkt somit nicht, wie es beklaut wird. „Gestenreiche Entschuldigungen oder das Verwickeln in ein Gespräch lenken das Opfer zusätzlich ab“, so Zeiler.

In den meisten Fällen werden die Opfer geschickt abgelenkt

Der „Zieher“ entwendet die Geldbörse oder das Smartphone aus der Tasche des Opfers und gibt sie sofort an den „Transporteur“ weiter, so dass er nicht mehr im Besitz des Diebesgutes ist, falls er entdeckt werden sollte. Der „Transporteur“ oder „Decker“ deckt mit seinem Körper, seiner Bekleidung, mit Taschen oder Zeitungen die eigentliche Tat des „Ziehers“ ab und verschwindet mit dem Diebesgut meist sofort vom Tatort. „Er wird vom Opfer überhaupt nicht wahrgenommen und somit selten wiedererkannt“, so Zeiler.

Der Polizist betont: „Es werden täglich neue Finessen bekannt, die Tricks der Langfinger werden immer raffinierter.“ Das Repertoire der Taschendiebe sei äußerst umfangreich. Auf einfallsreichste Weise lenkten die Täter ihre Opfer ab.

In Bussen rücken die Täter dem Opfer auf die Pelle

So ist auch der Rolltreppen-Trick oft von Erfolg gekrönt: „Der Taschendieb stellt sich hinter das Opfer auf der Rolltreppe. Ein Mittäter stellt sich vor das Opfer. Am Ende der Rolltreppe erzeugt der Mittäter einen künstlichen Stau und bleibt stehen, bis das Opfer aufläuft. Das ermöglicht dem Zieher die Geldbörse aus der Handtasche oder der Gesäßtasche zu entwenden“, erläutert der Polizist.

In stark frequentierten Bussen oder Bahnen rückt der Taschendieb meist unangenehm dicht an das Opfer heran. Der Dieb drängelt so lange, bis das Opfer ärgerlich seinen Rücken zuwendet und sich die Hand- oder Umhängetasche „griffbereit“ darbietet.

Angetrunkene Männer werden oft „angetanzt“

Der Taschendieb sucht sich als Opfer auch gern angetrunkene Männer aus. Er „tanzt das Opfer an“, indem er sich mit einem Bein in die Kniekehle einhakt und einen Arm „walzerartig“ über die Schulter seines Opfers legt. Mit der anderen Hand klaut er dann in der „Tanzbewegung“ das Portemonnaie oder Handy aus der Gesäß- oder Hosentasche.

In einem Restaurant oder in einer Gaststätte setzt sich der Taschendieb gern an den Nebentisch des Opfers. Während das Opfer sein Essen verspeist, klaut der Taschendieb unbemerkt Wertsachen aus der über der Stuhllehne abgehängten Jacke oder Handtasche.

Achtung nach dem Geldabheben! Täter kommen mit Senf und Ketchup

Beim Supermarkttrick fragt der Taschendieb sein Opfer nach einer bestimmten Ware. Während es danach sucht, wird die Tasche am oder im Einkaufswagen ausgeräumt.

Wer gerade Geld abgehoben hat, wird oft unbemerkt mit einer Flüssigkeit wie Senf oder Ketchup beschmutzt. Der Täter und seine Komplizen zeigen sich dann sehr hilfsbereit. Beim Reinigungsversuch verschwindet die Geldbörse mit dem zuvor abgehobenen Geld.

Doch was tun, um kein Opfer zu werden? Die Polizei hat folgende Tipps:

Nur das Nötigste an Geld und Papieren mitnehmen! Niemals die EC-Karte und die persönliche PIN-Nummer zusammen aufbewahren! Geld, Schecks, Kreditkarten und Papiere immer in verschiedenen verschlossenen Innentaschen der Kleidung möglichst dicht am Körper tragen! Hand- oder Umhängetaschen verschlossen mit der Verschlussseite zum Körper tragen oder unter den Arm klemmen! Die Handtasche stets geschlossen und nie unbeaufsichtigt lassen!

Und weiter: Im Menschengedränge und in unübersichtlichen Situationen noch stärker auf Wertsachen achten! Brustbeutel, Gürtelinnentasche, Geldgürtel oder eine am Gürtel angekettete Geldbörse benutzen! Geldbörsen nicht oben in Einkaufstasche, Einkaufskorb oder Einkaufswagen legen, sondern möglichst körpernah tragen! Handtaschen im Restaurant, im Kaufhaus oder im Laden (selbst bei der Anprobe von Schuhen oder Kleidung) nicht an Stuhllehnen hängen und unbeaufsichtigt lassen! Wer angerempelt wird oder wessen Kleidung scheinbar unbeabsichtigt beschmutzt wird, sollte misstrauisch sein!

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