Braunschweig. 27 von 110 Selbsthilfegruppen stellten sich beim Selbsthilfetag vor. Neue Themen sind Long Covid und unerfüllter Kinderwunsch.

Die Corona-Pandemie hat auch in der Braunschweiger Selbsthilfe-Landschaft seine Zeichen hinterlassen. 125 Selbsthilfegruppen gab es in Braunschweig 2019, derzeit bieten noch rund 110 Gruppen Hilfe zu psychischen und körperlichen Erkrankungen, zu Behinderungen, sozialen Themen und Sucht an. Hier und da hätten die Corona-Maßnahmen die Arbeit erschwert, berichteten am Samstag einige Engagierte beim 15. Braunschweiger Selbsthilfetag unter dem Motto „Selbsthilfe erleben“ auf dem Kohlmarkt. Doch viele Gruppen fanden neue, auch digitale Wege, Kontakt zueinander zu halten. Und es gründeten sich auch neue Gruppen, wie im vergangenen Jahr eine Selbsthilfegruppe für Betroffene von häuslicher Gewalt.

Eine Gruppe mit zwölf Mitgliedern gebe es bereits, sagte Gründerin Hiam Stülten, 15 weitere hätten bereits Interesse angekündigt. Die Corona-Pandemie habe das Problem verschärft, so Stülten. Und dabei gehe es nicht nur um Gewalt in der Beziehung, auch Alleinerziehende seien betroffen. Fünf Mitglieder ihrer Selbsthilfegruppe hätten Gewalt durch ihre Kinder erfahren.

„Viele haben während der Pandemie versucht Probleme alleine zu lösen“

Ines Kampen, Leiterin von KIBIS (Kontakt, Information und Beratung im Selbsthilfebereich) und Norbert Wiedemann von der Angehörigen Selbsthilfe psychisch erkrankter Menschen, versorgten die Besucher des 15. Selbsthilfetags auf dem Kohlmarkt mit ausführlichen Informationen über die vertretenen Einrichtungen und Organisationen.
Ines Kampen, Leiterin von KIBIS (Kontakt, Information und Beratung im Selbsthilfebereich) und Norbert Wiedemann von der Angehörigen Selbsthilfe psychisch erkrankter Menschen, versorgten die Besucher des 15. Selbsthilfetags auf dem Kohlmarkt mit ausführlichen Informationen über die vertretenen Einrichtungen und Organisationen. © Regios24 | Stefan Lohmann

„Selbsthilfegruppen sind der kürzeste Weg, um Hilfe zu bekommen, sagte Monika Fritzke, engagiert in der Selbsthilfegruppe der Angehörigen von Suchtkranken und im Selbsthilfegruppenrat, einer gewählten Vertretung der Selbsthilfegruppen. „Es gibt keine Wartezeiten und Sie können schnell Tipps bekommen, wie Sie den Alltag besser überstehen können.“ Seit 31 Jahren bekommen die Selbsthilfegruppen Unterstützung von Kibis im Paritätischen Wohlfahrtsverband. Kibis steht für Kontakt, Information und Beratung im Selbsthilfebereich. „Ohne Kibis hätte ich meine Selbsthilfegruppe für Essstörungen vor acht Jahren gar nicht gegründet“, sagte Stefan Lange, der ebenfalls im Selbsthilfegruppenrat engagiert ist.

Eigentlich hätte der Selbsthilfetag der im zweijährigen Rhythmus stattfindet, im vergangenen Jahr gefeiert werden sollen. Doch wegen der Pandemie konnte er nicht durchgeführt werden. Es sei eine Zeit gewesen, in der sich die Menschen generell zurückgezogen hätten, auch aus den Selbsthilfegruppen, sagte Kibis-Leiterin Ines Kampen. „Viele haben versucht, ihre Probleme alleine zu regeln. Aber gerade im Suchtbereich hat das nicht gut funktioniert.“

„Der Bedarf an Frühförderung ist riesig“

Viel nachzuholen gebe es durch die Pandemiezeit beispielsweise auch bei Kindern, erzählt Christine Ifftner, Geschäftsführerin des Vereins zur Förderung körperbehinderter Menschen, Köki, unter dessen Dach sich auch Selbsthilfegruppen treffen. „Der Bedarf an Frühförderung im logopädischen oder ergotherapeutischen Bereich ist riesig“, sagt Ifftner. Da die Kindergärten und Schulen teilweise geschlossen waren, sei vieles nicht erkannt worden, Therapien konnten so nicht starten. Sportangebote oder Feste hätten teils nicht stattfinden können. Der Austausch am Rande dieser Veranstaltungen habe gefehlt. Und gerade dieser Austausch sei so wichtig.

Reinhard Markworth vom Braunschweiger Freundeskreis, der sich um Suchterkrankte, insbesondere von Alkohol, aber auch beispielsweise um Spielsüchtige kümmert, sagt: „In der Pandemiezeit mussten wir kreativ werden.“ Als keine Treffen in Präsenz mehr möglich waren, seien Telefon- und Videokonferenzen gehalten worden, als Termine vor Ort wieder möglich waren, wurden die Gruppen verkleinert. Es sei wichtig gewesen, präsent zu bleiben. „Einige haben in dieser Zeit die Gruppen verlassen, andere, die eine

Zur Eröffnung des Selbsthilfetags auf dem Kohlmarkt gab es Afrikanische Rhythmen von der Trommelgruppe Esengo.
Zur Eröffnung des Selbsthilfetags auf dem Kohlmarkt gab es Afrikanische Rhythmen von der Trommelgruppe Esengo. © REgios24 | Stefan Lohmann

Suchtproblematik entwickelt haben, sind dazu gekommen.“ Die Zahl der Teilnehmer in den Selbsthilfegruppen des Braunschweiger Freundeskreises sei bei 250 recht stabil geblieben. Doch auch wenn jetzt wieder Präsenzveranstaltungen möglich sind, werde weiterhin auch auf das Internet gesetzt, sagt Ernst Weninger vom Braunschweiger Freundeskreis. „So können beispielsweise auch langjährige Mitglieder, die umgezogen sind, weiter an unseren Gruppen teilnehmen.“

Fünf Ehrenamtliche wurden beim Selbsthilfetag für ihr Engagement geehrt

Zum achten Mal beim Selbsthilfetag wurden am Samstag auch Ehrenamtliche für ihr besonderes Engagement in den Selbsthilfegruppen geehrt. So würdigte Sozialdezernentin Christine Arbogast die Arbeit von Monika Fritzke, die sich seit 2011 in der Selbsthilfegruppe der Angehörigen von Suchtkranken engagiert, sowie von Reinhard Markworth, der seit 24 Jahren Vorsitzender des Braunschweiger Freundeskreises ist. Auch die Arbeit von Peter Punizy stellte Arbogast heraus. Er bringt sich seit 2015 in der Selbsthilfegruppe Angst und Depression ein. Friedhelm Lütge bereichert seit 2019 das Angebot der Selbsthilfegruppe der jung an Parkinson Erkrankten. Marco Fahl wurde für seine ehrenamtliche Arbeit bei den Guttemplern geehrt. Er stellt die Suchthilfe unter anderem in Kliniken vor.

Auch die Anonymen Alkoholiker wurden besonders gewürdigt. In Braunschweig gibt es sie seit 50 Jahren. Arbogast sagte: „Sie alle leisten einen unschätzbaren Dienst. Ohne die Selbsthilfe wäre die Gesellschaft überfordert, sich angemessen um diese Menschen zu kümmern.“

Neue Themen, die vom Kibis unterstützt werden, sind Long Covid, unerfüllter Kinderwunsch, bipolare Störungen und verlassene Eltern. Wen diese Themen ansprechen oder wer andere Selbsthilfegruppen sucht, kann sich auf www.selbsthilfe-braunschweig.de informieren.

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